Interview mit Katherine Faw über „Young God“

geführt von Kirsten Reimers

 

Zerbrochene Buntglasscheibe
© duqimages / Adobe Stock

Ich bin sehr beeindruckt von Ihrem Roman. Er erinnert mich an eine griechische Tragödie, die aber weder in der Katastrophe noch mit der Katharsis endet, sondern mit der Apotheose Nikkis als Nike, der Siegesgöttin (und Levi als Chor).

Vielen Dank! Obwohl es eine tragische Geschichte ist, habe ich beim Schreiben kaum über den klassischen Aufbau einer griechischen Tragödie nachgedacht. Wenn es eine Tragödie in diesem Sine ist, dann eine über den Niedergang von Verbrechern, nicht von Helden. Es ist eine Tragödie von Verbrechern, mit Levi als Chor.

Ich denke schon, dass die Geschichte die Krassheit von griechischen Mythen hat. Manchmal denke ich, es ist ein dunkles Märchen, wie die ursprünglichen Märchen der Gebrüder Grimm, aber ohne Magie. Ihr liegen wesentliche und grundlegende Züge von beiden Ausprägungen zugrunde.

Es geht um Entwicklung, aber ich neige dazu, Nikki als Verkörperung von Persephone zu sehen, der Göttin der Unterwelt. Oder Nikki als niederträchtige Athena, dem niederträchtigen Hirn von Zeus entsprungen. Aber mir gefällt auch die Idee von ihr als Nike, der Tochter des Styx.

Nikki wurde in Rezensionen oft vergliechen mit Ree Dolly aus „Winters Knochen“ von Daniel Woodrell, aber sie erinnert mich eher an Fay aus dem gleichnamigen Roman von Larry Brown, obwohl Nikki natürlich sehr viel weitergeht als Fay.

Ich habe beide Bücher gelesen, während ich „Young God“ schrieb. Obwohl alle Bücher ungezähmte junge Mädchen aus dem ländlichen Süden in den Mittelpunkt stellen, scheint mir Nikki doch recht verschieden von Ree und Fay zu sein. Rees Antrieb ist die Familie und die Vorstellung, dass Land die Verkörperung der Familie ist, ganz anders als Nikki. Fay ist von völliger Unschuld, die nicht beschmutzt wird trotz allem, was ihr geschieht und was sie im Buch tut.

Nikki ist egoistisch, ehrgeizig und berechnend. Sie ist ein vernachlässigtes Kind, das sich nach der Aufmerksamkeit des Vaters sehnt. Sie ist ein gerissenes Kind in einer Welt voller gewalttätiger schwacher Männer. Sie will ihr Vater sein, bis sie erkennt, was für ein Versager er ist, wie klein er im Grunde ist und von dem Moment an, will sie mehr sein als er. Im Innersten ist sie jemand, die auf die Welt blickt, in die sie geboren wurde, und erkennt, was sie daraus machen kann. Sie ist dreizehn, die Prinzessin eines armen und bescheidenen Königreichs, und das ist, was ihr zur Verfügung steht.

In einem Interview haben Sie gesagt, dass Sie fünf Jahre an diesem Roman geschrieben haben. Stimmt es, dass Sie den größten Teil der Zeit damit verbracht haben, die Geschichte auf 22.000 Wörter herunterzukürzen?

Ich habe fünf Jahre am Buch gearbeitet. Während eines Teils der Zeit habe ich an einem Master-of-Fine-Arts-Programm der Columbia University teilgenommen. Die letzten sechs Monate dieser fünf Jahre habe ich damit verbracht, das Manuskript von mehr als 100.000 Wörter auf 22.000 Wörter zu kürzen.

Mir ging es darum, mich von dem Gewicht dessen zu befreien, was heute immer noch von einem Roman erwartet wird: die Form des realistischen bürgerlichen Romans des 19. Jahrhunderts zu haben. Ich habe das getan, indem ich ihn zusammenstrich und eine Schwarz-Weiß-Welt von wenigen Worten und viel leerem Raum erschuf.

Als ich begann, mir „Young God“ als fassbares Objekt vorzustellen und nicht als eine Geschichte von „echten Leben“, in die ein Autor ein- und aussteigen kann, war es mir möglich, das Buch innerhalb von sechs Monaten zu vollenden. Auf diese Weise sehe ich alle meine Romane: eher als Kunstobjekte, individuell und artifiziell, weniger als Welt, in die man eintauchen kann. Das ist die Art und Weise, wie ich ans Schreiben herangehe und es beurteile, durch die ich weiß, an welchen Stellen es bearbeitet werden muss und wann es fertig ist.

In einem anderen Interview sagten Sie, dass Sie den Titel dem Stück „Young God“ von Swans entliehen haben. Was verbinden Sie damit – oder anders gefragt: Wie hängt das Stück für Sie mit der Figur Nikki zusammen? Ist es eine Art Selbstermächtigung? Das Einverleiben, die Vernichtung des Vaters?

Ich habe den Titel gewählt, weil ich mochte, dass er nur aus zwei Worten bestand, und was diese vermitteln: einen Gott oder eine Göttin in jungen Jahren. Eine junge Göttin ist bestimmt impulsiv, gnadenlos, durch und durch ideologisch, emotional verletzlich, anfällig für Dummheiten wie alle Teenager. Es hat mehr von dem griechischen Konzept der Götter.

Es ist eher Zufall, dass es der Titel eines Songs ist. Das ist nicht meine Art von Musik, aber ich kann es vor mir sehen, wie Nikki darauf abgeht.

Eine Frage zum Ende: Nikki tritt in die Fußstapfen ihres Vaters, sie übernimmt seine Rolle als Dealer – wird aus ihr eine zweite Version ihres Vaters oder wird sie etwas neues Schaffen, ein anders Rollenkonzept, das der männlich dominierten Welt etwas entgegensetzt?

Ich vermute, dass es für Nikki auf einen frühen Tod oder eine frühe Mutterschaft hinausläuft. Aber ich denke nicht darüber nach, was meinen Figuren außerhalb meiner Romane zustößt. Meine Charaktere haben für mich keine „Vorgeschichte“. Sie „leben“ nicht fort nach dem Ende der Romane. Sie bestehen nur aus den Wörtern, für die ich mich im Buch entschieden habe, wie jede Figur in jedem Roman. Nikki „existiert“ von Seite 1 bis Seite 217. Auf diesen Seiten steht alles, was es zu wissen gibt. Nikki schwingt für immer die Axt über den Kopf ihres Vaters, das ist die letzte Stufe der Entwicklung.

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