Arme werden viel häufiger Opfer von Straftaten

Alan Parks im Gespräch mit Doug Johnstone
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Die Bücher um Detective Harry McCoy spielen im turbulenten Glasgow der siebziger Jahre – was hat Sie bewogen, Ihre Romane dort anzusiedeln?
Mehrere Dinge. Ich erinnere mich noch sehr genau an die Zeit. 1973 war ich zehn Jahre alt und da ist man sehr empfänglich für alle möglichen Eindrücke. Ich war damals häufig bei Verwandten in Glasgow, Cousins und Cousinen, Tanten und Onkeln, die in Milton oder Possilpark lebten, wo auch viele der Geschichten spielen. Da ich selbst in einem sehr kleinen und langweiligen Dorf gewohnt habe, kam mir Glasgow vor wie eine andere Welt. Zu der Zeit hat sich die Stadt sehr stark verändert. Riesige Wohngebiete mitten in der Innenstadt wurden abgerissen, die Schwerindustrie brach ein, und es gab so ein Gefühl, dass jeder machen konnte, was er wollte. In solchen Situationen gedeiht das Verbrechen.

DIE APRIL-TOTEN beginnt buchstäblich mit einem Riesenknall, mit einer Bombenexplosion. Die Spuren führen möglicherweise zum schottischen und irischen Terrorismus. War das ein Thema, dessen Sie sich schon immer mal annehmen wollten?
Ja, in meinen Augen hat man sich damit auch noch gar nicht ausreichend beschäftigt. Schottland und Irland, insbesondere Glasgow, sind eng miteinander verbunden. Kaum vorstellbar, dass gerade mal dreißig Meilen übers Meer hinweg die irischen Unruhen tobten. Da damals bewusst wenig darüber berichtet wurde, gibt bis heute immer wieder neue Erkenntnisse und Einsichten. Mir schien es wichtig, das Geschehene ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken.

Die Romane mit Harry McCoy handeln häufig von sozialer Ungerechtigkeit und Ungleichheit – ist Ihnen die Beschäftigung damit ein besonderes Anliegen?
Ich denke, ja. Ich habe mich nie besonders für kriminelle Genies oder durchgedrehte Serienmörder interessiert. Ich fand immer schon die Menschen interessanter, für die sich die Polizei eher nicht interessiert, Menschen am Rande der Gesellschaft. Arme werden viel häufiger Opfer von Straftaten und dabei sehr viel häufiger von der Polizei ignoriert. Ich denke, Harry betrachtet es als seine Aufgabe, da einen Ausgleich zu schaffen.

Harry McCoy ist im Heim aufgewachsen und zutiefst antiautoritär eingestellt, war das immer Ihre Absicht gewesen?
Ja, ich wollte, dass er mit dem polizeilichen „Establishment“ über Kreuz liegt. Er ist keine typische Autoritätsperson, keiner der sich den Freimaurern anschließt. In seinem früheren Leben wurde er von den Institutionen im Stich gelassen, die ihn eigentlich hätten schützen müssen – der Kirche, seinen Eltern, der staatlichen Fürsorge. Daher rührt sein Misstrauen gegenüber allen Autoritäten und seine Sympathie zu den Menschen, von denen er glaubt, ihnen sei ähnliches widerfahren.

McCoy ist ein von Grund auf guter Mensch mit einem starken Gerechtigkeitssinn, auch wenn er sich zum Teil anders verhält. War es ihnen wichtig, ihn als einen moralisch empfindenden Menschen zu zeichnen?
Das ist er, sein Moralempfinden ist das, was ihn antreibt. Ohne wäre er einfach ein gewöhnlicher Polizist. Dass er manches damit vereinbaren muss, das sich eigentlich nicht damit vereinbaren lässt, stört ihn nicht allzu sehr. Er ist Realist und er tut, was er kann.

DIE APRIL-TOTEN ist der vierte Roman in der Reihe – wie denken Sie, hat McCoy sich im Verlauf der Reihe entwickelt?
Er ist inzwischen nicht mehr ganz so selbstsicher. Seine Vergangenheit lässt ihm keine Ruhe und manchmal hat er das Gefühl, vielem nicht gewachsen zu sein. Er steckt voller Zweifel und Sorgen. Gleichzeitig wird er aber als Polizist besser, er kennt sich aus in Glasgow und mit den Menschen, die dort leben. Er ist weniger tolerant, was die Machenschaften des Polizei-Apparats betrifft und er hat keinerlei Interesse daran, Karriere zu machen. Dagegen ist ihm wichtig, dass den Menschen Gerechtigkeit widerfährt, von denen er denkt, sie hätten es verdient.

Und wie haben Sie sich selbst als Autor im Verlauf der Romane weiterentwickelt? Gibt es etwas, das Sie jetzt wissen und wünschten, sie hätten es gleich zu Beginn gewusst?
Ich weiß gar nicht, ob ich mich so sehr weiterentwickelt habe! Das erste Buch wurde als alleinstehender Roman geschrieben, es gab nicht die Absicht, eine Serie daraus zu machen. Hätte ich das gewusst, hätte ich weniger Charaktere eingebaut! Jetzt muss ich mir in jedem Buch etwas Neues für acht Leute ausdenken…

Der Plot in DIE APRIL-TOTEN  ist ausgezeichnet aufgebaut – planen Sie vorher alles ganz genau, oder sind Sie einer von diesen unverschämt talentierten Autoren, die alles vom Anfang her improvisieren?
Danke schön! Ich plane nicht allzu akribisch. Normalerweise gibt es eine Idee und eine Reihe von Orten, über die ich schreiben möchte. Wenn ich das einmal habe, überlege ich mir den Anfang und sehe dann, wie es weitergeht. Manche Charaktere werden im Verlauf der Geschichte wichtiger, als man sich das am Anfang vorgestellt hat, und sie diktieren den Plot. In „Die April-Toten“ habe ich mich für Privatarmeen interessiert und welche Ideen und Konzepte dahinterstecken, auch was mit ehemaligen Militärs passiert, wenn sie aus der Armee ausscheiden. Wo fließt die ganze Aggression hin? Außerdem wollte ich über den Holy Loch schreiben. Ich kann mich erinnern, dass ich als Kind in Gourock war und die ganzen großen amerikanischen Autos dort gesehen habe. Das hat mich schwer beeindruckt!

Ihr Prosastil wirkt sehr zurückgenommen, gleichzeitig ist das erzählerische Tempo rasant. Fällt Ihnen das schon in den ersten Entwürfen einfach so zu oder müssen Sie daran feilen?
Dieser reduzierte Prosastil ist einfach meine Art zu schreiben, das war schon immer so. Für blumige Umschreibungen und Metaphern war ich nie zu haben. Das Tempo rührt von meiner tiefsitzenden Angst, dass sich der Leser langweilt! Ich versuche immer alles möglichst zu beschleunigen und das verlangt im Verlauf des Schreibens immer ein bisschen mehr Feinarbeit, daran bastele ich, überlege mir, was ich rausnehmen kann.

Versuchen Sie bewusst, ein Gleichgewicht zwischen den Polizeifällen und McCoys Privatleben zu finden?
Ich beschreibe eigentlich gar keine Polizeiverfahren in dem Sinne. Ich schreibe aus verschiedenen Gründen nicht über Ermittlungsmethoden. Zum einen interessiert es mich einfach nicht besonders! Mir ist egal, ob sich der C.I.D. oder die Mordkommission mit einem bestimmten Verbrechen beschäftigt. McCoy agiert mehr oder weniger auf sich gestellt, das heißt natürlich mit Wattie, aber in gewisser Weise arbeitet er eher wie ein Privat-ermittler. Ich denke, dadurch rückt sein Privatleben vielleicht stärker in den Vordergrund.

Sind Sie andererseits beim Verfassen einer Serie nicht auch eher zurückhaltend, wenn es um Hintergrundinformationen geht?
Absolut! Es ist immer ein Drahtseilakt, einerseits für Leser zu schreiben, die die vorangegangenen Romane gelesen haben und jenen, die die Serie noch nicht kennen. Ich versuche das auf ein Minimum zu beschränken, aber gleichzeitig alles, was man wissen muss, mit reinzuholen. Funktioniert nicht immer!

Ganz zum Schluss: Was haben Sie eigentlich für ein Problem mit »Waterloo« von ABBA?
Gar keins! Ich finde es nur furchtbar, wenn Büchern oder Filmen ein Soundtrack aus MOJO-Songs, wie ich sie nenne, unterlegt wird. Es macht mich wahnsinnig, wenn jemand das Radio einschaltet und es läuft »Thirteen« von Big Star. Das war’s nicht, was damals im Radio kam. Da liefen Popsongs, gute wie schlechte. Am schlimmsten ist es in »The Deuce«, einer Serie über New York in den Siebzigern, falls Sie die mal gesehen haben. Ich weiß nicht, auf welchem Sender damals »Marquee Moon« lief, aber wenn man der Serie glaubt, dudelte es ununterbrochen im Radio…

Übersetzt von Conny Lösch