Interview Alf Mayer mit Franck Bouysse zu »Grossir le ciel«

»Grossir le ciel« war eines Ihrer ersten Bücher und erhielt Literaturpreise. Wie wichtig war das Buch für Franck Bouysse selbst?

Dieses Buch markiert eine echte Wende in meinem literarischen Werdegang. Zum ersten Mal erreiche ich durch meine Herkunft, genauer gesagt, dadurch, dass sich meine Art zu schreiben vom Boden meiner Kindheit nährt, ein nationales und dann auch ein internationales Publikum. Wie ein Wünschelrutengänger, der Wasser findet und nun weiß, wo er graben muss.

Ging Ihnen das Schreiben leicht von der Hand? Was war das für ein Prozess?

Wenn ich schreibe, bewohnen mich die Figuren Tag und Nacht, sie ergreifen Besitz von mir. Ich habe keine andere Wahl, als ihnen bis zum Ziel zu folgen, bis zum Ende dessen, was sie zu erzählen haben. Ich reiche ihnen die Hand, das ist ganz einfach und auch sehr nervenaufreibend, dabei sind Körper und Geist beteiligt. Es ist weder leicht noch schwer, ich schreibe in einem Zustand der »Abwesenheit«.

Sie stellen Ihrem Roman ein Zitat von James Agee voran. Warum dieser Autor?

Das basiert auf der Idee, eine verschwindende Bevölkerung zu würdigen. Eine Hommage an das sterbende Bauerntum, ohne jegliche Einschränkung. Deshalb berühren mich die entsprechenden Arbeiten eines James Agee, eines Walker Evans, eines Curtis so sehr, es ist dringend geboten, Zeugnis darüber abzulegen, bevor niemand mehr in der Lage ist, dies zu tun. Im Namen derer zu sprechen, die das nicht können.

Fühlen Sie sich auch noch anderen Autoren verwandt? Bestimmten Traditionen?

Ja, es gibt großartige Autoren, die Ihnen Freiräume eröffnen anstatt Sie einzuschränken. In meinem Fall sind das unter anderen Homer, Stevenson, Shakespeare, Giono, Dostojewski, Cormac McCarthy und Faulkner.

Gibt es auch in Frankreich so etwas wie »nature writing«? Und können Sie uns zwei, drei Bücher empfehlen?

Es gibt hervorragende Autoren, die das Thema Land aufgegriffen haben, obwohl viele Leser dies weit weniger exotisch finden als das amerikanische »nature writing«. Es ist immer die Schreibweise, die den Unterschied macht. Jean Giono, Pierre Michon, Marie-Hélène Lafon, um nur einige zu nennen. Man sollte beispielweise »Vies minuscules« von Pierre Michon lesen, »Un roi sans divertissement« von Jean Giono und »Joseph« von Marie-Hélène Lafon.

Das Zitat von James Agee betont die Ewigkeit der Natur und die Kleinheit des Menschen? Oder verstehe ich das falsch?

Genauer gesagt: Ich wollte zeigen, dass sich alles in dieser Welt auf demselben Niveau befindet: das Tier, die Pflanze, der Stein und der Mensch. Die Festlegung des Wertes liegt nie im Gefühl, welchem auch immer, sondern in der Arbeit.

Sie selbst führen Ihre Figur Gus auch schon gleich im ersten Absatz damit ein: »Es war sein Platz in der gewaltigen Ordnung des Universums, weil er sich keinen anderen vorstellen konnte.« Die Menschen sind in ihr Schicksal Geworfene?

Meine Bücher sind tatsächlich sehr erfüllt von der griechischen Tragödie, der Bedeutung von Tradition und dem vertikalen Ablauf von Zeit, der dazu führt, dass die älteren Generationen die jüngeren ersticken. Seit »Grossir le ciel« gibt es immer eine Figur, die einen Schritt zur Seite macht, um das Schicksal zu durchkreuzen.

Was ist das für ein Echo in solch einem Satz? Beckett? Der französische Existentialismus?

Nichts von alledem, eher ein Determinismus, der in diesen isolierten Milieus vorherrscht. Man lebt dort nicht aus freien Stücken, sondern weil man nichts anderes kennt, und es ist nicht gut, etwas anderes kennenzulernen, denn dann würde man als Verräter gelten. Für einige ein Segen, für andere ein Fluch.

George Simenons kleine Leute, die Menschlichkeit Maigrets, seine »romans durs«, hat Sie das einmal begleitet? (Wobei, Natur kann Simenon nicht.)

Simenon gehört zu diesen wenigen Autoren, die von den ersten Buchstaben an eine einzigartige Atmosphäre schaffen. Der Leser ist gefesselt. Simenon interessiert die menschliche Natur, er hat nie damit aufgehört, sie in seinem Werk ausführlich zu erforschen. Ich habe vor Kurzem ein Vorwort für die Neuauflage einer Gesamtauflage geschrieben.

Wonach suchen Ihre Figuren?

Die meisten meiner Figuren suchen nichts, sie nehmen hin, was ist. Diejenigen, die Emanzipationsbestrebungen haben, gehen systematisch über eine künstlerische Form hinaus.

Woher kommt Ihre Affinität zum Kriminalroman?

Ich glaube, das ist ein Missverständnis, das teilweise darauf beruht, dass ich einige Krimipreise für ein Buch bekommen habe, das gar kein Kriminalroman ist. Übrigens kenne ich das Krimigenre gar nicht so gut. Meine ersten Lieblingsautoren waren Schriftsteller wie Eugène Sue, Alexandre Dumas, Victor Hugo, Dickens … Ich wollte von einer Seite zur nächsten kommen, weil die Autoren so viel Spannung erzeugten. Ich denke, das ist bei mir als Romanautor hängengeblieben. Ich liebe es, mich zu überraschen, wenn ich schreibe. In meinem Buch gibt es keinen einzigen Polizisten, auch keine Handlung im klassischen Sinn, dagegen aber eine permanente Spannung.

Wie fühlen Sie sich, wenn »Grossir le ciel« als »rural noir« bezeichnet wird? Gäbe es eine bessere Bezeichnung?

Bei Klassifikationen fühle ich mich immer etwas unbehaglich, sie reduzieren ein Buch häufig auf ein Genre, stecken es in eine Schublade. »Grossir le ciel« ist ein Roman Noir, ein Liebesroman, ein poetischer Roman, manchmal witzig, kurz gesagt, es ist ein Roman, der verschiedenen Genres zugerechnet werden kann, ein Roman, der verschiedene Arten von Emotionen bedient.

In USA ist es vor allem James Lee Burke, der Natur in seine Kriminalromane bringt. Lesen Sie ihn? Lesen Sie viele andere Autoren?

Ich habe einige Bücher von James Lee Burke gelesen. Ich kann alle Arten von Büchern lesen, wenn Sprache und Stil vorhanden sind. Deshalb verehre ich heute so sehr einen Cormac McCarthy, wegen seines stimmigen Werkes.

Sie haben eine gewisse Affinität zu Amerika und zur amerikanischen Kultur, zu Western und zu Indianern. Auch Gus schaut sich einen Film mit Richard Widmark an. Wie verhält es sich damit?

Ich bin in meiner Kindheit ständig Western begegnet, es gab jeden Dienstagabend einen im Fernsehen. Ich denke schon, dass sie mich stark geprägt und später dazu gebracht haben, mich für Indianer, ihre Kultur und ihre Ausrottung zu interessieren. Ich war sehr schnell auf der Seite der Indianer.

Und dann spielt ja Landschaft bei Ihnen eine zentrale Rolle. Warum das? Und warum die Cevennen?

Ja, die Cevennen, sie sind eine Hommage an Raymond Depardon, einen großartigen französischen Fotografen und Dokumentarfilmer. Während ich einen seiner Dokumentarfilme sah, tauchte das erste Bild in mir auf und brachte mich dazu, »Grossir le ciel« zu schreiben. Aber der Roman könnte genauso gut im Corrèze spielen, wo ich geboren bin, in Montana oder in Apulien. Figuren auf dem Land funktionieren fast alle nach den gleichen Codes.

Wenn man über das Land schreibt, muss man es kennen. Sie sind ein Outdoor-Mensch?

Ich komme aus einem winzigen Dorf im Zentrum Frankreichs. Ich bin ein Landmensch. Ich habe mein Leben damit verbracht, das Land zu beobachten und es zu fühlen. Ich kenne die Namen von Tieren und Pflanzen, die es ausmachen. Ich habe das Land für einige Jahre verlassen und bin dann zurückgekommen, denn auf dem Land fühle ich mich gut, ganz bei mir.

Sie scheinen die Gegend, über die Sie schreiben, das dörfliche Umfeld und die bäuerliche Arbeit sehr gut zu kennen. Sind Sie Bauernsohn? Sind Sie dörflich aufgewachsen?

Meine Großeltern waren Bauern. Ich war immer eingetaucht in dieses Milieu. Sie waren nicht nur Personen, sie waren Persönlichkeiten. Ich machte mir ihre Lebensweise zu eigen, jede ihrer kleinen Gesten, ihre sparsamen Worte, ihr Schweigen, mit dem sie sprachen. Es hat ein Weilchen gedauert, bis ich ihre Sprache über meine Bücher entschlüsselt hatte.

Wie lassen Sie sich inspirieren? Betrachten Sie Fotos? Wie entstehen Ihre Figuren? Gibt es für den Hund Mars ein lebendes Vorbild?

Alle meine Bücher gehen auf ein mentales Bild zurück, auf ein intensives Gefühl, das mich durchdringt, immer ausgehend von der Kindheit. Ernesto Sabato sagt dem Sinn nach: Das Wesen des Werkes eines Künstlers liegt in der Besessenheit von seiner Kindheit. Diese Gefühlsobsession beginnt, sich durch einen ersten Satz abzuspulen, weil ich ja noch nichts von der Geschichte weiß, die ich schreiben werde. Mars war ein Hund, den ich als Kind hatte.

Und für die anderen Figuren?

Die Figuren kommen, sie vertrauen mir. Ich habe mir versprochen, sie niemals zu verraten, auch nicht die übelsten. Ob sie mich ins Licht oder in die tiefste Finsternis führen, es gibt immer einen Grund, der später aufgedeckt wird. Wenn der Autor beginnt, sich während des Schreibens Fragen zu stellen, ist alles verdorben und klingt letztendlich sehr schnell falsch und hohl.

Sie beschreiben die Gegend Ihres Romans einmal als »eine eigenartige Region voller Grobiane und wortkarger Menschen«. Gus spricht lieber mit Tieren als mit Menschen. Was sind die schriftstellerischen Herausforderungen, statt »screwball«-Dialoge die Welt und die Kommunikation wortkarger Menschen zu beschreiben?

Ich spreche von dem, was ich kenne, was mich berührt. Ich bin kein Liebhaber von Feel-Good-Büchern. Ich suche nicht danach, mich gut zu fühlen, beim Lesen nicht und beim Schreiben schon gar nicht. Ich möchte in dem, was ich schreibe, so aufrichtig wie möglich sein, und ich erwarte dasselbe von dem, der liest. Ich mag lieber Bücher, die aus dem Autor selbst kommen statt solche, die geschrieben werden, um zu gefallen oder dem Zeitgeist zu entsprechen. Zeitgenössischer Schriftsteller zu sein, ist erstrebenswerter, als aktueller Schriftsteller zu sein.

Gus ist ein Mensch ohne Überzeugungen. Sie charakterisieren ihn zu Beginn einmal als »ein sanft gerundeter Hügel und kein zerklüfteter Berg«. Er ist also ein »Mann ohne Eigenschaften«. Kennen Sie das Buch von Robert Musil? Und würden Sie einen Vergleich ziehen?

Dazu bin ich leider nicht in der Lage, ich habe das Buch von Musil nicht gelesen.

Sehe ich das richtig, dass viele Ihrer Romane auf dem Land und unter einfachen Menschen spielen? Was hat das für einen Grund?

Historische Bücher und viele Romane sind voll von Berühmtheiten. Ich dagegen spreche von Menschen und ihren winzigen Leben, von diesen Poeten des Alltags, die nicht wissen, wie edel und würdig sie sind. Ich möchte, dass man sie nicht vergisst, ich würde sie am liebsten zu mythologischen Wesen machen, ohne ihre Schwächen auszusparen.

Und jetzt müssen Sie uns noch etwas über Jean Giono sagen.

In diesem Jahr ist mir die großartige Ehre zuteilgeworden, für mein neuestes Buch »Buveurs de vent« den Prix Jean Giono zu erhalten. Genau wie Faulkner, der seine imaginäre Grafschaft erschuf, erschuf Giono seine eigene Provence. Er hat ein Werk von außergewöhnlichem Erfindungsreichtum erbaut, sowohl was die verwendete Sprache als auch die Originalität der Geschichten betrifft. Er erzählte auf seine ganz eigene, unter allen erkennbare Art. Er sagte: »Die Kinder sind die Ergebnisse von dem, was wir sind, und was wir sind, wissen wir nicht.« Ich glaube, das gilt genauso für seine Bücher, und auf diese Weise hat er weitergeschrieben bis zum Ziel, nicht, um zu wissen, wer er war, sondern um sich dies nicht fragen zu müssen.