Schlaflose Nächte

Ein Nachwort von Estelle Surbranche
©Max Soklov / Adobe Stock

»Das ist mein erster komischer Roman«, verkündet Tahar Ben Jelloun sofort. Das berühmte Mitglied der Académie Goncourt, Intellektueller, politisch engagierte Persönlichkeit, Dichter, Stimme des aufgeklärten Nordafrikas und in Marokko so etwas wie ein Nationalheiligtum, hat sich also entschieden, aus seiner Komfortzone, der sogenannten »weißen« Literatur auszuscheren.

Was hat ihn wohl dazu getrieben? Sich auf dieses Gebiet zu wagen, das die französischen Intellektuellen geringschätzen: Die burleske Fabel ist ihnen nicht schick genug, rüpelhaft und ganz sicher dreckig. Und hier dazu noch schwarz angestrichen, denn es geht um einen Mörder und nicht ganz natürliche Todesfälle.

Tahar Ben Jelloun leidet unter einer zehrenden Krankheit. Einer ernsthaften Qual, die Sie vielleicht kennen: Schlaflosigkeit. Sie wissen schon. Vier Uhr früh, erschauern und weit aufgerissene Augen. Ich denke an absurde Dinge wie den Nachbarn, der seinen Müll nie da entleert, wo er hingehört. Ich denke auch an den angebrochenen Tag, an dem ich aufstehen und zur Arbeit gehen muss. Ich wende den Kopf und das Neongrün des Weckers verkündet: 4:15 Uhr. Scheiße. In zwei Stunden muss ich aufstehen und habe immer noch kein Auge zugetan. Morgen bin ich ein Gespenst. Im Allgemeinen beginnt dann die Existenzangst. Abgrundtief. Schwarz wie die Nacht.

Der für Die Nacht der Unschuld mit dem Goncourt-Preis ausgezeichnete Autor kennt diese Art der Schlaflosigkeit nur zu gut. Seit Mitte der Sechzigerjahre und seinem Aufenthalt in einem Militärgefängnis leidet er darunter. Er war Student und hatte sich getraut, für den Frieden zu demonstrieren. Er dreht und wendet sich in seinem Bett. Irgendwann hält er es dann nicht mehr aus. Er erhebt sich. Räumt auf. Hört das Klirren der Gläser und die betrunkenen Vertraulichkeiten der angeheiterten Gäste der Straßenkneipe gegenüber, in Paris. Dann sagt er sich, aus diesen schlaflosen Nächten könnte ein Buch entstehen. Seine unbändige Sehnsucht nach Schlaf gäbe ein gutes Mordmotiv ab.

In Schlaflos ist die Hauptfigur also ein marokkanischer Drehbuchschreiber, der nicht mehr schlafen kann. Der für ein paar Stunden Schlaf töten würde. Erlauben Sie sich kein Urteil. Alle, die unter Schlaflosigkeit leiden, wissen, dass sie einen in den Wahn treiben kann. Unser irrer Drehbuchschreiber erklärt es ja auch sehr bald. »Vor Kurzem habe ich gelesen, dass Schlafentzug eine der wirksamsten Foltern ist, die in Diktaturen angewandt wird, um Oppositionelle zum Sprechen zu bringen. Eine Variante besteht darin, dem Gefangenen vorzugaukeln, man ließe ihn schlafen, und ihn dann immer wieder unsanft zu wecken. Anscheinend führt der Weg in den Wahn, den leichten oder schweren, immer über Schlaflosigkeit. Depression wiederum kündigt sich oft in schlaflosen Nächten an.«

Am Rand des Wahns ist er also zu allem bereit, um Schlaf zu finden, sogar Vater und Mutter umzubringen. Das trifft sich gut, denn seine sterbende Erzeugerin ist zur Stelle. Er wird also aus Mitleid ihren Tod beschleunigen und merken, dass er danach wie ein Murmeltier schläft. Danke, Mutti! Tahar Ben Jelloun kommt zum Krimi wie sein Drehbuchschreiber zum Mord, ein wenig zufällig. Aber sie haben Blut geleckt. Der Drehbuchschreiber setzt seine makabren Taten fort, um – wie er sie nennt – »Schlafkredit-punkte« zu sammeln, die ihm ermöglichen, zu schlafen und das Leben wieder zu genießen. »Das schmerzfreie Leben fühlt sich herrlich an. Man muss brennende, dauerhafte Kopfschmerzen gehabt haben, um danach die einfachen Momente des Lebens richtig zu genießen, wie etwa unter einem Baum sitzend auf den Sonnenuntergang zu warten mit Blick auf die Loire, die je nach Himmel die Farbe wechselt; mit Freunden etwas zu trinken und zwanglos zu plaudern; einen Schriftsteller zu entdecken und ihn genüsslich zu lesen; einen Teller Spaghetti zu essen, die von der Liebsten zubereitet wurden, und sie auf den Hals zu küssen, wenn sie den Tisch deckt. Ihr zu sagen, dass man sie liebt, sie verehrt, sie einzigartig findet und für die Frau des Lebens hält. Eine Zigarre zu rauchen und einen alten Armagnac zu trinken. Mit einer vertrauten Person Erinnerungen aufzufrischen und auszuschmücken. Auf einem wackeligen Stuhl einen Mittagsschlaf zu halten und sich erotischen Träumereien hinzugeben.« Wer einmal diese Süße eines leichten Lebens voll erholsamem Schlaf gekostet hat, wie soll der damit aufhören?

Als ein wohlmeinender Freund ihm vorschlägt, seine Gabe und seinen völligen Mangel an Schuld-bewusstsein zu nutzen, um sterbende Dreckskerle umzubringen, zögert er kaum. Ein Pädophiler, ein Henker Hassans II oder der reichste Mann Marokkos: Er hat die Wahl, in unserer Welt wimmelt es nur so von Arschlöchern. Schlaflos nimmt damit eine politischere Wendung.

Denn was Tahar Ben Jelloun vielleicht wirklich am Schlafen hindert, ist die Tatsache, dass die Dreckskerle im wahren Leben sorglos schlafen können. Schlimmer noch, sie sterben in aller Ruhe und mit jedem Komfort in ihren weichen Betten, ohne von der Justiz der Menschen oder von Gott behelligt zu werden.

In einem korrupten Marokko, wo ein paar Geldscheine das Schweigen der Familie eines missbrauchten kleinen Mädchens und ein Befehl des Königs die Seele eines Mannes erkaufen, kommen die Dreckskerle oft problemlos davon.

Ernsthaft, nur in Romanen oder in Hollywoodfilmen haben die Bösen Gewissensbisse. So hat der Folterer Tahar Ben Jellouns, der ihn 1965 in den Militärlagern General Oufkirs quälte, sicher zu Hause wie ein Murmeltier geschlafen. Das ist selbstverständlich, er wusste, dass er gute, professionelle Arbeit leistete.

In Schlaflos behandelt der sechsundsiebzigjährige Autor Euthanasie, Korruption und das Gewicht eines Menschenlebens wie einen Witz (aber kann man überhaupt anders mit schwerwiegenden Themen umgehen?). Denn für diesen Drehbuchschreiber hat nicht jedes Menschenleben den gleichen Wert: Es bringt ihm, je nach gesellschaftlicher Stellung, nicht die gleiche Anzahl Schlafkreditpunkte ein. Eine Stunde Erholung für das Leben eines Vagabunden, Tausende Stunden erholsamen Schlummers für das eines steinreichen internationalen Drogenhändlers. Tun Sie nicht so empört, wenn Sie das lesen! Sie wissen genau, dass in den Augen der Gesellschaft nicht jeder Mensch gleich ist, ob in Marokko oder anderswo, in unserer geschätzten europäischen Demokratie. Die anonymen in den Fluten des Mittelmeers Ertrunkenen bezeugen das jeden Tag aufs Neue.

Um diesen sich entziehenden Schlaf und diese radikale Methode, ihn einzufangen, zu beschreiben, hat Tahar Ben Jelloun die poetischen Verse und Formen, die ihn berühmt gemacht haben, hinter sich gelassen. Sein Stil ist fieberhaft, fast surrealistisch. Man spürt, dass es ihm einen Heidenspaß bereitet hat, diese Fabel zu verfassen, in der der Leser nach und nach seine Aufregung bei der Vorbereitung der Morde teilt, aber vor allem auch die Freude, durch stundenlangen, tiefen Schlaf daraus Nutzen zu ziehen. Eine begeisternde Farce, ein Krimi aus Versehen: Schlaflos wird Ihnen in Bezug auf die Wirklichkeit die Augen weit offenhalten.