Land ist der Grund, warum Kriege geführt und Tragödien geschrieben werden.
Ron Corbett im Gespräch mit Günther Grosser

Man könnte sich die beiden Teile über den großen Diamantenraub – Cape Diamond und Mission Road – leicht so vorstellen, als bestünden sie nur aus einem Verbrechen plus Ermittlungen plus Bandenrivalitäten. Woher kam die Idee, Cambino Cortez als eine weitere Figur, eine Art Fremdkörper (der natürlich eine besondere Bedeutung hat) hineinzunehmen?
Sie haben recht, dass die beiden Bücher Teile einer Geschichte sind. Cape Diamond handelt von einem Raubüberfall, in Mission Road geht es dann um die Aufklärung. Es gibt da eine stärkere Verbindung, als es mir normalerweise bei Büchern, die Teil einer Serie sind, lieb ist – der Leser sollte jeden Roman unabhängig lesen können, was bei diesen beiden Büchern natürlich möglich ist – aber die Idee hat mich doch allzu sehr fasziniert. Der zweite Roman beginnt Tage nach dem Ende des ersten, mit einem großen Geheimnis, das es dann noch zu lösen gilt. Und Cambino ist da, weil wir mit ihm noch nicht fertig waren.
Mit Cambino kommt eine ganz besondere Variante von Professionalität ins Spiel; Yakabuskis Professionalität ist eine lang erlernte als Soldat und Undercover-Agent; bei den Gangstern ist es die Professionalität der Gesetzlosigkeit. Was bedeutet Professionalität für Sie?
Ich hatte beim Schreiben gar nicht daran gedacht, dass die beiden Figuren Profis sind, aber sie sind es tatsächlich. Cambino ist sehr gut darin, sehr böse zu sein – ich hatte das bloß so gar nicht gesehen. Als ich mit der Figur Yakabuski anfing, kam mir das Wort Professionalität gar nicht in den Sinn. Allerdings war es mir wichtig, ihn kompetent sein zu lassen. Ich wollte eine Figur, die kompetent ist, die keine großen Fehler hat, die nicht grüblerisch und übellaunig ist. Kompetenz ist eine Nuance von Professionalität, denke ich, und in dieser Hinsicht war sie für die Serie von großer Bedeutung.
Gewalt spielt in Ihren Romanen eine zentrale Rolle, Gewalt in den verschiedensten Formen, auch als Bestandteil der Natur. Ich sehe Gewalt vor allem als einen zentralen Bestandteil der nordamerikanischen Kultur, auch weil der Kontinent nur mit Gewalt erobert werden konnte. Was ist Gewalt für Sie?
Ich bin ein Fan von Cormac McCarthy, und die Gewalt, die jedem Land, das „kolonisiert“ wurde, innewohnt, war eines der wichtigen Themen in seinen Büchern. Vielleicht war es sogar das Thema. Auf jeden Fall ließ das ein Buch wie Blood Meridian (1985; dt. Die Abendröte im Westen), als es rauskam, so revolutionär wirken. Es war blutig und gewalttätig und eine völlige Umkehrung des Siedlermythos, wie man ihn in jedem John-Wayne-Film und Westernroman findet. McCarthy glaubte an das Gegenteil des Siedlermythos, und er schrie das während seiner gesamten Karriere heraus, so laut er konnte: „Landraub ist ein Akt der Gewalt. Lasst euch da nichts vormachen!“
Macht das die nordamerikanische Kultur gewalttätiger als die europäische? Vielleicht. Es stimmt, dass wir mehr Waffen haben. Aber ist es möglich, dass die Gewalttaten hier leichter in Erinnerung bleiben, weil Nordamerika erst vor kurzem erobert wurde, während der Landraub in Europa schon vor langer Zeit stattgefunden hat? Das ist doch eine komische Frage für euch.
Ihre Bücher sind immer Geschichten, die sich aus vielen Geschichten zusammensetzen: Jede Figur hat ihre eigene Geschichte, das Land hat seine eigene Geschichte, die Natur hat ihre eigene Geschichte; all das ist erzählenswert und macht den Reichtum Ihrer Romane aus. Wie viel davon haben Sie sich ausgedacht und wie viel historische Forschung steckt in den Büchern, zum Beispiel über die Shiners und die Travellers?
Als mein erster Roman RAGGED LAKE rauskam, habe ich viel Zeit damit verbracht, einen Disclaimer für die Vorderseite des Buches zu schreiben. Darin hieß es: „Einige Orte und Ereignisse in diesem Buch sind real, andere nicht. Bitte regen Sie sich nicht auf.“
Da ich von der Sachliteratur komme, machte ich mir darüber große Sorgen, als ich anfing, Belletristik zu schreiben. Wenn der eine Ort real war, musste dann jeder andere Ort auch real sein? Was durfte ich mir ausdenken? Wie sollte ich den Leser warnen? Diese Fragen raubten mir echt den Schlaf.
Nach ein paar Büchern merkte ich dann, dass sich niemand so viele Gedanken darüber machte wie ich. Tatsächlich schienen es den Leuten egal zu sein. Inzwischen hatte ich auch Nachforschungen angestellt und viele Beispiele von Schriftstellern gefunden, die fiktive Orte in einer realen Umgebung verwenden. (Mein Favorit war Stephen King und seine fiktive Stadt Derry, Maine.)
Der Disclaimer wurde fallen gelassen. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wann. Die Northern Divide ist ein realer Ort, den ich dann neu entwickelt, fiktionalisiert habe, was bedeutet, dass einige Teile der Geschichten real sind, andere nicht. Die Shiners hat es übrigens wirklich gegeben; die Travellers habe ich (größtenteils) erfunden.
Wichtig für Sie scheint zu sein, wem das Land gehört und wem die Früchte des Landes gehören (dazu gehören auch Diamanten). Die Antworten variieren natürlich je nach Blickwinkel: Ureinwohner, Eroberer, Urenkel Generationen später, Geldmacher usw. Haben Sie Ihre eigenen persönlichen Antworten auf diese Fragen?
Das erinnert an das, worüber wir vorhin gesprochen haben, nämlich ein Kolonialland und die Frage, ob dies zu Gewalt führt. Ich glaube, das tut es. Land ist der Grund, warum Kriege geführt und Tragödien geschrieben werden. Land und Geld. Wenn man es genau nimmt, ist es wahrscheinlich das, worum man sich streitet. Land ist ein zentrales Thema in den ersten drei Yakabuski-Büchern, das ist richtig. Wer darf das Land besitzen? Wer hat die „Herrschaft“. Ich mag das Wort „Herrschaft“. Es hat in Kanada eine große historische Bedeutung, war früher Teil des offiziellen Namens – Dominion of Canada – und ich bin noch nicht fertig mit der Frage. Das liegt vor allem daran, dass ich noch keine Antwort habe.
Es gibt einen vierten Roman in der Yakabuski-Serie, Muskie Falls. Können Sie uns einen Eindruck davon geben, was wir erwarten können?
Ja, danke der Nachfrage. Muskie Falls ist Anfang des Jahres erschienen; es ist Yakabuskis erster Fall. Das ist das Buch – Yaks erster Fall, obwohl es dann noch ein paar Fälle gibt, bevor wir durch sind. Das Buch begann als etwas viel Kleineres. Ursprünglich war es als Trailer gedacht, eine Kurzgeschichte, die die Leser bei der Stange halten sollte, wenn sie meinen Newsletter abonnierten. Ein Marketingleiter hatte die Idee dazu. Also schrieb ich 10.000 Wörter. Es sollte ein Locked-Room-Mystery, ein Mord in einem geschlossenen Raum werden, mit einer neuen Lösungsvariante.
Das Problem war, dass die Geschichte vier gute Verdächtige hatte, von denen jeder noch bösartiger und schuldiger aussah als der andere, so dass ich schnell eine Menge für die Figuren übrig hatte. Aus 10.000 Wörtern wurden bald 30.000, dann 50.000, dann nahm ich einen weiteren Bösewicht dazu, um die Geschichte voranzubringen, dann brauchte es einen weiteren Mord, und dann hatte ich ganz unerwartet einen Roman.
Die kleine Geschichte, die immer weiter wuchs: Das ist Muskie Falls. Es hat darüber hinaus großen Spaß gemacht, über den jungen Yakabuski zu schreiben. Der ältere Polizist, der sich an seinen ersten Fall erinnert, und der jüngere, der davon ganz verwirrt wird: Ich hielt das für einen schönen Kontrast. Ich denke, es ist ein guter Krimi geworden.