Leseprobe: William Boyle – Brachland

© Christoph Kretschmer / Adobe Stock

Mehr Whiskey, gefolgt von einer weiteren Runde Bier.
Langsam nimmt der Abend Gestalt an.
Donnie fühlt sich locker, entspannt.
Bis der dritte Whiskey ihn auf eine Idee bringt.
»Wir sollten ihn uns gleich vornehmen«, sagt Donnie.
»Wen?«, fragt Pags.
»Kannst du nicht einfach mal die Füße stillhalten?«, sagt Sottile. »Ich trinke.«
Donnie senkt die Stimme, obwohl Maddie sie sowieso nicht hören kann, ganz zu schweigen davon, dass sie ihr Gequatsche interessieren würde.
»Wir sollten uns Giuseppe jetzt gleich vornehmen. Zwei zu eins, dass er mit Pete Wang im Hinterzimmer von Augie’s Karten spielt.« »Glaubst du?«, fragt Pags.
»Bei seiner Frau zu Hause ist er garantiert nicht. Dafür ist es noch zu früh. Beim Wetten ist er auch nicht, wenn er bei Big Time Tommy in den Miesen ist. Wo sonst soll er also sein? Du warst letzte Woche dabei, als wir uns an seine Fersen geheftet haben. Glaub mir. Er spielt mit Pete Wang Karten.«
»Warum sollten sie ihn mitspielen lassen, wenn er keine Kohle hat?«, fragt Sottile.
»Immer du mit deinen blöden Fragen.«

Donnie gluckert sein drittes Bier und den Rest von Pags’ Bier weg. Dann schiebt er die übrigen Münzen an den Rand des Tresens. Ein schönes Trinkgeld für die gute alte Maddie mit ihrem Olivendosen-Gin und ihren Filterlosen. Er steht auf und führt den Trupp aus dem Wrong Number. Beim Hinausgehen schnappt er sich seinen Schläger. Den ganzen Weg schimpft Sottile, er habe gerade angefangen, sich warmzutrinken, und dass sie ihre Energie lieber darauf verwenden sollten, ein paar Bordsteinschwalben in Coney aufzureißen. Das Augie’s liegt ein paar Querstraßen weiter. Es ist eine Eckkneipe mit einem Hinterzimmer, in dem der Besitzer Pete Wang an mehreren Abenden die Woche Kartenspiele organisiert. Donnie hat keine Ahnung von so was. Sie könnten alles Mögliche spielen, Poker, Blackjack, Mau-Mau. Aber Sottile hat recht mit seiner Frage. Warum sollten sie Giuseppe mitspielen lassen, wenn er pleite ist? Trotzdem setzt Donnie darauf, dass Giuseppe im Augie’s ist. Diese kranken Arschlöcher schaffen es immer, sich reinzuzecken. Donnie hat das oft genug mitgekriegt, sowohl bei seiner Arbeit bei der Polizei als auch bei der für Big Time Tommy. Wenn man für die Bahn aufs Abstellgleis zahlen müsste, dann würden die übers Drehkreuz springen. Wie sein alter Herr gerne gesagt hat: A chi vuole, non mancano modi. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Giuseppes Frau, sie heißt Rosemarie, sitzt wahrscheinlich zu Hause am Küchentisch und betet mit gesenktem Kopf den Rosenkranz. Ihr nichtsnutziger Ehemann verspielt derweil alles, was sie haben, während ihr versiffter Sohn versucht, ein Mädchen flachzulegen, das wahrscheinlich gerade erst aus seinem Trainings-BH rausgewachsen ist. Das Augie’s liegt dunkel da, als sie dort eintreffen, aber das heißt nichts. Sie lehnen sich gegen die Mauer des Friseurladens an der Ecke gegenüber.
»Was machen wir jetzt?«, fragt Sottile.
»Rumstehen und warten? Oder reinstürmen?«
Donnie klopft mit dem Schläger auf den Gehweg. »Ich muss nachdenken.«
Letztlich beschließen sie zu warten. Sottile ist genervt und sagt, sie hätten wenigstens so schlau sein sollen, eine Flasche Jack mitzunehmen. Donnies Plan ist, sich Giuseppe zu schnappen, sobald er aus dem Augie’s tritt, ihn nach Hause zu schleifen, in den Kofferraum seines Ford Tempo zu verfrachten und zur Marine Parkway Bridge zu bringen. Kniescheiben zertrümmern ist doch albern. Ihn gleich ins Wasser werfen findet Donnie besser. Dann sind sie diese Nervensäge ein für alle Mal los. Und geben seinem versifften Sohn Mikey mit einem toten Daddy und einem Berg Schulden was zu denken. Er will jemandem was wegnehmen, so wie ihm Gabe weggenommen wurde.
»Das ist Schwachsinn«, sagt Sottile.
»Geh heim«, sagt Donnie.
»Nimm deinen Tampon raus und gönn dir deinen Schönheitsschlaf.« Pags wiehert los.
»Sehr lustig«, sagt Sottile.
Es dauert eine halbe Stunde, bis Giuseppe aus der Seitentür des Augie’s rausstolpert, die Kappe in der Hand, die Schultern gebeugt. Es ist die Haltung der Dauerlusche. Wahrscheinlich zündet der Trottel am Schrein der heiligen Maria der Dauerluschen regelmäßig eine Kerze an. Er hat Bartstoppeln und dunkle Ringe unter den Augen. Im echten Leben ist der Mann Mathelehrer – geht er etwa so zum Unterrichten in die Schule?
»Seht ihr?«, sagt Donnie.
»Ich hab den sechsten Sinn.«
»Und jetzt?«, fragt Pags. »Gehen wir aufs Ganze?«
»Folgt mir.«
Donnie hebt den Schläger und läuft auf Giuseppe zu. Pags und Sottile wanken hinterher. Aus dem Klang ihrer Schritte hört Donnie den Whiskey raus. Giuseppe sieht sie kommen und sinkt auf die Knie, die Kappe gegen die Brust gepresst, im Gesicht nackte Angst. Er weiß sofort, wer sie sind. Er hat sie in letzter Zeit oft gesehen. »Sagen Sie Big Time Tommy, dass ich in zwei Wochen zahle«, ruft er. »Zwei Wochen, mehr brauch ich nicht!« Als Donnie vor ihm steht, streckt er den Schläger aus und berührt damit sanft Giuseppes Nasenspitze. Die Lusche hat einen Riesenzinken. Das wusste Donnie schon, aber aus der Nähe wirkt er noch größer, noch krummer, einfach noch mehr. Giuseppe schließt die Augen und lässt die Kappe auf den Boden fallen. »In zwei Wochen kratzt du fünfundzwanzigtausend zusammen?«, fragt Donnie. Sottile sieht sich um, blickt die Straße rauf und runter, auf die Scherengitter der Ladenschaufenster, späht in die Schatten auf der Suche nach Gesichtern. Es passt ihm nicht, dass sie sich den Mann auf offener Straße vorknöpfen, und vielleicht hat er recht. »Steh auf«, sagt Donnie zu Giuseppe. Sie gehen die paar Blocks zu Donnies Haus. Den ganzen Weg über stupst Donnie Giuseppe mit dem Schläger in den Rücken. Zwei Leuten begegnen sie, einem jüngeren Mann mit Kopfhörer und einem älteren um die fünfzig, der halb besoffen wirkt. Beide würdigen sie oder den Schläger keines Blickes. Giuseppe will sich aus dieser Situation winden, will Versprechungen machen, aber jedes Mal wenn er den Mund aufmacht, stößt Donnie fester zu. Inzwischen ist der Schulhof leer. Antonina liegt bestimmt zu Hause im Bett.

Donnie fragt sich, was mit Mikey ist – musste er ins Krankenhaus, oder ist er zu Hause bei seiner Mutter und die beiden machen sich Sorgen um den guten Giuseppe? Donnies Ford Tempo steht am Ende der dunklen Einfahrt. Sie steigen ein. Donnie setzt sich auf die Rückbank und legt den Schläger quer über seinen Schoß, Giuseppe kommt neben ihn, Pags nimmt hinterm Steuer Platz und Sottile auf dem Beifahrersitz, den er nach hinten gleiten lässt, bis er gegen Giuseppes Knie stößt. Es riecht nach Schnaps. »Und, wohin geht’s?«, fragt Pags und klappt die Sonnenblende runter, hinter der neben dem Gedenkbildchen von Gabes Beerdigung, das Donnie dorthin geklebt hat, der Schlüssel steckt. Pags weiß, worauf das hier rausläuft. Deshalb hat er sich gleich hinters Steuer geklemmt. »Fahr einfach Richtung Riis Park«, sagt Donnie. Pags nickt und lässt den Motor an. Er weiß Bescheid. Donnie platziert den Schläger zwischen seinen Beinen. Für solche Gelegenheiten hat er immer ein paar Utensilien im Auto. Unter anderem eine Rolle Klebeband. Er überlegt, ob er Giuseppe Beine und Hände fesseln und den Mund zukleben soll. Aber dann entscheidet er sich dagegen. Mit Klebeband sieht es garantiert nicht nach Selbstmord aus, was natürlich das Beste wäre. Pags stößt langsam rückwärts aus der Einfahrt und schrammt beinahe die Hausmauer.
»Was haben Sie mit mir vor?«, fragt Giuseppe.
»Erfährst du früh genug«, sagt Donnie.
»Ich besorge das Geld, versprochen.«
Pags hat den Tempo mittlerweile auf die Straße manövriert, haarscharf an einem parkenden Auto vorbei. Donnie kennt es. Ein Citation. Er gehört Mr. Papia ein paar Häuser weiter. Die Scheinwerfer des Tempo leuchten nicht, und Donnie schnauzt Pags an, dass er sich zusammenreißen soll. Pags schaltet die Scheinwerfer ein. Sottile ist eingeschlafen und sägt, als würde er dafür bezahlt. An der nächsten Querstraße fahren sie rechts auf die Twenty-Fourth Avenue und wieder rechts, an der Ampel an der Cropsey links, und dann geht es auf dem Belt Parkway Richtung Osten. Bis auf die üblichen Deppen, die mit hundertdreißig die Straße entlangbrettern, ist praktisch kein Verkehr. An der Ausfahrt Flatbush Avenue South fahren sie runter Richtung Rockaways. Die Fahrt dauert nicht lange, unter normalen Umständen eine Viertelstunde oder weniger, aber weil Pags langsamer als normal fährt und immer wieder aufs Bankett schlenkert, brauchen sie fast fünfundzwanzig Minuten. Sie haben keine Angst, angehalten zu werden.
»Die Brücke?«, fragt Giuseppe.
»Ich kann nicht richtig schwimmen. Bitte.«
»Chi ha fatto il male, faccia la penitenza«, sagt Donnie mit schleppender Stimme, ein Zitat von seinem Vater, der für alles einen schlauen Spruch wusste.
»Wie man sich bettet, so liegt man.«
»Ich bin ein aufrechter Mann«, sagt Giuseppe. »Ich habe eine Familie. Ich bin Lehrer. Ich unterrichte gerade in der Summer School. Das können Sie mir nicht antun.«
»Du bist aufrecht? Der Einzige, der in diesem Auto aufrecht ist, ist der kleine Mann in meiner Hose.« Donnie lacht.
»Eins kann ich dir jedenfalls sagen, der Junge, den du großgezogen hast, ist einen Dreck wert.« Giuseppe sieht ihn verwirrt an.
»Was wissen Sie von meinem Sohn?«, fragt er zunehmend verzweifelt. Jetzt bedrohen sie auch noch seine Familie, glaubt er.
»Lassen Sie meinen Sohn aus der Sache raus. Und meine Frau. Das Geld schulde ich Ihnen, niemand sonst. Machen Sie mit mir, was Sie wollen, aber lassen Sie meine Familie da raus.«
Auf einmal edelmütig, der stronzo. Sie halten auf der Ostseite der Brücke. Um die Uhrzeit ist weit und breit kein Auto zu sehen. Donnie hat die Brücke höher in Erinnerung. Schon eine Weile her, seit er das letzte Mal hier war, und damals war er nicht ganz nüchtern. Es ist eine Hubbrücke. Gehoben ist sie höher. Aber im Normalzustand wie jetzt geht’s wahrscheinlich keine zwanzig Meter weit nach unten. Das kann Giuseppe überleben, dann ist es eben so. Wenn nicht, dann nicht. Beides ist okay. Donnie zuckt die Achseln. Allerdings hat Giuseppe gesagt, dass er nicht richtig schwimmen kann. Gut möglich also, dass er untergeht wie ein Stein. Donnie schaut zu den im Mondlicht schimmernden Brückentürmen hoch. Er schaut auf die Verrazano Bridge in der Ferne. Was die Höhe angeht, wäre das natürlich die bessere Alternative gewesen, aber da ist die ganze Nacht hindurch Verkehr.
»Bitte«, sagt Giuseppe. »Sie sind doch Cops. Sie sollen Leute wie mich beschützen.«
»Was weißt du schon«, sagt Donnie. Sottiles Schnarchen erfüllt das Auto. Donnie handelt schnell. Er befiehlt Giuseppe auszusteigen und folgt ihm. Erst als er ihm den Schläger in den Rücken stößt, wird Donnie bewusst, dass das nicht seine Pistole ist. Er wünschte, er hätte sie. Was soll er tun, wenn der Kerl auf den paar Metern losflitzt? Soll er zurück ins Auto springen und Pags befehlen, ihn zu überfahren? Im besten Fall wäre das nervig, im schlimmsten eine Mordssauerei. Aber Giuseppe rennt nicht los. Wahrscheinlich glaubt er immer noch, dass es nur eine leere Drohung ist. Wahrscheinlich denkt er, dass sie ihm zeigen wollen, wie nah er dem Tod ist, dass sie ihn von der Brücke baumeln lassen und dann mit einer letzten Warnung laufen lassen. Wäre nicht der Erste, der glaubt, dass die Hinrichtung noch mal aufgeschoben wird. Donnie würde eine Million daraufsetzen, dass er gerade den Entschluss fasst, morgen neu anzufangen. Kein Spielen mehr, nur noch Familie. Bestimmt fleht er gerade Gott an und verspricht ihm alles Mögliche. Als Giuseppe die Brüstung erreicht, will er etwas zu Donnie sagen, aber Donnie stößt ihm den Schläger in den Rücken, dieses Mal mit aller Kraft. Giuseppe schwankt, dann kippt er über die Brüstung. Sein Oberkörper klappt nach vorne, seine Arme rudern, und die Füße hängen in der Luft. Donnie muss noch einmal zustoßen, um ihn ganz über die Brüstung zu befördern. Der billige Hosenstoff streicht über Donnies Hand, als Giuseppes rechtes Bein in die Höhe schnellt, dann verschwindet Giuseppe und stürzt mit dem Kopf voran in den Rockaway Inlet. Den ganzen Weg hinunter schreit er. Donnie wartet nicht einmal, um zu sehen, wie er sich im Wasser schlägt. Er steigt wieder ins Auto und sagt Pags, er solle ihn nach Hause fahren, er sei müde.