Ignoranz und Dummheit kann überwunden werden
Scott Blackburn im Gespräch mit Eryk Pruitt

Wie Du weißt, war ich schon seit den ersten Entwürfen von ES STIRBT MIT DIR begeistert. Kannst Du uns ein bisschen über den Werdegang dieses Buchs erzählen?
Obwohl ES STIRBT MIT DIR mein Debütroman ist, war es nicht das erste Buch, das ich je geschrieben habe. Mit einem Schauerroman, einem Southern Gothic, fand ich zwei Jahre vorher meinen ersten Agenten; allerdings konnte sich kein Verlag für diesen Roman erwärmen. So entmutigend die Erfahrung damals auch war, sehe ich es heute so, dass ES STIRBT MIT DIR mein veröffentlichter Erstling werden sollte, denn zum ersten Mal hatte ich in diesem Buch meine Stimme entdeckt, und das machte den entscheidenden Unterschied.
Dein Buch passt genau in den Kanon der Südstaatenliteratur, speziell in das, was mit #NewSouth und #GritLit etikettiert wird. Verrätst Du uns etwas über Ihre literarischen Einflüsse.
Im Unterschied zu vielen Autoren wurde ich vor allem von zeitgenössischer Literatur beeinflusst. Wiley Cash, Ron Rash und Michael Farris Smith sind einige der namhaftesten Schriftsteller mit einem großen Einfluss auf meine frühen Arbeiten. Abgesehen davon, dass sie in der Sprache schreiben, mit der ich aufgewachsen bin, schildert jeder von ihnen den modernen Süden auf seine ganz eigene, wunderbare Art.
Was verstehen Leute falsch an der Südstaatenliteratur und welchen Beitrag leistet ES STIRBT MIT DIR, daran etwas zu ändern?
Wenn sie an Südstaatenromane denken, kommen vielen Lesern sofort ältere Autoren wie Cormac McCarthy oder William Gay in den Sinn, also absolute Giganten des Genres. Auch diese Autoren erzählen häufig sehr düstere, oft trostlose Geschichten, und ich vermute, manche Leser und Leserinnen denken natürlich, dass alle Südstaatengeschichten in dieser Richtung liegen. Ich glaube hingegen, dass mein eigener genau wie andere zeitgenössische Romane ein bisschen mehr Raum für Erlösung bietet als viele der Klassiker. In meiner Prosa geschehen zwar durchaus üble Dinge und es gibt böse Charaktere, aber ich versuche, stets einen Hoffnungsschimmer anzubieten.
Du hast wie ich immer im Süden gelebt. Kannst Du uns einige der größten Herausforderungen nennen, denen sich heutzutage ein Südstaatler konfrontiert sieht?
Ich denke, eine Herausforderung ist der Kampf gegen die Stereotype, die Klischees, mit denen Südstaatler gern von Menschen außerhalb des amerikanischen Südens identifiziert werden. Denk nur daran, wie Südstaatler viele Jahre lang in Filmen porträtiert wurden: Ungebildete Hinterwäldler, die mit offenem Mund blöd in der Gegend herumstehen und alle gleich aussehen, sprechen und denken. Gibt es diese Menschen? Ja, es gibt sie. Aber in Wahrheit ist der Süden ein buntes Kaleidoskop von Persönlichkeiten, Nationalitäten und Einstellungen.
Also ist nicht alles schlecht. Was ist das Beste daran, heute im amerikanischen Süden zu leben?
Da, woher ich komme, in North Carolina, gibt es immer noch die ländliche Schönheit von landwirtschaftlich genutzten Flächen und Bergzügen, aber nur wenige Minuten von meinem Wohnort entfernt, in Gegenden wie Greensboro und Winston-Salem, gibt es auch pulsierende Städte und Stadtzentren. Ich liebe diese Ausgewogenheit. Mir gefällt es, dass ich nachmittags raus aufs Land fahren und später meinen Abend in einer angesagten Whiskey-Bar verbringen kann.
Du bist Lehrer an einer staatlichen Schule in North Carolina. Mit welchen Hindernissen sind, Deiner Meinung nach, heute junge Menschen konfrontiert?
Obwohl in vielerlei Hinsicht vorteilhaft, stellen heute soziale Medien und die unmittelbare Verfügbarkeit von Technologie ein enormes Hindernis für junge Menschen dar. So leicht diese Medien einen Pädagogen unendlich frustrieren können, ist mir doch bewusst, dass meine derzeitigen Highschool-Schüler genau damit aufgewachsen sind. Sie sind in der Lage, innerhalb von Sekunden jede Antwort zu finden, und in einer Gesellschaft, die es belohnt, „einfach seinen Job zu erledigen“, stellen solcherart Abkürzungen eine große Versuchung dar. Meine persönliche Herausforderung besteht darin, erstens, die immer kürzer werdende Aufmerksamkeitsspannen meiner Schülerinnen und Schüler zu halten (Vielen Dank auch, Tik-Tok), und, zweitens, Schülerinnen und Schüler zum kritischen Denken anzuregen und sich dabei nicht vollkommen auf die ihnen zur Verfügung stehende Technologie zu verlassen.
Kannst Du unserem internationalen Publikum erklären, wie schwierig es für amerikanische Pädagogen ist, diese Probleme anzugehen, und auch warum?
Die von mir angesprochenen Probleme sind auf jeden Fall international, obwohl es mich sehr interessieren würde, wie und in welchem Maß unterschiedliche Länder mit verkürzten Aufmerksamkeitsspannen zu kämpfen haben. Unlängst hatte ich eine Austauschschülerin aus Italien im Unterricht, und ihre Erfahrungen und Kämpfe mit besagten Problemen scheinen in etwa die gleichen zu sein wie bei meinen amerikanischen Schülern. Ich denke, Pädagogen auf der ganzen Welt sind sich wohl einig: Es ist schwer, die negativen Gewohnheiten, die sich Schüler zu Hause aneignen, wieder rückgängig zu machen. Kids haben mir erzählt, dass sie oft zehn bis zwölf Stunden täglich vor einem Bildschirm verbringen. Es wird immer schwieriger, sie mit etwas zu fesseln, wenn sie mal gerade mal nicht an ihren Gadgets kleben.
In Deinem Roman werden gleich mehrere unserer althergebrachten Institutionen – Polizei, Schule, Bruderschaften, Familie – in Frage gestellt, und sie haben Ihren Protagonisten Hudson Miller und seine Freunde im Stich gelassen. Inwiefern repräsentiert das Deine persönliche Sicht zum Stand der Dinge im heutigen Süden?
Ich denke, dass die Probleme, denen sich Hudson und seine Kumpels gegenübersehen, im Süden immer noch weit verbreitet sind, auch wenn meiner Meinung nach in einigen Bereichen deutliche Fortschritte gemacht wurden, wenn auch nur im Schneckentempo. Insbesondere meine ich damit die Machtverhältnisse, die in vielen Kleinstädten des Südens anzutreffen sind. Es gibt zwar Gegenden, die mit großer Integrität verwaltet und regiert werden, aber nicht selten gibt es immer noch eine „alte Garde“, Orte, wo die Macht in den Händen von Leuten liegt, die auf gefährliche Weise engstirnig sind. In meinem Roman verdeutlicht die Figur der Lucy, dass, meiner Meinung nach, die sozialen Medien durchaus geholfen haben, zumindest einige dieser Leute, sagen wir, in Schach zu halten. Heutzutage ist es deutlich schwerer geworden als in den Generationen davor, mit fragwürdigen Geschäften und schlechter Behandlung von Bürgern davonzukommen.
Unsere „Helden“ in ES STIRBT MIT DIR – Hudson, Charlie und Lucy – sind „Außenseiter“. Die einzige Gemeinschaft, die sie zu finden scheinen, ist die untereinander, und nur durch diese Gemeinschaft sind sie überhaupt in der Lage, etwas zu finden, das annähernd der Gerechtigkeit gleichkommt. Ist das die Antwort für das Überleben in den Südstaaten?
Ich halte es für sehr wichtig, dass sich Menschen mit Gleichgesinnten umgeben. Wie Lucy im Roman herausfinden musste, ist es sehr schwierig, auf sich allein gestellt gegen korrupte Verhältnisse anzutreten. Die alte Redensart „Gemeinsam sind wir stark“ trifft in Fällen wie diesen absolut zu.
Der zentrale Gedanke von ES STIRBT MIT DIR ist, dass die Einstellungen und Haltungen früherer Generationen in den Südstaaten – geprägt von Hass, Rassismus und Habgier – mit ihnen aussterben wird, so wie Hudson glaubt, dass sie mit seinem Vater gestorben sind. Siehst Du das immer noch so?
Im Einzelfall absolut, ja. Ignoranz und Dummheit kann überwunden werden. Genau deshalb lege ich meinen Schülern auch ans Herz, sie sollen nicht nur mehr lesen, sondern auch in die Welt hinausgehen und Menschen kennenlernen, die anders aussehen und denken als sie selbst.
Wenn diese Ausgabe von ES STIRBT MIT DIR erscheint, werden sechs Jahre vergangen sein, seit Du mit Schreiben begonnen hast. Die Präsidentschaftswahlen werden ebenfalls hinter uns liegen. Siehst Du immer noch Hoffnung?
Ja, tue ich. Ich habe schon immer das Gute und die Macht des Einzelnen über die Systeme gestellt, die unsere Gesellschaft hervorgebracht hat. Wählen zu gehen ist wichtig, aber in unserem Land wird die Bedeutung der Stimmabgabe so sehr betont, dass meiner Meinung nach viele Menschen glauben, ihre Aufgabe, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, sei damit dann auch schon erledigt. Wenn sich genügend Menschen auf beiden Seiten des politischen Spektrums gemeinsam darum bemühen, ihre Mitmenschen trotz der vielfältigen Unterschiede mit Respekt und Würde zu behandeln, dann wird die Welt besser werden. Das zu erreichen ist jedoch der schwierige Teil, aber es ist eine Herausforderung, der sich viele meiner Autoren- und Pädagogenkollegen und Kolleginnen voller Stolz stellen.
Was wünschst Du Dir, dass Menschen anderswo auf der Welt über die Südstaaten wissen sollten?
Die Südstaaten Amerikas sind ein überaus lebendiger kultureller Schmelztiegel, und hier leben einige der liebenswürdigsten und gastfreundlichsten Menschen überhaupt. Leider ist die Identität des Südens allzu oft für viele deckungsgleich mit seiner befleckten dunklen Vergangenheit, aber da würden viele Leute heftig widersprechen. Südstaatler sind widerstandsfähig, und die Zukunft der Südstaaten wird auch weiterhin von dieser Widerstandsfähigkeit geprägt sein – und ich hoffe sehr, zum Besseren.
Übersetzt von Jürgen Bürger