In der Wunde stochern

Doug Johnstone im Gespräch mit Marcus Müntefering
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Doug, Ihr 2024 bei Polar erschienener Roman EINBALSAMIERT endete spektakulär – Jenny, die mittlere der drei Skelf-Frauen, tötete in einem brutalen Kampf ihren Ex-Ehemann Craig, der die Familie seit drei Bänden in Angst und Schrecken versetzt hatte. Ich hatte das Gefühl, dass damit die Geschichte abgeschlossen sein könnte. In Großbritannien sind aber inzwischen sechs Romane aus der Skelf-Reihe erschienen, in Deutschland jetzt mit »Schwarze Herzen« der vierte Band. Was bringt Sie dazu, immer weiter über die drei Frauen zu schreiben, die gemeinsam ein Bestattungsunternehmen mit angeschlossener Detektei führen?
Tatsächlich hatte ich, als ich mit den Skelf-Romanen angefangen habe, an eine Trilogie gedacht. Aber dann stellte ich fest, dass es mir einfach zu viel Spaß macht, über diese Frauen zu schreiben. Je besser ich sie kennenlernte, desto klarer wurde mir, dass ich noch viele Geschichten über sie erzählen und mehr Zeit mit ihnen verbringen will. Was die Bücher für mich so besonders macht, ist, dass die Geschichten nie wirklich enden, auch der Tod ist nicht zwangsläufig das Ende.

Was meinen Sie damit?
Selbst jemand wie Craig, der natürlich ein Bösewicht ist, ist auf der anderen Seite auch jemandes Bruder und jemandes Sohn. Deshalb sind seine Schwester und seine Mutter in »Schwarze Herzen« dabei. Ich fand es spannend, zu schauen, wie diese Menschen ihn sahen, mit Liebe, und wie diese andere Sicht auf ihn wiederum auf die Skelfs wirkt. Das ist ja ohnehin etwas, das Dorothy ausmacht: Dieser Blickwechsel, diese permanente Frage: Wie könnte man Dinge auch anders sehen und beurteilen. Das zu schreiben, war eine große Herausforderung, es war richtig unangenehm, mir auszumalen, dass auch ein so schrecklicher Mann wie Craig Menschen haben kann, die ihn lieben. Aber was gibt es etwas Interessanteres, als in einer Wunde zu stochern?

In den Skelf-Romanen geht es immer um Trauer, um das, welche Verheerungen der Tod bei den Hinterbliebenen anrichtet. Aber so düster wie in »Schwarze Herzen« war es noch nie. Vor allem Jenny hat mit ihren Traumata zu tun und driftet ab. Wie halten Sie das beim Schreiben aus, Ihre Heldinnen immer wieder in Abgründe blicken zu lassen?
Die Bücher spielen in einem Bestattungsunternehmen. Es gibt also offensichtlich eine Unterströmung von Trauer, die sich durch alles zieht. Aber ich glaube, dass dieses
Thema vor allem bei »Schwarze Herzen« wirklich in den Vordergrund gerückt ist. Tatsächlich habe ich beim Schreiben aber viel Spaß. Vor allem liebe ich es, über Jenny zu schreiben. Sie ist so kaputt und selbstzerstörerisch. Wie ich sie aus der Generation X (Menschen, die zwischen 1965 und 1980 geboren wurden, d. Red.), und viel von ihrem Verhalten erkenne ich bei mir wieder. Aber darüber hinaus ist es mir wichtig, so realistisch wie möglich über Tod, Trauer und Trauma zu schreiben. Denn in Krimiserien, vor allem, wenn – anders als bei mir – Polizisten im Mittelpunkt stehen, werden die Dinge am Ende allzu oft auf den Ausgangspunkt zurückgesetzt, und der Polizist macht einfach weiter mit seinem Leben. Das ist übrigens auch ein Grund, warum ich früher nur Standalones geschrieben habe: Meine Figuren mussten so tief durch die Scheiße waten, dass sie hinterher ein Fall für die Psychiatrie gewesen wären – und nicht für eine Fortsetzung.

Jenny ist im neuen Roman tatsächlich in psychologischer Behandlung, kompensiert ihren Schmerz allerdings vor allem mit Sex und Alkohol. Ich habe mir große Sorgen um sie gemacht. Ist mit »Schwarze Herzen« die Talsohle durchschritten?
Auf jeden Fall. Aber sie musste erst ganz unten ankommen, um sich wieder aufzurappeln, und dazu gehört auch, dass sie auf einem Kneipenklo Sex mit ihrem Therapeuten hat. Übrigens war sie in früheren Fassungen des Romans sogar noch selbstzerstörerischer, aber mein Lektor regte an, dass ich das lieber ein bisschen abschwächen sollte.

Nachdem ihr Ex-Mann Craig endlich tot ist, hätte Jenny ja auch befreit sein können. Aber für sie gibt es keine Katharsis – was ihre Mutter Dorothy wohl vorausgesagt hätte.
Auf jeden Fall ist Dorothy sehr viel offener und nachsichtiger als ihre Tochter. In gewisser Weise stehen Dorothy und Jenny für die beiden Seiten, die in mir stecken, aber auch in vielen anderen Menschen. Aufgeschlossenheit und Empathie gegen Egozentrik und Engstirnigkeit.

Sämtliche Originaltitel Ihrer Skelf-Romane, von »A Dark Matter« »Eingeäschert« bis »The Great Silence«, haben bislang ihren Ursprung in der Astrophysik, dem Fach, dass die jüngste Skelf-Frau Hanna studiert. Woher kommt der Begriff Schwarze Herzen?
Die Wissenschaft ist voller erstaunlicher Metaphern über das Leben. »Schwarze Herzen« leitet sich davon ab, dass es im Zentrum jeder Galaxie ein supermassives schwarzes Loch gibt. Das ist doch eine großartige Metapher für die Dunkelheit, die in unserer Welt und in jedem von uns existiert.

Aber neben der Dunkelheit gibt es ja auch immer die Hoffnung und den Trost, den wir bei anderen Menschen finden können, oder?
Unbedingt. In allen meinen Büchern beschäftige ich mich damit, wie Menschen versuchen, in Verbindung mit anderen zu treten. Mit Familie, Freunde, Gemeinschaft. Darum geht es doch den meisten Menschen, auch wenn das im 21. Jahrhundert zunehmend verloren zu gehen scheint. Warum ich so gern darüber schreibe, hat viel damit zu tun, dass ich selbst ziemlich schlecht darin bin, mit Menschen Kontakt zu halten. Als Autor, der allein an seinem Schreibtisch sitzt und sich Geschichten ausdenkt, ist man zwangsläufig ein Einzelgänger. Ich lebe in Portobello, einem Teil von Edinburgh, der ein bisschen wie eine Kleinstadt ist. Und ich versuche, ein Teil dieser Gemeinschaft zu sein, aber ich sträube mich auch dagegen. Und manchmal denke ich: Was würde Dorothy in meiner Situation tun?

Edinburgh ist ja kein unbeschriebenes Blatt, was Literatur und gerade auch Kriminalromane angeht. Wie haben Sie sich dort positioniert?
Genau deshalb habe ich lange gezögert, bis ich zum ersten Mal einen meiner Romane in Edinburgh angesiedelt habe. Aber dann wurde mir klar, dass jeder Mensch einen anderen Blick auf die Stadt hat, es viele unterschiedliche Versionen einer Stadt gibt, die sich überlagern. Mein Edinburgh unterscheidet sich sehr von Ian Rankins oder Irvine Welshs Darstellung der Stadt – und zeigt eine ganz andere Stadt als die, die zum Beispiel Touristen erleben, die sich nur in einem Radius von ein paar Hundert Metern um das Schloss bewegen. Ich zeige ganz bewusst Gegenden von Edinburgh, die bislang unterrepräsentiert waren, Menschen, die sonst nicht gehört werden, Dinge, die unter der Oberfläche passieren. Was mich interessiert, ist, dass die Skelfs die Stadt ganz anders erleben, auf ihrem Stadtplan sind Friedhöfe, Pflegeheime und Krematorien verzeichnet, ein Netzwerk des Todes.

Vielen Dank für das Gespräch!