„Ich fühle mich in der Vergangenheit sehr wohl“

Alan Parks im Gespräch mit Marcus Müntefering

 

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Alan, MÖGE GOTT DIR VERGEBEN, der fünfte Band Ihrer Reihe über den Polizisten Harry McCoy, der im Glasgow der Siebzigerjahre ermittelt, ist in Großbritannien bereits 2022 erschienen.  Erinnern Sie sich noch daran, worum es geht?
Na ja, ich musste es nochmal nachlesen (lacht). In diesem Roman geht es viel um Rache. Er beginnt damit, dass in einem Friseursalon ein Feuer gelegt wird und mehrere teilweise sehr junge Frauen sterben. Die Täter werden schnell gefunden und verhaftet. Natürlich ist Glasgow darüber in Aufruhr, der Roman beginnt mit einer Art Lynchmob. Als die drei Jugendlichen mit einem Transporter ins Gefängnis gebracht werden sollen, wird dieser von einem anderen Wagen gerammt, und sie werden entführt. Einer der Jungs wird am nächsten Tag tot aufgefunden, sehr schwer gefoltert. Also müssen McCoy und seine Kollegen versuchen, die beiden anderen Jungs zu finden, bevor ihnen dasselbe passiert.

Also muss McCoy vermutliche Mörder schützen?
Die Leute sind scharf auf Selbstjustiz, aber für McCoy als Polizist ist klar: Diese Jungs sind angeklagt, aber noch nicht verurteilt. Auch sein Vorgesetzter Chief Inspector Murray bleibt standhaft und sagt: „Es ist mir egal, ob sie es waren. Es ist nicht an anderen Leuten zu entscheiden, was mit ihnen passiert, das ist unsere Aufgabe, es ist eine Polizeiangelegenheit.“

Der Roman spielt zu großen Teilen im Glasgower Stadtteil Royston. Wie ging es dort zu in den frühen Siebzigerjahren?
Oft wurden Stadtviertel wie Royston damals von einer Person dominiert, in diesem Fall von einem Typen namens Dessie, ein Krimineller, ohne dessen Okay dort nichts passiert.

Ehrlich gesagt kannte ich Royston nicht sehr gut, bis ich, als Covid alles lahmlegte, dort Spaziergänge machte und irgendwann dachte: Oh, was mag hier wohl alles passiert sein früher? Royston wird inzwischen durch die Schnellstraße M8 zerschnitten, und von damals ist nicht mehr viel übrig. Aber was ich weiß: Es herrschten dort raue Sitten, und es war eine ziemlich lebendige, irisch geprägte Gegend mit vielen kleinen Fabriken.

Sie sagen, dass der Roman sich um das Thema Rache dreht. Aber es geht auch um Familie, oder?
Ja, das stimmt, Harry McCoy trifft seinen Vater, einen obdachlosen Alkoholiker, auf der Straße, was ihn nachhaltig verstört. Und sein bester Freund, der Kriminelle Stevie Cooper, findet seinen 15-jährigen Sohn Paul wieder, was auch zu einigen Verwicklungen führt.
Kriminalromane konzentrieren sich oft so sehr auf die Handlung und die Aufklärung von Verbrechen, dass untergeht, dass diese Leute auch ein Privatleben haben. Es ist mir wichtig, zu zeigen, dass Polizisten, ebenso wie Kriminelle, ein Leben haben, das nichts oder wenig mit ihrem Job zu tun hat.

Allerdings sieht Cooper in seinem Sohn ein potenzielles Mitglied seiner Bande.
Ja, ich denke, sein Sohn wird sich entscheiden müssen, ob er in das Familienunternehmen einsteigen will oder nicht. Ich fand es spannend zu sehen, wie die beiden, die sich nicht gut kennen, miteinander klarkommen. Sie sind ja sehr verschieden: Steve Cooper war in den Fünfzigerjahren Teenager und ist ein wenig konservativ, während Liam ein Kind der Siebziger ist, Pink Floyd hört und mit Drogen wie LSD experimentiert. Im Buch gibt es aber noch eine dritte Vater-Sohn-Geschichte: McCoys Kollege Wattie hat ein Baby, und es sieht so aus, als würde er bei der Erziehung seines Kindes einen besseren Job machen als McCoys Vater und Stevie Cooper. Hoffentlich!

Harry McCoy ist ein sehr sympathischer Polizist. Klar, er trinkt und raucht zu viel, aber er ist vor allem jemand, der einen guten Job machen will und einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit hat. Das macht ihn bei seinen Kollegen zum Außenseiter, oder?
Ja, er ist ein bisschen anders als der Rest der Polizei, mit Anfang Dreißig jünger als die meisten seiner Kollegen, weniger traditionell, weniger bodenständig, weniger protestantisch.Die meisten Cops haben die Sechzigerjahre und den Wandel in der Gesellschaft nicht wirklich mitbekommen, während er in dieser Zeit erste Erfahrungen mit Sex, Drogen und Rock’n’Roll machte. Er hat Freunde, die Drogen nehmen – oder wie Stevie damit handeln –, und weil Harry selbst in Erziehungsheimen aufgewachsen ist und weiß, wie das System einen im Stich lässt, zeigt er sehr viel Empathie für Außenseiter der Gesellschaft. Das hilft ihm bei seiner Arbeit, aber seine Kollegen beobachten ihn und seine Unterweltkontakte mit großer Skepsis. Was seine Trinkgewohnheiten angeht: Das war so in Glasgow in den Siebzigern. Und mal ehrlich, haben wir nicht alle in Harrys Alter zu viel getrunken?

Sie sagen, dass Harry ein modernerer Typ ist als die meisten seiner Kollegen. Gilt das auch für sein Verhältnis zu Frauen?
Ja, er hat den Feminismus der Sechzigerjahre miterlebt und verstanden, worum es den Frauen ging, während der Rest der Polizei noch in den in den Fünfzigerjahren stehen geblieben ist. Die meisten Polizisten damals waren nicht sehr frauenfreundlich, sie waren nicht sehr minderheitenfreundlich. Es waren vor allem heterosexuelle weiße Männer mittleren Alters mit sehr eingefahrenen Vorstellungen vom Leben. Das waren misogyne Zeiten. Ich habe immer wieder darüber nachgedacht, Polizistinnen in meine Romane zu integrieren, aber das funktioniert einfach nicht, denn die wenigen Polizistinnen, die es damals gab, waren leider dazu da, sich um weibliche Gefangene zu kümmern und kannenweise Tee zu kochen.

Wieso haben Sie McCoy auch noch mit einem Magengeschwür gestraft? Er trinkt mehr Pepto Bismol als die Cops in alten Filmen …
Na ja, er hat einen stressigen Job und einen anstrengenden Lifestyle, das schlägt auf den Magen. Aber lustig, dass sie es erwähnen, mein Herausgeber hatte mich auch schon drauf hingewiesen. Er meinte, das Buch lese sich stellenweise wie Werbung für Pepto Bismol. Ich habe daraufhin zwar etliche Szenen herausgenommen, aber offensichtlich sind immer noch reichlich drin (lacht). Ich habe auch persönliche Erfahrungen mit Pepto Bismol. Mein Vater hat das Zeug literweise getrunken, und ich selbst hatte mit 19 Jahren schon ein Magengeschwür.

Gibt es über die Magenprobleme hinaus viele Gemeinsamkeiten zwischen Ihnen und McCoy?
Ehrlich gesagt, nicht wirklich. Er geht so wie ich gern spazieren, und wir beide interessieren uns für Menschen am Rande der Gesellschaft. Aber das war es auch schon.

Wie würden Sie das Verhältnis von McCoy und Cooper beschreiben?
Stevie war in seiner Kindheit an denselben schrecklichen Orten wie Harry, und er wurde in den Heimen zu einer Art Beschützer für ihn, weil er größer und stärker war. Alles, was Stevie als Gegenleistung verlangte, war Loyalität. Und das ist immer noch so. Für Harry ist das nicht einfach, denn einen besten Freund zu haben, der ein großer Gangster ist, ist nicht gerade hilfreich für seine Karriere. Aber auch wenn sie sich manchmal gegenseitig auf die Palme bringen, sind sie fürs Leben aneinandergefesselt, ob sie es wollen oder nicht. Stevie ist eine sehr ambivalente Figur. Einerseits knallhart und brutal, aber eben auch sehr lustig und jemand, auf den sich Harry meist verlassen kann.

Glasgow in den Siebzigern, das weiß, wer die „Laidlaw“-Romane von William McIlvanney kennt, war ein hartes Pflaster. In Ihren Romanen geht es ebenfalls sehr tough zu. Aber es scheint sich etwas zu verändern. Die lokalen Gangster wie Dessie versuchen, mehr und mehr legale Geschäfte zu machen.
Es kommt ein gewisser Punkt, an dem all diese Leute anfangen, respektabel werden zu wollen. Sie beginnen ihr Geld zu waschen und in legale Unternehmen zu stecken. Sie spenden an die Kirche und für Krankenhäuser und hoffen so, sich Respekt zu erkaufen, Teil der Gesellschaft zu werden. Man kann das in den Siebzigern schon sehen, aber eigentlich haben die Kriminellen damals vergleichsweise wenig verdient, sie waren keine Großgangster wie Al Capone. Das änderte sich in den Achtzigern mit Heroin und Ecstasy radikal.

Wer Ihre Bücher liest, könnte den Eindruck bekommen, dass die schlimmsten Kriminellen damals eher in der Kirche oder in der Politik zu finden waren.
Na ja, Kriminelle gibt es in allen Schichten der Gesellschaft, auch in diesen Institutionen. Harry weiß das sehr genau, und es macht ihn fertig, dass das Establishment allzu oft ungestraft davonkommt. Auch weil er immer wieder erfahren muss, dass seine Kollegen alles tun, um jemanden dingfest zu machen, der eine Bank ausgeraubt hat, aber nicht so scharf darauf sind, einen Priester zu verhaften, der jahrelang Kinder missbraucht hat.

Ihre Bücher wirken sehr realistisch. Nehmen Sie sich echte Ereignisse aus den Siebzigern zum Vorbild?
Wer sich gut mit den Kriminellen im Glasgow der Siebzigerjahre auskennt, kann man wahrscheinlich erkennen, auf welchen von ihnen meine Verbrecher beruhen. Aber auch wenn einige meiner Figuren reale Vorbilder haben, verschleiere ich das doch stark. Mir geht es eher darum, die Atmosphäre zu evozieren und das Zeitkolorit zu erfassen.

Die McCoy-Bücher spielen in den Siebzigern, ihr aktueller Roman „Gunner“ sogar noch früher, während des Zweiten Weltkriegs. Warum schreiben Sie nicht über die Welt von heute?
Ich fühle mich in der Vergangenheit sehr wohl. Ich finde die Zeit, in der die McCoy-Romane spielen, sehr viel spannender. Glasgow war in Aufruhr damals, es war eine Zeit große Umbrüche, die großen Industrien brachen zusammen, die Menschen mussten sich mit den neuen Gegebenheiten arrangieren. Glasgow heute ist eine Stadt wie viele andere auch. Es wäre doch langweilig, wenn McCoy in seiner Freizeit zu Ikea ginge, um neue Möbel zu kaufen.

Wie viele weitere McCoy-Romane werden Sie noch schreiben?
So genau weiß ich das nicht. „To Die in June“ ist in Großbritannien 2023 erschienen, der nächste Band bereits fertig. Was ich aber weiß, ist, dass die Serie Anfang der Achtziger endet. Dann beginnt eine neue Zeit in Glasgow.