Eine weitreichende politische Verschwörung

Adam LeBor im Gespräch mit Günther Grosser
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Was war die größte Herausforderung bei der Konzipierung und beim Schreiben eines Roma-Protagonisten; auf welche Schwierigkeiten sind Sie gestoßen?
Als Reporter in Mittel- und Osteuropa in den 1990er und 2000er Jahren habe ich viele Geschichten über Roma-Communities geschrieben. Häufig ging es dabei um Rassismus und Diskriminierung. Ich schrieb über eine Stadt in der Tschechischen Republik, in der die örtlichen Behörden zur Separierung des Roma-Viertels eine Mauer errichtet hatten; ich interviewte junge Roma-Frauen in der Slowakei, die ohne ihr Wissen und gegen ihren Willen sterilisiert worden waren. Vor allem die letzte Geschichte hat mich nicht mehr losgelassen. Danach wollte ich eine Reihe von Romanen schreiben, in denen der Roma-Protagonist unabhängig und selbstbestimmt ist, d. h. er kann sein Leben selbst in die Hand nehmen, Entscheidungen für sich selbst treffen und mit den Konsequenzen leben. Neben meinen Reportagen verbrachte ich auch einige Zeit mit Roma-Polizisten in Budapest, was mir einen echten Einblick in ihr Leben verschaffte. Ich ging mit ihnen auf Streife und erfuhr von ihren Geschichten und den Schwierigkeiten, mit denen sie konfrontiert waren. Außerdem habe ich weiter recherchiert und viel gelesen. Die Herausforderung bestand darin, authentisch zu sein, ein vielschichtiges, komplexes Bild der Roma-Gesellschaft zu zeichnen, mit nuancierten, realistischen Roma-Charakteren. Meine Roma-Freunde sagen, dass mir das gelungen ist, und das ist das größte Lob für mich.

Ihre Figuren blicken sehr oft aus dem Fenster auf die Stadt Budapest und sind begeistert von der Schönheit, aber auch voller Angst vor den Herausforderungen, voller Erwartungen. Würden Sie Ihre Faszination für die ungarische Hauptstadt mit uns teilen?
Ich besuchte Ungarn zum ersten Mal im Winter 1990, zur Zeit des Systemwechsels. Ich war sofort fasziniert von dieser verwunschenen, schönen Stadt an der Donau. Ich erinnere mich noch an den Nebel, der über dem Fluss aufstieg, als ich über die Kettenbrücke auf die Pester Seite ging. Damals waren viele der Gebäude in der Innenstadt noch mit Einschuss- und Schrapnellnarben von den Kämpfen während der Belagerung am Ende des Zweiten Weltkriegs und dem gescheiterten Aufstand von 1956 gezeichnet. Ich spürte ein sehr starkes Gefühl von Geschichte, etwas fast Greifbares, und das ist bis heute nicht verblasst. Im Laufe der Jahre habe ich beobachtet, wie sich Budapest von einem etwas schäbigen, heruntergekommenen Ort zu einer Stadt entwickelt hat, die sich ihrer frisch restaurierten Schönheit sicher ist und die ihren rechtmäßigen Platz im Herzen Europas einnimmt, eine Metropole mit einem reichen kulturellen, literarischen und architektonischen Erbe. Ich kenne die Stadt jetzt sehr gut, von den schmutzigen Seitenstraßen der heruntergekommenen Viertel bis hin zu den Luxusvillen auf den Budaer Hügeln. Ich weiß, dass jedes Gebäude eine Geschichte aus dem turbulenten Jahrhundert der ungarischen Geschichte erzählt – und dass viele dieser Geschichten eindringlich sind, und nicht nur von Mut erzählen, sondern auch von einem schrecklichen Verrat während des Zweiten Weltkriegs.

Balthasár Kovács ist die Hauptfigur einer Romantrilogie. War das von Anfang an so geplant oder eine Entscheidung während des Schreibprozesses? Ein Schriftsteller sagte mir einmal, dass Figuren manchmal darauf bestehen, mehr zu sagen und zu tun, und dafür mehr Raum brauchen.
Ich hatte immer vor, eine Romantrilogie mit derselben zentralen Figur zu schreiben, ihr eine Reihe von Herausforderungen zu geben und sie auf eine Reise durch verschiedene Abenteuer mitzunehmen. Die Herausforderung beim Schreiben einer Trilogie besteht darin, die einzelnen Bücher miteinander zu verknüpfen, sie aber auch unabhängig genug zu gestalten, sodass der Leser mit Band zwei oder drei beginnen kann, ohne die früheren Bände gelesen zu haben. Außerdem hat es mir Spaß gemacht, eine Reihe zu schreiben, in der viele der Hauptfiguren in jedem Band auftauchen, sodass der Leser sie und ihre Geschichten wirklich kennenlernen kann.

ZWISCHEN DEN KORRIDOREN bewegt sich von einem Kriminal- oder Polizeiroman zu einem Politthriller, ja sogar zu einem Actionthriller, der Fragen der Plausibilität bis an die Grenze ausreizt. Wie sind Sie während des Schreibens mit diesen Fragen umgegangen?

Es stimmt, dass ZWISCHEN DEN KORRIDOREN nicht in ein einziges klassisches Genre passt. Der Protagonist ist ein Kriminalpolizist, das Buch ist jedoch keine reine „Polizei-Verfahrens-Story“. Es geht eigentlich nur sehr wenig um polizeiliche Verfahren. Die ganze Reihe um Kovács ist an Charakteren orientiert. Die Hintergrundgeschichte des Buches ist eine weitreichende politische Verschwörung, die sich auch mit einigen tiefergehenden Fragen zur komplizierten Geschichte Ungarns befasst – und mit der jüngsten Flüchtlingskrise von 2015/16. Ich habe damals darüber berichtet und zwei Dinge begriffen: Der Zusammenbruch der europäischen Grenzen war ein Wendepunkt in der Geschichte mit langfristigen Folgen – und außerdem der perfekte Schauplatz für die Krimiserie, die mir vorschwebte. Ich hatte keinen Plan, wie ich mit den verschiedenen Genres umgehen und sie miteinander verweben sollte, ich habe einfach die Geschichte erzählt, die ich erzählen wollte. Ich schreibe gerne Kampfszenen und habe viel Zeit damit verbracht, diese Schritt für Schritt zu planen. Sie stellen eine Herausforderung dar, aber Schriftsteller brauchen diese Herausforderung. Ich glaube, dass Belletristik zu oft in die eine oder andere Schublade gesteckt wird: Literatur, Krimi oder Thriller. Unsere Aufgabe als Schriftsteller ist es, eine reichhaltige, spannende Geschichte zu erzählen, die unsere Leser fesselt und sie hoffentlich dazu bringt, die Welt oder einen Ort auf eine neue Weise zu betrachten. Genregrenzen sind dazu da, überwunden zu werden.

Haben Sie nach drei Romanen mit Balthazar Kovács weitere Pläne für ihn?
Balthazár gönnt sich im Moment eine wohlverdiente Pause, aber vielleicht kehrt er irgendwann in der Zukunft zurück. Die Bücher sind von Envision Entertainment, einer in London ansässigen Film- und Fernsehgesellschaft, optioniert worden, und wir entwickeln sie derzeit für eine Verfilmung. Ich arbeite dabei mit Alina Serban, einer preisgekrönten Schauspielerin und Regisseurin aus Rom, und Tom Williams, einem britischen Drehbuchautor, zusammen.