Für mich ist das Träumen der Geschichte einfach, das Schreiben ist schwer.

Steph Post im Gespräch mit Lore Kleinert
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Schon nach dem ersten Band Ihrer Trilogie konnten wir davon ausgehen, dass es Judah Cannon nicht gelingen würde, ein friedliches Leben zu führen. Im 2. Band spitzen sich die Ereignisse zu, ein junger Freund der Cannon-Brüder wird erschossen und Judah sinnt auf Rache. Steht er sich selbst im Weg, wenn es darum geht, eine Entscheidung zu treffen?
Das ist eine sehr kluge Frage! Ich denke, besonders in DURCHS FEUER GEHEN ist Judah etwas verloren. Seit dem Beginn des letzten Romans, Lightwood, versucht er, dem kriminellen Erbe der Familie Cannon zu entkommen. Doch weil er seine Entscheidungen weiterhin mit dem Herzen und nicht mit dem Kopf trifft, wird er ständig zurückgeworfen. Er verbringt viel Zeit damit, auf die Ereignisse um ihn herum zu reagieren, anstatt aktive Entscheidungen zu treffen. In diesem Buch jedoch beginnt Judah – angetrieben von seiner Freundin Ramey – »erwachsen« zu werden. Er beginnt, die Verantwortung für seine Handlungen zu übernehmen und Entscheidungen zu treffen, auch wenn sie seinen ursprünglichen Prinzipien zuwiderlaufen. Judah befindet sich in DURCHS FEUER GEHEN in einer schwierigen Lage, und Du hast recht, er könnte in dieser Geschichte sein eigener schlimmster Feind sein.

Sein Widersacher ist jetzt Mr. Weaver – Du sagtest in einem früheren Interview, dass alle Figuren eine dunkle und eine helle Seite haben, aber diese Figur verkörpert die extreme Dunkelheit, nicht wahr?
Genau deshalb war es auch schwierig, ihn als Person zu entwerfen. Einiges aus seiner Vergangenheit kommt im Laufe der Geschichte ans Licht, und normalerweise würde das die Gründe für seine Bosheit erhellen, aber es entschuldigt sie keineswegs. Ich brauchte jedoch eine Figur wie ihn, um bestimmte andere Figuren – Judah, Ramey, Shelia und Clive – an ihre Grenzen zu treiben. In gewisser Weise stellt er eher eine Folie für viele der anderen Figuren dar, sogar für die anderen »dunklen« Figuren. Typisch für meine Figuren ist er eher weniger, aber ich habe ihn für die Geschichte gebraucht.

Wenn Gewalt beschrieben wird, dann sollten die Leser sie auch spüren. Haben Sie lange gebraucht, um die Gewaltszenen zu entwickeln?
Das hängt wirklich von der Art der Gewalt ab. Über Verfolgungsjagden, Schießereien und sogar Zweikämpfe zu schreiben, fällt mir leicht. Ich denke, das liegt daran, dass es sich dabei meist um Action handelt und alle Entscheidungen über die Psychologie der Figuren bereits im Vorfeld getroffen wurden; die Emotionen der Figuren habe ich dann bereits ausgearbeitet. Eine Ausnahme bilden die Szenen – wie die Szene mit Benji im Schuppen –, in denen die Gewalt eher der Spannung als der unmittelbaren Handlung dient. Hier hat die Figur noch Entscheidungen zu treffen, und der Leser erlebt ihre Gefühle in Echtzeit mit. Ehrlich gesagt sind die langweiligsten Szenen für mich am schwierigsten zu schreiben! Ich brauche dann ewig, um detaillierte Einstellungen zu entwerfen.

Die Biker-Gang ist außer Gefecht gesetzt, aber die Predigerin Schwester Tulah erweist sich als weitaus mächtiger als zuvor. Sie entwickeln diese Figur hier weiter, kommen ihr viel näher und entwickeln vor allem ihre Beziehung zur politischen Macht. Was macht sie so stark? Werden wir irgendwann mehr über ihre eigene Geschichte herausfinden?
Oh, ja. Ich will nichts verraten, aber Schwester Tulah geht den ganzen Weg, bis zum dritten Buch der Reihe, Holding Smoke, wo wir endlich erfahren, wie sie tickt. Sie ist eine meiner absoluten Lieblingscharaktere, und eines der Dinge, die ich beim Schreiben von DURCHS FEUER GEHEN geliebt habe, war, dass ich für sie eine Welt außerhalb ihrer Erweckungskirche erschaffen konnte, die sie noch in Lightwood so stark geprägt hat. Sie hat eine so gewaltige Kraft, und es war mir wichtig, zu erforschen und zu zeigen, wie sie es geschafft hat, eine solche Macht zu erlangen. Was mir an Tulah besonders gefällt, ist die Tatsache, dass sie eine so große spirituelle und religiöse Macht über ihre Anhänger hat, aber gleichzeitig so fest in der Realität verankert ist. Sie ist klug, sehr klug, wenn es um die Machenschaften der Welt geht, die sie angeblich verabscheut. Zugleich ist sie geradezu lächerlich arrogant und rücksichtslos – eine gefährliche Kombination. Aber ich wollte auch nicht, dass sie nur als Scharlatanin rüberkommt. Sie ist eine wahre Gläubige – wie man im Buch erfährt – aber eben nicht auf die Art und Weise, die man vielleicht erwartet.

Sie haben Special Agent Clive Grant auf ihre Spur gesetzt, aber seine Chancen sind gering – zu mächtige Gegner, zu viele schweigsame, eingeschüchterte Menschen – wie realistisch ist dieses Szenario?
Es ist insofern realistisch, als dass es genau das ist, was in der realen Welt passieren würde, aber nein, Clive Grant hat nie eine Chance gegen Schwester Tulah. Und ich denke, die Leser wissen das von Anfang an. Er ist kein Superdetektiv. Er ist ein Bürokrat, der genauso wenig in Bradford County sein will wie Tulah ihn dort sieht. Aber in vielerlei Hinsicht ist Clive wie die Leser und Leserinnen in DURCHS FEUER GEHEN. Er ist der Außenseiter, der versucht herauszufinden, was zum Teufel los ist und warum niemand etwas gegen die Biker, die Verbrecherfamilien und die Frau, die den Bezirk von ihrer Kanzel aus regiert, zu unternehmen scheint. Damit dem Leser die Welt von DURCHS FEUER GEHEN nicht zu abgehoben erscheint, tritt Clive auf, um dem, was wir erleben, Kontrast und Ernsthaftigkeit zu verleihen.

Können Sie uns mehr über die Figur des Special Agent Grant als Vertreter des Staates erzählen? Judah und Ramey könnten ihm potenziell behilflich sein, aber das Misstrauen gegenüber dem Staat und seinen Agenten ist viel zu groß – ist das auch in den ärmeren Gegenden des »gelobten Landes« eine Realität?
Ich kann nicht für den Rest der Vereinigten Staaten sprechen, aber in der Gegend, in der dieses Buch spielt – und in den vielen armen, ländlichen Gegenden, in denen ich gelebt oder sie aus erster Hand erlebt habe – gibt es nur sehr wenig Vertrauen in die organisierte Regierung. Special Agent Grant arbeitet für das ATF und ist damit auf der Seite der US-Bundesregierung. Ungeachtet dessen, was er persönlich weiß, glaubt er an die Macht der Regierung, dem einfachen Volk Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Keine andere Figur in diesem Buch glaubt jedoch daran. Von Schwester Tulah bis hin zu Ramey Barrow wird niemand die Polizei um Hilfe bitten, denn all ihre Erfahrungen in der Vergangenheit haben sie gelehrt, keine Macht abzugeben. Selbst wenn sie nur ihre Würde haben und sonst nichts, fürchten sie, dass diese ihnen genommen werden könnte.

Bruder Felton ist diesmal ein Spieler, der Tulah gefährlich werden könnte, eine Art Joker. Was treibt ihn an, abgesehen von seinen Schlangen, die Tulah Angst einjagen?
Er ist ein weiterer Lieblingscharakter, der im dritten Roman der Reihe, Holding Smoke, eine sehr wichtige Rolle spielen wird. Was ich an ihm liebe, ist die Art und Weise, wie er sich im Laufe der Serie von einer Art stümperhaftem Handlungselement zu einem wichtigen Akteur in der Geschichte entwickelt. Ich will nicht zu viel verraten, aber Felton ist hier der gefährliche Außenseiter. Niemand nimmt ihn ernst – er schätzt sich anfangs nicht einmal selbst –, aber als sich die Art und Weise, wie er die Welt erlebt, zu verändern beginnt, wächst sein Selbstvertrauen und seine Macht. Er beginnt zu erkennen, dass er etwas zu sagen hat und nicht nur der dumme Neffe von Schwester Tulah ist. In gewisser Weise verkörpert er wirklich das Motiv der »Schlange im Gras«. Wir würden ihn nie verdächtigen, aber es wäre unklug, ihn zu unterschätzen.

Reden wir über Ramey, die die bessere, starke Seite von Judah verkörpert und gleichzeitig ihre eigene Rolle finden muss. In diesem zweiten Roman gelingt ihr das immer besser, zumal sie sich unerwartete Verbündete suchen kann. Aber sind ihre Chancen in dieser männerdominierten Gesellschaft nicht immer noch zu gering?
Eines der Dinge, die ich bei Rameys Charakter angestrebt habe, war, sie kompliziert und komplex zu machen. Sie muss sich in der von Männern dominierten Gesellschaft, in der sie sich behaupten will, über Wasser halten, aber sie ist keineswegs ein Engel. Das gilt umso mehr für die Figur der Shelia und auch für Schwester Tulah. In vielerlei Hinsicht ist Ramey der kühle Kopf und der moralische Kompass der Geschichte, aber sie ist keine Märtyrerin und ich hoffe, dass sie nicht auf ein Podest gestellt wird. Mit den Frauen in dieser Geschichte wollte ich zeigen, wie sie ihre persönlichen Stärken voll auszuspielen lernen. Rameys Intelligenz und Willenskraft, Shelias Zähigkeit und Entschlossenheit und Tulahs Furchtlosigkeit und ihre Fähigkeit, andere zu manipulieren, machen sie alle zu starken, mächtigen Spielerinnen in diesem Spiel. Vielleicht weil sie in einer so männerdominierten Gesellschaft leben und schon immer kämpfen mussten, kämpfen sie oft härter als die Männer.

Judah greift – aus der Not heraus – immer wieder auf seine Familie und deren Werte zurück, obwohl er weiß, wie wenig sie ihm helfen. Sein verletzter und deshalb verbitterter Bruder Benji spielt hier eine ganz andere Rolle als zuvor, und Levi, der im ersten Band verschwunden war, kehrt zurück – wird diese Dynamik zwischen den drei Brüdern die Handlung weiter vorantreiben?
Auf jeden Fall. Ich glaube, für alle drei Brüder ist es wichtig, einen Weg zu finden, ihre Rollen als Individuen zu definieren, nicht nur als Mitglieder eines Kollektivs. In LIGHTWOOD waren sie die Söhne von Sherwood Cannon. Ohne ihn sind sie aber immer noch die ›Cannon Brothers‹. In DURCHS FEUER GEHEN geht es mir vor allem darum, dass diese Charaktere wachsen und sich verändern, während sie darum kämpfen, neue Rollen innerhalb der Cannon-Familie zu finden. Aber am schwierigsten wird es für sie sein, herauszufinden, wer sie außerhalb des Namens Cannon sind. Ich denke, eine der größten Herausforderungen für sie ist es, sich als jeder Einzelne zu behaupten.

Ihre Figuren treffen manchmal die falschen Entscheidungen. Aber Sie lassen sie nachvollziehbar erscheinen – ist Empathie wichtig für Ihr Schreiben?
Das ist sehr wichtig. Mit Ausnahme eines Charakters wie Weaver, den ich bereits erklärt habe, versuche ich immer, die Schwachstellen einer jeden Person zu zeigen. Ja, wir brauchen manchmal diese extremen Schurken. Aber noch wichtiger ist es, dass wir verstehen, warum eine Figur so geworden ist, wie sie ist. Oder die schrecklichen Entscheidungen getroffen hat, die sie getroffen hat. Es wäre zu einfach, zu verallgemeinern oder abzulehnen. Und es ist zu einfach, einen Schlussstrich zu ziehen und zu sagen: »Diese Person ist gut und jene Person ist schlecht«. Ohne die Sache durch eine moralische Brille zu betrachten – Charaktere, die nicht »grau« sind, sind langweilig. Schurken ohne Geheimnisse sind langweilig. Helden ohne Makel sind langweilig. Und eigentlich ist überhaupt jede Figur ohne eine gewisse Verletzlichkeit langweilig. Und wenn man diese Schwachstellen aufdecken kann, ermöglicht man es den Lesern, Empathie für eine Figur zu entwickeln und sie nicht einfach nur zu beschönigen und sie in die Schublade »schwarz« oder »weiß«, »gut« oder »böse« zu stecken.

Was fällt Ihnen beim Schreiben leicht?
Für mich ist das Träumen der Geschichte einfach, das Schreiben ist schwer. Ich kann mir eine ganze Szene in meinem Kopf vorstellen, bis ins kleinste Detail, ich höre die Dialoge durch und durch, aber sich dann hinzusetzen und herauszufinden, wie man sie in Worte fasst, damit jemand anderes sie erleben kann – das ist schon schwierig. Ich liebe also das Denken, Träumen, Skizzieren, Recherchieren und Planen beim Schreiben. Und ich liebe auch das Überarbeiten. Ich liebe es, einen ersten Entwurf zu nehmen und dann darauf aufzubauen, ihn zu verbessern. Es ist der erste Entwurf, der mich umbringt. Das erste Mal, wenn ich versuche, die Ideen in meinem Kopf auf die Seite zu bringen, ist am schmerzhaftesten.

Wir haben hier in Deutschland ein ganz anderes Bild von Florida, aber Sie haben lange dort gelebt und kennen die dunkle Seite gut. Wie wichtig ist es für Sie, diese vertraute Welt mit literarischen Mitteln zu untersuchen und vielleicht das Bedrohliche daran zu entmystifizieren?
Ha ha! Ich habe das Gefühl, dass jeder auf der Welt eine Vorstellung davon hat, wie verrückt Florida ist. Ob es das Wetter in Florida ist, die Politik, die Vergnügungsparks oder die lächerlichen Dinge, die die Leute tun, Florida kann als Witz angesehen werden. Und ich kann darüber genauso lachen wie jeder andere auch. Aber ich wurde hier geboren. In demselben Krankenhaus, in dem meine Mutter geboren wurde. Meine Familie ist seit Generationen hier ansässig, was vielleicht erklärt, warum ich eine so tiefe Achtung und Verbundenheit mit dem Land habe. Ich wünschte, mehr Menschen würden verstehen, wie wild Florida sein kann. Es gibt hier ganze Landkreise, die nur aus tiefen Wäldern bestehen. Und es gibt riesige Gras-flächen und Sümpfe, eine unglaubliche Vielfalt an Tieren und Pflanzen. Ich hoffe, dass ich etwas davon in meinen Texten wiedergeben kann, und sei es nur in Form einer Beschreibung der Landschaft. Ich würde mich freuen, wenn mehr Menschen diese Seite Floridas kennenlernen würden und nicht nur die Verrücktheiten aus den Nachrichten.

Wurden Sie durch die Arbeit anderer Krimiautoren inspiriert? Gab es Vorbilder?
Es gibt wirklich sehr, sehr viele andere Autoren, die mich inspirieren. Aber die, die mich am meisten inspirieren, sind die weiblichen Krimiautoren, die das Genre herausfordern und es auf wichtige Weise vorantreiben, wofür sie nicht immer anerkannt werden. Autorinnen wie Meagan Lucas, Laura McHugh, Megan Abbott, Lori Roy und Bonnie Jo Campbell – um nur einige wenige aus einem Meer von Talenten zu nennen. Diese Frauen leisten eine unglaublich wichtige Arbeit innerhalb des Genres, und das auf so überraschende und unerwartete Weise.

Sie verlassen immer wieder die Welt der Krimis und schreiben zum Beispiel Fantasy-Romane. Fällt es Ihnen leicht, beides in Ihrer Arbeit zu verbinden?
Ja, tatsächlich! Das Genre ist wichtig, aber ich glaube, mehr für die Leser als für die Autoren. Meine Krimis hatten schon immer einen Hauch von Mystik – siehe Bruder Felton in DURCHS FEUER GEHEN –, und in meinen Fantasy-Büchern geht es meist um Außenseiter, die aus der Not heraus oder anderen Gründen Verbrechen begehen. Für mich geht es immer zuerst um die Figuren, dann um die Geschichte und dann um die Handlung. Das Genre konzentriert sich in der Regel auf Handlungselemente oder bestimmte Themen, so dass ich mir darüber nicht so viele Gedanken machen muss.

Bleiben Sie in Ihren Büchern Ihrem Heimatstaat Florida treu, oder sind Sie versucht, in Zukunft neue Wege in der Kriminalliteratur zu gehen?
Ich konzentriere mich jetzt mehr und mehr auf Fantasy, deshalb bin ich mir nicht sicher, wie viel mehr Krimis in meiner Zukunft liegen, aber ich glaube, sie würden immer noch in Florida spielen. Bei der Fantasy möchte ich sehen, wie weit ich gehen kann, aber bei den Krimis geht es mir um die Rückkehr nach Hause zu gehen. Aber das wird die Zeit zeigen!