Saubermann

von Ken Bruen

 

© Christoph Kretschmer / Adobe Stock

R & B wurden sie genannt. Wenn Chief Inspector Roberts den Rhythmus gab, dann war Brant der dunkelste Blues.

Oder ignorant wie ein Schwein, wie es auch hieß. Auf Roberts’ Schreibtisch standen ein Telefon, ein Familienfoto, eine bronzene Inschrift auf Holz mit dem Text:

Am Ostermontag 1901 ging der Missionar James Charmers auf der Goaribari-Insel vor der Südküste von Neuguinea von Bord, um die Bewohner zum Christentum zu bekehren. Die Goas liefen ihm entgegen, prügelten ihn bewusstlos, schnitten ihn in kleine Stücke, kochten und aßen ihn noch am selben Nachmittag.

Mehr braucht man für die Arbeit als Polizist nicht zu wissen, meinte er.

WPC Falls sann über den Doughnut nach, der wie ein fettgewordener Tadel neben ihrem Kaffee thronte. Eine Kollegin kam an und sagte: »Tja, das ist mal eine süße Versuchung.« »Hi, Rosie.« »Hi. Und, isst du ihn?« Sie wusste es nicht, sagte: »Weiß nicht.« Falls war der feuchte Traum des Reviers. Zumindest hoffte sie das. Knapp über eins siebzig groß und eher rund als plump, aber es stand ihr. Ihr Anblick rief die Adjektive des Entzückens auf: üppig, reif, drall, verfügbar. Das letzte in hoffnungsvollem Neon. Sie lachte, lüstern und wissend. Rosie sagte: »Was?« »Kennst du Andrews?« »Aus Brixton?« »Ja, der. Ich hab ihm gestern Abend die alte Leier vorgespielt – du weißt ja, was Männer alles für einen Scheiß glauben.« Rosie lachte, fragte: »Etwa, ›für Frauen ist Sex was Spirituelles, ficken und Fliege machen geht nicht‹?« Falls lachte laut, war gut drauf, die Geschichte im Selbstlauf. »Ja, ich hab ihm erklärt, dass wir emotional involviert sein müssen. Der Doofkopp hat’s geschluckt.« Sie nahm ein weiteres Stück Doughnut, ihr Blick tanzte vor Zuckerglück, und schoss dann den Vogel ab: »Schlimmer noch – er hat mir geglaubt, dass Größe nicht zählt.« Rosie bemühte sich, nicht zu laut zu lachen. In einer Kantine voller Männer galt Frauengelächter als Bedrohung. Sie hielt Daumen und Zeigefinger hoch, maß einen halben Zentimeter ab, fragte: »Schon mal gesehen?« Falls kreischte. »Du hast ihn auch gehabt, du schamlose Kuh.« »Na, er war schnell, das muss man ihm lassen.« Falls schob ihr den Rest Doughnut zu, sagte: »Da wir uns schon kleinere Dinge geteilt

haben …« WPC Falls’ Locken waren fast dykeartig kurz geschnitten. Das betonte die dunklen Augen. Die Stupsnase ließ sie eifrig wirken, und der schmale Mund bewahrte sie vor wahrer Schönheit. Ihr größter Makel und ewiger Fluch waren ihre Beine. Plötzlich ernst sagte sie: »Ich musste zweiunddreißig werden, um zu kapieren, dass, wenn mein Dad sagte: ›Ich bring mich um und die Kleine gleich mit‹ – das war keine Liebe, sondern Suffgerede.« »Lebt er noch, dein Dad?« »Manchmal, aber nie am Wochenende.« »Klingt wie mein Jack. Seit er entlassen wurde, kann er nicht mehr gerade stehen.« »Das stärkere Geschlecht, hm?« »Glauben sie.« Rosie konnte für ihr Aussehen dankbar sein. Sie sah dankbar aus, wenn jemand sie ansah. Was nicht viele taten, nicht mal Jack.

Leroy Baker war ein Weichei. Nach der fünften Line Koks brüllte er: »Ar … ch … rr. Fuck!« Dann stampfte er in dem LA-Sneaker mit dem schlackernden Schnürsenkel auf dem Boden auf und fügte hinzu: »Der Scheiß ist gut.« Er sah sich um. Seine Wohnung war voll von teurem Krempel. Leroy hatte bergeweise Kohle. Das Drogenbusiness blühte, und er fand, es schadete nicht, das Produkt zu testen, das war gut fürs Geschäft. Dass er inzwischen hoffnungslos süchtig war, entging ihm. Er sagte immer: »Gut fürs Hirn – in diesem Geschäft muss man klar im Kopf bleiben.« Das Hämmern an der Tür drang zunächst nicht durch. Das Koksgehämmer seines Herzens machte ihn taub. Als die Angeln nachgaben und die Tür bebte, stutzte er. Dann flog die Tür auf, und vier Männer stürzten herein. Er bekam die Overalls und Sturmhauben halb mit, konzentrierte sich aber auf die Schläger – Baseballschläger. Sie waren das Letzte, das er scharf sah. Zwanzig Minuten später baumelte er mit gebrochenem Genick an einer Laterne. Um seinen Hals hing ein weißes Plakat mit den Worten: E – ENDE.

Leroy war der Erste. Ein Stück die Straße runter verriet ein einsamer LA-Sneaker, aus welcher Richtung man ihn hierher geschleift hatte. Als die »E«-Story durchbrach, kam das Gerücht auf, einer aus der Mördergang hätte bei der Arbeit gepfiffen. Und zwar angeblich »Leaning on a Lamppost at the Corner of the Street«. Wie bei so vielem anderen, was danach kam, steckten Wunschdenken und Abscheu mit drin – die beiden Grundvoraussetzungen für maximale Publicity.