„Überraschenderweise finde ich großen Trost darin, wie wenig wir tatsächlich zählen“

 J. Todd Scott im Gespräch mit Ulrich Noller
©duqimages/Adobe Stock

März 2025, gut zwei Monate im Zeitalter Trump 2, wie ist die Lage, wie geht es Ihnen?
Es ist offensichtlich ein wichtiger historischer Moment, egal wo man im politischen Spektrum steht. Und meine Antwort wäre vor einem Jahr wahrscheinlich anders ausgefallen, als ich noch Vollzeit-Federal Agent für die US-Regierung war und alles aus der ersten Reihe miterleben konnte. Jetzt bin ich nur ein Bürger, der wie so viele von der Seitenlinie aus zusieht.

Jedenfalls kann es einem momentan manchmal so vorkommen, als würde ein Sturm durch die Welt fegen, der keinen Stein auf dem anderen lässt. Hätte sich ein Schriftsteller solch einen Chaos-Stoff ausdenken können?
Ein besserer Schriftsteller als ich hätte sich diesen globalen Moment vielleicht ausmalen können, aber ich war nie ein nach außen hin politischer Autor. Mir geht es um Veränderungen, oder darum, ob wir uns überhaupt verändern können – aber vor allem auf einer persönlichen und internen Ebene.

In der Gegend, in der Ihr Roman spielt, muss ja auch schon einiges passieren, damit die Steine ins Rollen kommen, oder?
Der amerikanische Westen hat eine gewisse Unveränderlichkeit, eine Zeitlosigkeit und Beständigkeit. Veränderungen sind schwierig und oft schwer zu erreichen, zumindest meiner Meinung nach, egal wie notwendig sie sein könnten.

In der Politik geht es – hier wie in den USA – sehr stark um Grenzen. Wie in Ihrem Roman. Was genau interessiert Sie an Grenzen?
Eine Grenze ist im wörtlichen und übertragenen Sinne eine Mauer, und ich finde Figuren, die mit dem Rücken zur Wand stehen, verzweifelt, gefährlich und unberechenbar. Es macht Spaß, sie zu erkunden und über sie zu schreiben.

Ein zentrales Thema ist der Drogenschmuggel – und alles, was damit zusammenhängt. Warum ist das in literarischer Hinsicht so spannend für Sie?
Das ist erstmal das, womit ich mich auskenne, weil ich mich lange damit beschäftigt habe. Und wenn es um den amerikanischen Westen geht, gibt es die romantische Idee des Gesetzlosen, die ich in meinen Geschichten gerne aufgreife. Aber »Drogenschmuggel« ist meine Kurzform für eine ganze Reihe von schlechten Taten, schlechtem Verhalten und schlechten Entscheidungen, die für große Dramatik und Konflikte sorgen.

Also eine Frage der Berufserfahrung, die da mit einfließt? 
Die fast 30 Jahre, die ich als DEA-Agent mit Dienstmarke und Waffe verbracht habe, und fast die Hälfte davon an der Grenze, spielen in meinen Romanen durchaus eine Rolle. Ich wüsste nicht, wie sie das nicht könnten.

Ein weiterer Punkt: Migration. Ein zentrales Thema, hier wie in den USA. In Ihrem Roman findet sich ein kleines Happy End dazu. Wie sehen Sie das Thema Migration?
Da ich so lange an der Grenze gelebt und einige dieser Geschichten aus nächster Nähe erlebt habe, verstehe ich, warum Menschen hierher kommen, sowohl legal als auch illegal, auf der Suche nach dem Versprechen einer besseren Zukunft, ihrem »Happy End«. Ich möchte glauben, dass die USA ein Land sind, das dieses Versprechen wert ist, und dass viele derjenigen, die hierher kommen, es verdienen, es zu finden.

Wenn ich mir die Figuren ansehe, die »die Guten« sind – was macht sie besonders? Anständigkeit?
Eines der Themen, auf die ich immer wieder zurückkomme, ist die Bedeutung der Dienstmarke und der Waffe, die zusätzliche Verantwortung, ein anständiger und guter Mensch zu sein, wenn man so viel Autorität und Macht hat; wie wichtig es für einen ist, das Gesetz aufrechtzuerhalten, wenn man das Gesetz in den Händen hält. Glücklicherweise habe ich im Laufe meiner Karriere mit vielen, vielen »Anständigen« zusammengearbeitet.

Inwieweit spiegelt sich eigentlich die aktuelle politische und gesellschaftliche Realität in Ihrer Geschichte wider, die ja nun im Original schon ein paar Jahre alt ist?
Ich denke, dass wichtige und starke Geschichten zeitlos sind, dass sie immer wieder nachhallen können, besonders wenn sie bestimmte Wahrheiten über die Menschen oder die Welt, in der wir leben, ansprechen. Die Welt, die in DIESE SEITE DER NACHT beschrieben wird, hat immer existiert und wird wahrscheinlich immer existieren, im Guten wie im Schlechten.

Es gibt viele Möglichkeiten, über all dies zu berichten und zu schreiben. Was ist es eigentlich, was Sie an Krimis reizt?
Ich würde sagen, dass mich weniger das »Verbrechen« interessiert oder reizt, sondern eher die Kollateralschäden, die auftreten, nachdem das Verbrechen passiert ist. Es macht mir Spaß, die Konsequenzen schlechter Entscheidungen zu erforschen.

Nochmal zurück zur sogenannten »Realität«. Sie ist seit ein paar Jahren in vielerlei Hinsicht so verrückt, dass man sie sich teils kaum hätte ausdenken können. Wenn die Realität die Fiktion auf diese Weise herausfordert – was für eine Herausforderung ist das dann für
einen Autor, der realistische Romane schreibt?

Jeder zeitgenössische Roman ist ein Produkt des Augenblicks, in dem er geschrieben wurde, ein Schnappschuss der Welt zu dieser Zeit; eine Geisel der Geschichte, nachdem die schon Vergangenheit wurde. Aber ein guter Roman, eine starke Geschichte, spricht auch universelle und wiedererkennbare Wahrheiten an oder fängt sie ein, unabhängig von der Zeit.

Was »kann« die Literatur in Zeiten wie diesen erreichen?
Das ist eine großartige Frage, und ich denke, jeder Künstler stellt sich diese Frage. Ist die Arbeit, die ich mache, wichtig? Wird sie dem Moment gerecht, wird sie Bestand haben, angesichts der vielen Veränderungen und Umbrüche? Ich weiß nicht, ob ich eine Antwort darauf habe. Ich weiß nur, dass ich im Grunde meines Herzens ein Geschichtenerzähler bin, das ist für mich so natürlich und selbstverständlich wie Atmen, und in der Zeit, die mir noch bleibt, werde ich genau das tun.

Immerhin lassen die Landschaften sich von all dem, was passiert, nicht groß stören.
Beruhigend, oder?

In den Big Bend / Chris Cherry-Romanen ist die Landschaft des Westens ebenso sehr eine Figur wie alles andere. Ich liebe es, über das Land und seine Schönheit zu schreiben und darüber, wie klein wir im Schatten dieser Berge und dieser trockenen Wüstenlandschaften sind. Überraschenderweise finde ich großen Trost darin, wie wenig wir tatsächlich zählen. Unser Leben scheint uns so wichtig zu sein, aber in den Äonen vor und nach unserer kurzen Zeit hier bleibt die Welt bestehen.