Gunnar Staalesen: Kalte Herzen

Leseprobe

© Christoph Kretschmer / Adobe Stock

Für einen Moment standen wir da und starrten einander an. Dann knallte der eine die Tür hinter sich zu. »Und wen zum Teufel haben wir hier? Den Weihnachtsmann?«

Der andere grinste. Ich kannte die Nummer. Laurel und Hardy. Abbott & Costello. Und sie kamen immer in zwei Formaten.

Der Größere führte das Wort. Er war um die vierzig, eins neunzig, breitschultrig und gewandet in einen dunklen, halblangen Wintermantel, als ob er geradewegs von der letzten Vorstandssitzung der Bank käme. Der Grinsende sah eher aus wie sein Laufbursche. Er trug eine Lederjacke und blaue Jeans und hatte sich einen dicken grau gesprenkelten Schal um den Hals gewickelt. Keiner der beiden wirkte besonders sympathisch, jedenfalls nicht nach meinen Maßstäben.

Ich kam zu dem Schluss, dass ich ihnen zuvorkommen musste. Also trat ich einen Schritt vor, streckte die Hand aus und stellte mich als Henriksen vom Finanzamt vor.

Der Große blickte voller Verachtung auf meine Hand, so als ob er sie am liebsten in zwei Teile gebrochen hätte. »Finanzamt. Und was zum Teufel …«

»Kennen Sie Frau Monsen vielleicht? Wo Sie doch ihren Wohnungsschlüssel haben, meine ich.«

Er kam einen Schritt näher, und ich nahm den starken, ein wenig zu süßen Geruch seines Rasierwassers wahr. »Dann zeig uns doch mal deinen Ausweis, Herr Henriksen vom Finanzamt.«

Ich erwiderte seinen Blick. »Wie war noch gleich der Name?«

Der magere Laufbursche schaute nervös zu dem Großen auf.

»Das kann dir doch scheißegal sein.«

»Dann kann dir auch mein Ausweis scheißegal sein. Aber wir können mal kurz bei der Polizei anrufen, wenn du nicht so genau weißt, wer von uns da mehr zu verlieren hat.«

»Kjell«, sagte der Kleine.

»Fresse halten!«

Kjell starrte mich unfreundlich an. Dann legte er mir die Hände flach auf die Brust und stieß mich rückwärts. »Und was hat das Finanzamt hier zu suchen?« Ich fand das Gleichgewicht wieder und zog mich ins Wohnzimmer zurück, um größere Bewegungsfreiheit zu haben. Die beiden kamen hinterher. Der Kleine blieb in der Türöffnung stehen. Kjell folgte mir auf dem Fuße.

»Es liegen triftige Verdachtsgründe vor«, sagte ich. »Zum Beispiel auf illegale Einkünfte.«

Er schaute mich gereizt an. »Illegale Einkünfte?«

»Kennt ihr Frau Monsen? Wisst ihr, wovon sie lebt?«

»Du, Henriksen … ich glaube, die Behörden haben absolut keinen Grund, hier rumzuschnüf…«, er verstummte. »Wie bist du hier überhaupt reingekommen?«

Mir war klar, dass ich mich jetzt auf dünnes Eis begab. »Ich habe den Schlüssel geliehen, von jemandem in der … Familie.«

»Rolf …«

Dieses Signal war deutlich genug gewesen, aber Rolf war schneller, als ich erwartet hatte. Er umrundete seinen Kumpel. Plötzlich hielt er ein Springmesser in der Hand. Er kam auf mich zu, presste mich mit dem einen Arm an die Wand und drückte mir die Klinge gegen den Kehlkopf, so fest, dass mir das Atemholen schwerfiel.

»Bloß nicht bewegen!«, fauchte er mir ins Ohr.

»Denn sonst …«

Kjell trat neben ihn. »Wenn er auch nur eine unerwartete Bewegung macht, schlitz ihn auf!«, befahl er. »Jetzt wollen wir erst mal nachsehen, wer er ist, ob ihm das nun passt oder nicht.«

Er schob die Hand in meine Jacke und suchte mit geübtem Griff nach Innentaschen, öffnete den Reißverschluss der einen und zog meine Brieftasche heraus. Dann trat er einige Schritte zurück und sah die Brieftasche durch.

Es dauerte nicht lange, da stieß er einen langen Pfiff aus. »Henriksen, was? Vom Finanzamt!«

Er hielt meinen Führerschein und meine Bankkarte in die Luft. »Und wem gehört dann das hier? Hast du das gestohlen?«

Rolf schaute zur Seite. »Was steht da, Kjell? Wie heißt er?«

»Veum, steht hier. Varg Veum. Und hier hat er sogar Visitenkarten. Varg Veum, Privatermittler. Strandkai zwei. Leck mich doch mit deinem Finanzamt!«

»Ein privater Schnüffler? Was zum Teufel will der denn hier?«

»Na, das können wir ihn ja fragen.«

»Ja, du hast meine Stimmbänder ja nicht ganz zerschnitten«, murmelte ich mit gepresster Stimme, doch dann merkte ich, dass der Druck der Klinge ein ganz klein wenig nachließ.

»Was zum Teufel machst du hier, Veum?«

»Dasselbe wie ihr, vermute ich mal. Suche nach Maggi.«

»Und wer hat dich damit beauftragt?«

»Die … Familie.«

»Die Familie? Bring mich hier nicht zum Lachen. Die haben sich doch verdammt noch mal nie gekümmert.«

»Die Schwester«, sagte ich.

»Die Schwester?« Kjell sah Rolf an, und der zuckte mit den Schultern. Dann wandte Kjell sich wieder an mich. »Und wieso hat die plötzlich solche Sehnsucht nach der kleinen Maggi?« »Wenn unser Freund Rolfi das Messer ein bisschen wegnehmen könnte, wäre es vielleicht möglich, ein eher zivilisiertes Gespräch zu führen.«

»Du, die Gespräche, die wir führen, Veum, sind nur selten besonders zivilisiert. Schon gar nicht, wenn uns jemand bei der Arbeit stört.«

»Ich könnte euch ja die Gegenfrage stellen. Was zum Teufel macht ihr hier? Mit welchem Recht brecht ihr in andrerleuts Wohnungen ein?«

Kejll grinste höhnisch. »Andrerleuts Wohnungen? Und wem zum Teufel gehört die Wohnung hier, was glaubst du? Möchtest du vielleicht den Mietvertrag sehen?«

»Dann hast du also die Verantwortung für die gemütliche Einrichtung?«
»Was soll das heißen? Gefällt dir was nicht? Dieses strahlende …« Er hielt inne, denn sein Blick fiel auf die blaue Tasche von Fjord Line, die ich auf dem Sofa hatte liegen lassen, nachdem ich mich davon überzeugt hatte, dass sie leer war. Er lief hinüber, öffnete die Tasche und kam zu derselben Erkenntnis. Als er sich wieder zu mir umdrehte, hatte er die Augen drohend zusammengekniffen. »Sag mal, du hast die doch wohl nicht leer gemacht, oder?«

»Was denn leer gemacht? Die war leer.«

»Sicher?«

Ich schaute Rolf an. Sein Blick war hellwach und listig. »Wärst du unter Umständen bereit, das Messer wegzunehmen?«

Sein Blick veränderte sich. Es tauchte ein Funken Humor darin auf, und dann deklamierte Rolf: »Früh aufstehen soll, wer den andern sinnt um Haupt und Habe zu bringen: Dem schlummernden Wolf glückt selten ein Fang, noch schlafendem Mann ein Sieg.«

»Hä?«

»War das etwa zu hoch für dich, Veum?«, fragte Kjell. »Rolf ist ein belesener Mann, muss du wissen.«

»Ich wollte eigentlich niemanden um Haupt und Habe bringen.«

»Nein? Was wolltest du dann?« Er hob die blaue Tasche hoch. »Was weißt du hierüber, Veum?«

»Was soll es darüber zu wissen geben?« Als er diese Frage nicht beantwortete, fügte ich hinzu: »Nichts.«

»Was weißt du über Maggi?«

»Hör mal … sie ist seit Freitag verschwunden. Ihre Familie macht sich Sorgen.«

»Der Familie ist sie scheißegal!«

»Eine Freundin eben.«

»Ach was. Jetzt kommen wir der Sache schon näher. Eins von den anderen Mädels?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Ich habe jedenfalls den Auftrag, mich nach ihr umzusehen.«

Er starrte mich an. »Aber wir machen uns auch Sorgen, Veum. Sie hat ihre Miete nicht bezahlt, um es mal so zu sagen.«

»Und wie oft muss sie das tun? Jeden Tag oder einmal pro Woche?«

»Wir haben eine feste Abmachung, und die hat sie nicht eingehalten, seit …«

»Freitag?«

»So ungefähr.«

»Ist in diesem Haus Untermiete überhaupt erlaubt?«

Er schnaubte. »Jetzt geb ich dir einen guten Rat, Veum.«

»So einen guten Rat brauche ich nicht.«

»Weil?« »Ich weiß schon, was du sagen willst.«

»Nämlich?«

»Dem übeln Mann eröffne nicht, was dir Widriges widerfährt«, schaltete Rolf sich ein.

»Das reicht«, sagte Kjell. »Der kapiert das ja doch nicht. Drück mal ein bisschen fester auf seinen Hals, damit er begreift, dass ich das ernst meine, was ich jetzt sage.«

Rolf befolgte den Befehl. Er presste die Messerklinge nach innen und nach oben, so dass ich mich auf die Zehenspitzen stellen musste, um nicht verletzt zu werden. »Hör auf!«, stöhnte ich.

»Folgendes, Veum: Du kannst zurückgehen zu denen, die dir den Auftrag erteilt haben, und sagen, dass du den ganzen Scheiß fallen lässt. Dass Maggi nirgendwo aufzutreiben war, dass ihre Wohnung leer war, dass sie sich sicher melden wird, wenn sie zurück ist von … von da, wo sie sich eben gerade aufhält.«

»Und wo sollte das sein? Im Urlaub? Dir ist doch klar, dass ein Kunde ihr vor einigen Tagen furchtbare Angst gemacht hat?«

Wieder kniff er die Augen zusammen. »Ein Kunde? Woher weißt du das?«
Ich gab keine Antwort. »Woher weißt du das, hab ich gefragt! Rolf!« Er gab Rolf ein Zeichen, das Messer noch ein Stück höher zu drücken. Ich spürte, dass meine Haut gleich reißen würde.

»Du hast meine Karte gesehen. Ich bin Privatermittler. So arbeite ich eben.«

»Du hast dich in der Szene umgehört?«

»Ich habe gehört, dass ein Kunde Maggi Angst eingejagt hat, solche Angst, dass sie keine Tour mit ihm machen wollte. Eine andere ist eingesprungen und gewaltig misshandelt worden.«

»Eine andere? Welche denn?«

»Mir ist kein Name genannt worden.« Ich sah keinen Grund, ihm den zu verraten.

»Und wann soll das passiert sein?«

»Freitag.« »Freitag.« Er sah Rolf an, und der reduzierte den Druck auf das Messer ein klein wenig. »Hast du was darüber gehört?«

»Nein. Ein unkluger Mann, der zu andern kommt …«

»Mit anderen Worten … Wenn wir rausfinden könnten, wer diese Kerle waren …«

»Du, Veum, du sollst überhaupt nichts rausfinden. Wenn sich rumspricht, dass ein Privatermittler in der Szene rumschnüffelt, wird es hier draußen so einsam werden wie auf der Rückseite des Mondes.«

»Wenn es sich wo rumspricht?«

»Du weißt, was Sache ist. Wenn du dich hier noch einmal blicken lässt …«

»Ich gehe ja eigentlich mindestens einmal pro Woche um Nordnes herum.«

»Wenn du versuchst, Kontakt zu einem der anderen Mädchen aufzunehmen …«

»Ach, mit anderen Worten, du hast noch weitere Untermieterinnen?«

»Kurz gesagt, wenn unsere Wege sich ein weiteres Mal kreuzen, dann hast du verdammt schlechte Karten. Ist das klar?«

»Klar wie der Mondstrahl, aber nicht ganz so schön.«

»Rolf. Ritz ihn ein bisschen.«

Wieder demonstrierte Rolf seine Fingerfertigkeit. Der Druck auf meinen Kehlkopf verschwand für ein, zwei Sekunden, während das Messer herumgewirbelt wurde und ich einen brennenden Schmerz spürte, wo Rolf rasch und effektiv einen Schnitt vom Ohr zum Schlüsselbein vollführte. Nicht tief. Nicht gefährlich. Aber tief genug, dass ich zum Taschentuch greifen musste, um die Blutung zu stoppen.

Kjell warf mir meine Brieftasche zu, so schnell, dass ich sie nur mit Mühe auffangen konnte. Er grinste. »Verstanden, Veum? Nächstes Mal stechen wir tiefer. Bis nach ganz unten. Bring ihn raus.«

Rolf tat, wie ihm sein Herr und Meister geheißen. Auf dem Weg zur Tür murmelte ich: »Das Vieh stirbt, die Freunde sterben …«

»… endlich stirbt man selbst«, gab er leise zur Antwort, ehe er die Tür öffnete und mich ins Treppenhaus stieß.

Ehe ich mich umdrehen konnte, hatte er die Tür schon wieder zugeknallt.