MICH GIBT‘S ALS SCHRIFTSTELLER HIER NICHT!

Sam Hawken IM INTERVIEW MIT Peter Henning

Der U.S.-Schriftsteller Sam Hawken über frühe Lektüreerfahrungen, eigene Vorbilder, Borderland noir und warum gute Literatur immer gelebte Literatur ist. Und darum politisch.

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Können Sie zu Beginn etwas zu ihren schreiberischen Wurzeln sagen? Gab es womöglich Autoren, die sie besonders beeinflussten?

Als junger Mann habe ich vor allem Fantasy-Romane gelesen, also Leute wie Tolkien, Robert E. Howard und HP Lovecraft. Ich mag die immer noch, hab` meinen Horizont aber seitdem ziemlich erweitert, hin zu Pulp-Größen wie Fritz Leiber und C.L. Moore.

Die meisten halten das, was diese Leute schreiben, für Trash, ich nicht! Denn sie verstehen es, eine Story gekonnt unter Strom zu setzen und entwickeln dabei eine ungeheure Geschwindigkeit in ihren Texten. Ich habe bei denen einiges gelernt und mag das immer noch sehr!

Als Teenager hab ich kreuz und quer gelesen, war nicht festgelegt auf dieses oder jenes Genre. Bis ich irgendwann begann, eine gewisse Faszination für Hemingway zu entwickeln. Anschließend habe ich es auch mal kurz mit Fitzgerald versucht, es aber bald wieder aufgegeben, denn ich verachte diese Geschichten über Reiche und ihre Reichenprobleme. Fitzgerald ließ mich völlig kalt.

Doch dann kam ein Buch, das mich buchstäblich umwarf: Cormac McCarthys Roman No Country for Old Men! Das war 2005, und eine unglaubliche Leseerfahrung.

McCarthys Sprache ist lyrisch und mitreißend, und er geht schriftstellerisch immer dahin, wo es wehtut! Bei ihm geht’s ums Ganze. Ich hab` anschließend nie mehr etwas Ähnliches gelesen! Seither greife ich jedes Jahr nach dem Buch, denn es erinnert mich immer wieder neu daran, dass man aus wenig Stoff verdammt viel machen kann, und dass man als Schriftsteller mit seinen Sätzen stets auf das Herz des Lesers zielen soll!

Ihre Bücher spielen wiederkehrend in der Grenzregion USA – Mexico. Was fasziniert sie so daran, immer neu das dortige, von Gewalt, Tod und Teufel bestimmte Klima zu dem Ihrer Romane zu machen?

Mexico ist Teil meines Denkens und Fühlens seit ich ein Kind war. Ich bin in San Antonio, Texas aufgewachsen, was immer noch hauptsächlich von Latinos bevölkert ist. Und als ich einen Essay von einem Autor namens Craig McDonald las, in welchem er die Gegend und die Stimmung dort als Borderland noir bezeichnete, hatte es bei mir Klick gemacht!

Der Text ist online leider nicht mehr zu finden, doch es gibt eine Sammlung von Geschichten, die diesen Titel trägt: Borderland Noir: Stories & Essays of Love & Death Across the Rio Grande. Sie enthält auch eine Story von mir, die den Titel Corrida de Toros trägt.

McDonalds Borderland noir Begriff vereint klassische Erzählmodelle mit den geo-kulturen Eigenarten des Lebens an der Grenze. Sie trifft den Nagel auf den Kopf. Doch als literarische Strömung hat sie sich bei uns nie wirklich etabliert. Mich aber hat sein Essay in meinem Schreiben und meiner Stoffwahl maßgeblich beeinflusst. Alle meine Bücher zeigen das. Auch wenn sie bei Erscheinen jeweils nicht gerade die Feel-good-Stories des Jahres waren.

Wie würden Sie Ihre aktuelle Position im aktuellen amerikanischen Literaturbetrieb beschreiben?

Ganz ehrlich? Ich existiere nicht! Nachdem ich drei so genannte Mexican noir veröffentlicht habe, die ganz gut liefen, ist das ziemlich ernüchternd.

Offenbar erschienen die Themen, die ich darin behandele, vielen hier nicht interessant genug. Die Verkaufszahlen waren also mehr als überschaubar. Schließlich habe ich mich an einem klassischen Thriller versucht, was ganz o.k war, denn was ich hasse sind Autoren, die sich nicht ändern können, die immer das gleiche schreiben.

Also schrieb ich etwas, das Thriller-Elemente mit der Schilderung der letzten Tage des Zweiten Indochina-Krieges verband. Doch auch das kam nicht wirklich an. Das Ganze wurde als zu esoterisch abgetan. Und plötzlich kam ich bei meinem Verlag ziemlich unter Druck. Und da ich nicht dafür gemacht bin, Trends hinterher zu schreiben, ist es schwierig.

Die Leute hier stehen gerade mächtig auf sogenannte „Girl“-Novels, in denen irgendwelche Rich-Kids ihre lächerlichen Rich-Kid-Probleme schildern. Da erscheint zum Teil irrwitzig schlechtes Zeug! Aber Hauptsache es unterhält, mögen die darin ausgebreiteten Stories auch noch so schwachsinnig sein.

Das ist fatal, aber es betrifft nicht nur mich. Es geht derzeit vielen sogenannten ambitionierten Kollegen hier ähnlich, die nicht willens sind, die x-te Vorstadtgeschichte abzuspulen …

Ok, ich habe kurze Zeit mit James Patterson, der genau weiß, was der Markt will, an so einer Girl-Geschichte gearbeitet, es aber irgendwann frustriert aufgegeben. Ich kann das einfach nicht.

Was ist Ihrer Meinung nach die Aufgabe von Literatur – ganz generell? Zu unterhalten? Klar! Aber was noch? Sollte sie nicht auch etwas Utopisches an sich haben, indem sie uns Visionen von etwas gibt?

Ja. Sie sollte zeigen, was ist – und wie es im Bestfall sein könnte! Sie lebt vom Konflikt! Und sie sollte diesen mit den Mitteln einer ehrlichen Sprache, die sich nicht drückt oder anbiedert, schildern!

Dabei genügt es nicht, sich von dem ganzen Mainstream-Kram fernzuhalten. Denn am Ende bleibst Du, wenn du nicht bereit bist zumindest gewisse Zugeständnisse zu machen auf der Strecke. Und wenn sie davon leben muss, deine Familie gleich mit. Man kann alles eine Zeitlang aushalten, mag es auch noch so stumpfsinnig sein, wenn es die Schwelle zu etwas ist, mit dem du dich dann identifizieren kannst. Klar sollte man seine Leser nicht mit allzu verschlungenen Plots langweilen, insbesondere hier, wo die Toleranzschwelle diesbezüglich mittlerweile gegen Null geht. Doch es als Schreiber darauf anzulegen, setzt dich unter einen fatalen Druck. Und am Ende hältst Du ein Buch in der Hand, das dir völlig fremd ist, weil es mit dem, was dich umtreibt, nicht das Geringste zu tun hat.

Der Musiker John Mellencamp sagt: „Es ist mein Auftrag, mich mit der Gegenwart auseinander zu setzten!“ Für sein Metier mag das stimmen und funktionieren mit einem Song, der heute geschrieben wird und drei Wochen später im Radio läuft.

Aber bei mir als Schreiber funktioniert das so nicht. Ich brauche manchmal Jahre, bis so ein Buch im Kasten ist. Aber die Kosten für alles laufen unabhängig davon brutal weiter…

Wie beurteilen Sie die Bücher von Kollegen wie Daniel Woodrell, Michael Farris Smith oder Ivy Pochoda, die genau wie Sie für ihre jeweilige Region die Überlebenskämpfe der dort Lebenden abzubilden versuchen? Also von denen, die im Rust Belt, in den Ozarks oder in den Slums von L.A. ums Überleben kämpfen?

Der sogenannte Rust Belt hat seine Probleme so wie wir sie an den Grenzen haben. Und Menschen, die fortwährend mit ihren Problemen von den Regierenden ignoriert werden, schlagen irgendwann zurück.

Hier an der Grenze stranden viele von denen: Mörder, Vergewaltiger, Drogendealer. Sie konnten da, wo sie lebten, ihre Familien nicht mehr ernähren und entschieden sich schließlich irgendwann dafür, auf die andere Seite überzuwechseln. Ich verstehe das bis zu einem gewissen Grad. Doch es hat die meisten von ihnen zu Monstern gemacht. Und weil wir hier von klein auf darauf getrimmt werden, zu siegen, erfolgreich zu sein, ist das für viele umso bitterer.

Niemand sollte hierzulande übersehen werden! Doch weil genau das immer öfter geschieht, sieht es bei uns inzwischen so aus wie es aussieht!

Glauben Sie, Literatur muss politisch sein, um als solche relevant zu sein?

Nicht grundsätzlich, nein. Missing, mein dritter Roman, ist sicher auf seine Weise ein politischer Roman. Ich bin aber nicht so dumm zu glauben, damit auch nur das Geringste an den im Moment hier herrschenden politischen Verhältnisse ändern zu können.

Man wird dazu gezwungen mit anzusehen, was tagtäglich alles schief läuft, und man kann darüber schreiben. Mehr nicht! Leider. Denn grundsätzlich halte ich den Einfluss von Literatur auf die herrschenden Verhältnisse für ziemlich gering. Wirkliche Literatur ist für mich gelebte Literatur, verfasst in Sätzen, die ihren Verfasser etwas kosten.

Und wenn Du das beherzigst, bist Du a priori politisch. Wo beginnt Gesellschaft denn, wenn nicht in der Familie? Was im Kleinen schief läuft – das läuft auch im Großen schief. Die Literatur kann das ganz gut zeigen. Das macht sie politisch.

Letzte Frage: Der Kriminalroman ist das mit Abstand am stärksten prosperierende Genre. Lesen Sie Krimis?

Ich überrasche Sie wahrscheinlich, wenn ich ihnen auf diese Frage offen antworte: Nein! Ich habe es versucht, aber bald wieder damit aufgehört. Denn Krimis haben etwas Ausbeuterisches und Beeinflussendes. Sie spielen kaltschnäuzig mit unseren Gefühlen. Ich halte mich da lieber an die gute alte Belletristik, die auf ihre Weise bis heute sehr überzeugend Geschichten über Schuld und Sühne erzählt. Und das ohne den Leser dabei bewusst übers Ohr zu hauen.

Ich verzichte lieber auf Autoren, die das, was ich tagtäglich auf der Straße sehe, und so schon kaum aushalten kann, potenziert in ihre Bücher packen.

Authentische Geschichten handeln von Menschen und ihren Problemen, Sehnsüchten und Wünschen. Und wenn es einem Schriftsteller gelingt, dies ernsthaft und ohne faule Tricks zu erzählen, dann bin ich sein Leser!

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