Das Generationentrauma überwinden?

 Jon Bassof im Gespräch mit Ulrich Noller
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Wie persönlich ist diese Geschichte? Oder, anders gefragt: Auf welche Weise ist es eine persönliche Story?
Ich würde nicht sagen, dass dies eine besonders persönliche Geschichte ist. Keines der Ereignisse stammt aus meinem eigenen Leben. Ich neige jedoch dazu, über Dinge zu schreiben, die mich beschäftigt haben, Dinge, von denen ich besessen war. In diesem Fall ging es mir um Erinnerungen und darum, wie wir sie verdrängen. Ich wollte Traumata erforschen und die Art und Weise, wie wir neue Erzählungen schaffen, um dieses Trauma zu bekämpfen. Natürlich habe ich meinen Teil an Trauma und Elend erlebt, also ist es in diesem Sinne wohl etwas Persönliches.

Eine Person hat für einen Moment eine rote Linie überschritten, die alles andere auslöst. Alle können nur verlieren. Ein echtes Drama, nicht wahr?
Dieser Roman veranschaulicht, dass die Sünden der Mutter die Sünden des Sohnes sind. Ich wollte erkunden, wie schwierig es ist, dem Leiden eines Generationentraumas zu entkommen. Die meisten Figuren in diesem Roman wollen eigentlich nur das Beste, aber wenn sie versuchen, eine vergangene Sünde zu verbergen, schaffen sie nur noch mehr Leid und Kummer.

Mich würde interessieren, welche Rolle dieses Familiendrama beim Schreiben spielte. War es von vornherein da oder hat es sich im Lauf der Arbeit erst entfaltet?
Die meisten meiner Romane gingen ja eher in Richtung Krimi und Horror und waren ziemlich surreal. Die Sprache war eher traumhaft. Im Gegensatz dazu ist »Beneath Cruel Waters« (TODESTAUFE) ziemlich realistisch. Das Blut, das Fleisch und der Schmerz sind unmittelbar spürbar. Im Zentrum des Romans steht zwar ein Geheimnis, aber der Kern des Romans ist ein Familiendrama. Alle Familien haben Geheimnisse, die sie verbergen – aber diese Familie hat mehr als die meisten! Und jede Figur erfährt, welch enorme Kosten die Suche nach diesen Geheimnissen mit sich bringt.

Ein wichtiger Faktor ist die Gewalt – die in diesem Buch aber vorwiegend eine innere, mentale Gewalt ist als eine physische. Warum das?
Am Anfang des Romans werden wir Zeuge eines Mordes und eines Selbstmordes – und damit Zeuge eines enormen Ausmaßes von Gewalt. Aber den größten Teil des Romans über bleibt die Gewalt unter der Oberfläche. Die Figuren – und die Leser – sind sich bewusst, dass etwas Schreckliches passiert ist, aber sie wissen nicht, was genau das ist. Ich wollte, dass die Leser die gleiche Orientierungslosigkeit spüren, die die Figuren, insbesondere Holt, im Laufe der Geschichte empfinden. Und wenn wir schließlich das Ereignis verstehen, das zu der Gewalt geführt hat, hoffe ich, dass der Leser genauso schockiert ist wie Holt.

Sie arbeiten, finde ich, sehr stark mit Bildern. Auch hier: äußere und innere. Welche Bedeutung hat das für Ihr Schreiben?
Ich war schon immer ein sehr visueller Schriftsteller. Für mich ist ein Gefühl für den Ort entscheidend, um eine Stimmung zu erzeugen. Das liegt wahrscheinlich zum Teil daran, dass ich eher mit Filmen als mit Romanen aufgewachsen bin. Wenn ich schreibe, stelle ich mir immer eine Szene vor und gebe mein Bestes, damit der Leser das Gleiche sieht wie ich. Ich tendiere dazu, epische Romane zu vermeiden und mich stattdessen auf Romane zu konzentrieren, die auf der Ebene der Szenen reichhaltig sind. Was sehen wir? Was hören wir? Was riechen wir? Diese sensorischen Details geben uns ein besseres Verständnis dafür, was unsere Figuren fühlen.

Inwiefern spiegelt die Topographie die Seelenlandschaften?
Für mich war der Schauplatz schon immer eine wichtige Figur in meinen Romanen. Sie ist, wenn man so will, auch die physische Darstellung der emotionalen Verfassung der Figuren. In diesem Roman spielt die Geschichte in einem Teil von Colorado, mit dem ich sehr vertraut bin. Tatsächlich ist die Stadt Thompsonville eine fiktionale Version der Stadt, in der ich lebe. Die Einsamkeit und Isolation des Romans wird durch die Strenge der Stadt und der sie umgebenden Landschaft bestimmt.

Sie schreiben keine politischen Romane, wie Sie einmal in einem Interview sagten. Aber kann man diesen Roman auch als eine Gesellschaftsanalyse verstehen?
In gewisser Weise ist ja jeder Roman ein politischer Roman, da er die eigene Weltanschauung zum Ausdruck bringt. Aber dieser spezielle Roman fühlte sich immer kleiner und konzentrierter an. Es ist ein Familiendrama, ein Familienkrimi, voller Familiengeheimnisse. Die Politik steht jedoch immer im Hintergrund, da diese Figuren in einer sozialen Struktur leben, die Grenzen setzt und Möglichkeiten bietet.

Die Religion bietet Stabilität und Struktur – aber sie löst auch alles aus, was eigentlich nicht sein sollte. Wie wichtig ist das für Sie?
Ich war schon immer von Religion fasziniert, obwohl ich selbst nie sehr religiös war. Ich sehe, wie Menschen die Religion als Trost benutzen können, aber ich habe auch gesehen, wie sie sie benutzen können, um Grausamkeit und Arroganz zu unterstützen. In diesem Roman hält Holts Mutter an einer sehr dogmatischen Version des Christentums fest, um mit vergangenen Traumata fertig zu werden und diesen Traumata einen Sinn zu geben. Aber indem sie sich an diese Religion klammert, schafft sie tatsächlich mehr und mehr Traumata.

Ich habe mich gefragt: Inwieweit ist dies überhaupt ein »Kriminalroman«?
Sicherlich nicht im traditionellen Sinne. Aber es werden Verbrechen begangen, schreckliche Verbrechen, und Holt wird zu einer Art Detektiv in der Vergangenheit seiner Familie, also würde ich sagen, dass es in diesem Sinne passt. Ich habe mich immer als Genre-Autor betrachtet, aber ich habe mich nie auf ein bestimmtes Genre festlegen lassen. Dieser Roman hat Elemente des Krimis, des Horrors und der Sothern Gothik/Südstaaten-Gotik. Aber letztendlich ist es ein Roman über die Entdeckung unserer eigenen Dunkelheit.

Die Ermittlung ist natürlich von zentraler Bedeutung. Die verdrängte Wahrheit muss rekonstruiert werden, damit die Vergangenheit die Gegenwart nicht mehr quält. Das ist fast schon therapeutisch, nicht wahr?
Eine der zentralen Fragen in diesem Buch ist, ob es besser ist, die Wahrheit zu erfahren oder lieber in einer bequemen Unwissenheit zu leben. Ich glaube, tief in seinem Inneren weiß Holt, dass in seiner Vergangenheit etwas Schreckliches passiert ist, und er kann erst dann weitermachen, wenn er nachforscht, wenn er die Wahrheit erfährt. Und während er schließlich über diese dunklen Geheimnisse stolpert, hat er auch sein ganzes Leben lang mit ihnen gelebt. Aufgrund dieser Geheimnisse war er nie in der Lage, einen anderen Menschen voll und ganz zu lieben, und schon gar nicht sich selbst.

Am Ende findet Holt die Wahrheit – und er findet Vergebung. Findet er auch Erlösung? 
Er findet die Wahrheit, aber ich denke, es wäre übertrieben zu sagen, dass er Erlösung findet. Aber vielleicht entwickelt er eine Art von Mitgefühl für sich selbst, und vielleicht ist das schon genug. Für mich bedeutet Erlösung das Ende einer Reise, und ich glaube, am Ende des Romans steht Hold erst am Anfang seiner Reise.