„Manchmal ergreift das Böse den Menschen“

Stefán Máni im Gespräch mit Carsten Germis
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In Deinem Kriminalroman sagt einer der Protagonisten: „Wenn die Gesetze dieser Welt gebrochen werden, öffnen sich die Türen in eine andere Dimension. In eine Dunkelheit, in der das wahre Wissen in Form von reiner Macht lebt, die wir das Böse nennen.“ Gibt es das Böse wirklich?
Ich glaube ja, es gibt das Böse. Es existiert im Herzen der Menschen, sogar im Herzen der Natur oder der Existenz. Das Leben, wie wir es kennen, ist ein Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen dem Rationalen und dem Irrationalen. Wenn Menschen Böses tun, öffnen sie die Pforten der Hölle, dann sind sie die Botschafter des Bösen.

Das musst Du erklären. Was ist für Dich das Böse?
Das Böse existiert nicht als Teufel oder Entität, sondern ist meiner Meinung nach eine Kraft. Es ist wie ein Virus in einem Computerprogramm. Und das Programm ist der Code des Lebens, die Natur. Der menschliche Geist ist ein Teil der Natur. Das Böse existiert in unserem Verstand und in unserem Herzen; es lauert dort. Das Böse hat kein Gesicht, bis es von einem Menschen Besitz ergreift; dann bekommt das Böse ein vorübergehendes Gesicht. Es kann das Gesicht eines Mörders, eines Tyrannen, eines Politikers oder eines Kapitalisten sein.

Mythen spielen in Deinen Romanen eine große Rolle. Gibt es mystisches altes Wissen, das auch in unserer modernen Welt eine Rolle spielt?
Ja, das gibt es. Alle Mythen sind auf die eine oder andere Weise wahr; sie beruhen auf Wissen. Alle Mythen leben ewig. Sie sind in unserer DNA und beeinflussen unser Leben jeden Tag.

Wie wichtig ist dieses „alte Wissen“ für Dich?
Sehr wichtig. Ich kann von ihm lernen. Ich kann versuchen, es zu verstehen, ihm zuzuhören. Was in der Vergangenheit geschehen ist, kann und wird wieder geschehen. Wir sollten alle versuchen, die Vergangenheit zu verstehen und aus ihr zu lernen. Die Wahrheit ist da draußen, war immer da und wird immer da sein. Wir sind die Kinder Gottes und versuchen, unser Schicksal zu verstehen.

Gibt es Parallelwelten, wie sie die Hauptfigur Sölvi in Deinem Roman erlebt haben will?
Ich glaube daran, ja – und viele Wissenschaftler auch. Parallelwelten machen in der Quantenphysik durchaus Sinn. Die Wissenschaft kommt Gott jeden Tag näher.

Krimis aus Skandinavien gelten oft als sehr politisch. In ihnen ist es die Gesellschaft, die die Menschen böse macht. Dein Schreiben passt nicht in dieses Schema. Was machst Du anders? Ich bin nicht an Politik und Gesellschaft interessiert. Ich interessiere mich für altes Wissen, für Mythen und für die unsterblichen Züge der Existenz. Ich bin eine alte Seele. Ich bezeichne mich nicht als isländisch oder skandinavisch oder weiß oder so etwas. Ich bin einfach ein menschliches Wesen namens Stefán Máni. Wir Menschen sind nicht voneinander getrennt. Wir sind eine Seele mit vielen Gesichtern.

Hast Du Vorbilder unter den skandinavischen Krimiautoren? Wer hat Dich besonders beeinflusst?
Vor allem Henning Mankell. Ich mag ihn und seinen Stil sehr. Er ist der Pionier und er ist immer noch der Beste.

Sölvi wird das „Engelsgesicht“ genannt? Ist er die gute Antithese, die gegen das Böse kämpft?
Vielleicht … Aber auch Sölvi ist alles andere als perfekt. Aber niemand ist perfekt. Er ist ein guter Kerl und er hat den Mut, für die Wahrheit zu kämpfen. Er ist so etwas wie ein Held, denke ich. Er ist schwach, aber mutig. Mutig zu sein ist sehr wichtig, denke ich. Er ist ein sehr christlicher Charakter; mit Fehlern, aber er strebt nach dem Guten. Er ist so etwas wie ein Märtyrer. Er ist bereit, sich für die Wahrheit zu opfern.

Mit Sölvi, der Hauptfigur in Deiner Geschichte, stellst Du einen Einzelgänger vor. Die Polizei mit dem Ermittler Hörður taucht zwar immer wieder auf, aber er spielt nicht die entscheidende Rolle. Das ändert sich später in Deiner Grímsson-Serie. Was hat Dich dazu bewogen, dem Ermittler eine größere Rolle zu geben und damit näher an den Mainstream-Krimi zu rücken?
Ich habe mich total in Grímsson verliebt. Ich habe ihn nicht wirklich erschaffen – er kam zu mir als eine Vision; eine Vision in Geist und Fleisch. Er ist real, aber er lebt nur in meinen Büchern – zumindest auf dieser Seite der Existenz. Er ist überlebensgroß und meine Leser lieben ihn wirklich. Ich kann es kaum erwarten, weitere Bücher über ihn in Deutschland zu veröffentlichen.

Dein Schreibstil ist vielseitig. Es gibt Passagen, die fast lyrisch sind, dann gibt es Dialoge oder Handlungen voller Brutalität. Bricht dann das Böse in die Welt ein?
Das Böse ist nicht tot, sondern träumt. Es ist immer da, aber manchmal schläft es. Das Leben ist vielseitig. Der Mensch auch.

Was fasziniert Dich am Krimi? Wann bist Du auf die Idee gekommen, einen Kriminalroman zu schreiben?
Ich habe mich schon immer für Verbrechen und vor allem für Verbrecher und den kriminellen Geist interessiert. Warum begehen Menschen Verbrechen? Wie haben sie es getan? Wurden sie böse geboren oder hat die Gesellschaft sie verändert? In meinem ersten Kriminalroman ging es um einige ungelöste Banküberfälle in Island. Ich wollte diese Raubüberfälle durch meine Figuren planen und begehen. Ich wollte die Beweggründe und die Verbrechen verstehen. Das Buch wurde ein Riesenbestseller. Dann gab es einen Film. Er heißt auf Englisch Black‘s Game.

Du hast einmal über den Horror der dunklen Seite des Mondes geschrieben. Aber Du magst auch Beethovens Mondscheinsonate. Wie passt das zusammen?
Schrecken und Schönheit sind zwei Seiten derselben Medaille. Um das Grauen zu verstehen, muss man in der Lage sein, die Schönheit zu genießen. Das ergibt für mich einen Sinn. In mir gibt es sowohl Licht als auch Dunkelheit.

Persönlich magst Du aber lieber Hard Rock und Heavy Metal. Passt Beethoven dazu?
Die 5. Sinfonie ist Heavy Metal. Wagner war Heavy Metal. Es gibt eine starke Verbindung zwischen Heavy Metal und klassischer Musik. Hör Dir nur mal das Meisterwerk Metal Heart der deutschen Rocker Accept an.

Gibt es etwas, das Du als besonders „isländisch“ an Deinen Krimis beschreiben würdest? Wenn ja, was?
Es ist diese „andere Seite“, über die wir gesprochen haben. Geister, Träume, Visionen und Vorahnungen des Todes.

Was bedeutet „noir“ in der Kriminalliteratur für Dich?
Es bedeutet klassische hartgesottene Detektivbücher. Raymond Chandler usw. 1950er und 60er Jahre. Schwarz und weiß, Trenchcoats, Pistolen und Femme fatale. Ich liebe den Noir in Büchern und Filmen sehr. Zum Noir gehört aber auch das Böse, das Unerklärliche.

An was für einem Kriminalroman arbeitest Du gerade?
Ich arbeite immer. Und ich habe viele Bücher für meine deutschen Leser auf Lager. Seid ihr bereit für Stefán Máni? Ich bin bereit für Deutschland!