„Brant ist der Teufel in Uniform“
Ken Bruen im Gespräch mit Alf Mayer
Als Brant im Jahr 1998 die Bühne betrat (ich rede von der englischen Erstausgabe), war Colin Dexters Inspektor Morse schon seit 1975 im Dienst …
Nun, der Titel von Dexters Erstling war ja ganz schön, „Der letzte Bus nach Woodstock“, ansonsten aber, pardon my English, war und ist das ganz sicher nicht meine Welt. Ich hab’s gerne geschüttelt, gerührt, rabenschwarz hineingespuckt und mit Rock’n Roll der rotzig-punkigen Art. Colin Dexter, my ass (schüttelt sich) …
Rilke on Black? So hieß 1996 doch dein erster Kriminalroman…
(lacht) Genau. Brant hat damals den Fall gelöst, zumindest lasse ich das einen TV-Reporter in „Saubermann“ sagen. Ein bisschen Selbstreferenz muss sein.
Aber ja. Ich kenne keinen Autor, der anderen Autoren so viel Referenz erweist wie Du. In „Saubermann“ ist das ganz besonders für …
Ed McBain! Großer Tusch! Der Große Ed und seine Cops vom 87. Polizeirevier, ich habe ihn persönlich gekannt, in meiner New Yorker Zeit. Er war mein Held. Welch ein Gigant. Und dabei ein total netter Mann. Friede seiner Asche.
„Keiner kriegt Polizeikrimis so hin wie Ed“, lässt Du deine Figur in „Saubermann“ sagen. Brant hat ein ganzes Regal voller McBain-Romane. Ein Cop, der Cop-Romane liest?
Why not? Meine Figuren lesen eben. Das teilen sie mit mir. Und es müssen natürlich die richtigen Bücher sein. Ed McBain hat 50 Jahre lang Polizeiromane geschrieben, sich dabei kaum wiederholt. Er hat immer wieder Neues probiert, die Grenzen verschoben. Er war ein verdammter Alchemist. Und nebenbei sind seine Figuren immer anarchistischer geworden.
Einspruch, euer Ehren. Manche von ihnen. Steve Carella ist und bleibt ein Musterknabe. Brant wie auch Roberts sind das sicher nicht.
Zur Hölle, ja! Ed hatte die gute Idee, seine Cops in einer imaginären Stadt operieren zu lassen. Wir wissen immer, es ist New York. Aber er lässt sich nie darauf festnageln, das ist ja das Geniale. Ich hingegen, ich habe mir bewusst London ausgesucht. Und während Ed in der Mitte des Jahrhunderts mit seinen Cop-Romanen anfing, kam ich fast 50 Jahre später auf die Bühne, knapp vor dem Millenium. Da herrschte nicht gerade Euphorie für ein neues Jahrtausend. Das 20 Jahrhundert hat uns alle ziemlich geschlaucht. Natürlich sind das andere Zeiten. Und eine andere Polizei.
Warum London? Und genauer: Warum Südost-London?
Diese Stadt hat mir damals das Leben gerettet. Ich war 25 Jahre in der Welt herumgezogen, habe mir als Lehrer Geld verdient. In Brasilien geriet ich in eine Barschlägerei, wurde zusammen mit vier anderen Ausländern verhaftet, war Monate im Gefängnis. Das war die echte harte Hölle. Das wünsche ich nicht meinem ärgsten Feind. Das hat meinen Glauben an die Menschheit für immer erschüttert. Vielleicht erzähle ich mal davon, aber nicht jetzt. Dann lieber London, die Stadt, in der ich meine Stimme als Autor gefunden habe.
Also: Warum London?
Südost-London habe ich mir ausgewählt, weil es so nah an Brixton liegt. Auch dank der Deutschen und ihrer „V 2“-Bombenteppiche ist das schlicht der munterste Teil unseres nationalen Molochs, jedes Jahrzehnt wurde hier aufs Neue alles wieder aufgemischt. Sei es Trümmerzeit, Immobilienspekulation, Ghettoisierung, Migranten, Junkies, Musiker, Punk, Ska oder Reggae, Arbeitslose – hier hausen die Verlorenen und die Verstoßenen, die Fleißigen und Fertigen und die Überlebenskünstler. Es gab Jahre, in denen ganze Schwaden von Joints über die Straßen wehten.
Ich glaube, auch Derek Raymond hat sich hier auch heimisch gefühlt, oder nicht?
Ja, die meisten seiner Romane spielen hier. Brixton hatte 1981 die großen Aufstände. Die Polizei hatte eine Aktion namens „Operation Swamp“ laufen, mit der die Straßenkriminalität verringert werden sollte. Innerhalb von fünf Tagen haben die damals über 1000 Leute auf offener Straße angehalten und durchsucht. Dann ist das Pulverfass explodiert.
Ich habe für dieses Interview nachgeschaut. Es gab über 300 Verletzte, mehr als 100 angezündete Fahrzeuge, mehr als 150 beschädigte Gebäude, 30 nur noch Ruinen. 82 Personen wurden festgenommen.
Sie haben es untersucht, es gab eine Kommission. Ein gewisser Lord Scarman hatte den Vorsitz. Den Namen kannst Du dir auf der Zunge zergehen lassen (lacht). Natürlich stellten sie unverhältnismäßige Gewaltanwendung der Polizei fest…
1995 gab es wieder Aufstände. Ein schwarzer Bruder namens Wayne Douglas war im Polizeigewahrsam umgekommen. Dann, 1999, hatten wir eine Nagelbombe auf dem Brixton Market mit 48 Verletzten. Eine weitere auf der Brick Lane in Ost-London, bei den Bangladeschis, noch eine in einer Schwulenbar in Soho. Als sie den Täter fassten, gestand er, dass er einen Rassenkrieg anzetteln wollte.
Und das Ergebnis war ein Stadtteil mit Polizisten wie Brant und Roberts? Brant bezeichnet sich selber als wandelnde Menschenrechtsverletzung – und er ist sogar stolz darauf.
Ja, das nennt es beim Namen. 1999 stellte der Macpherson Report fest, dass alle Empfehlungen der Kommission von 1981 missachtet worden waren, und dass – hier hast Du deinen Brant – die Polizei „institutionell rassistisch“ sei.
Brant übt im Revier schon mal den Hitlergruß oder sagt über einen jungen Polizisten: „Wir machen schon noch einen Faschisten aus ihm.“ Ganz schön hart.
Du hast aber trotzdem weitergelesen, oder? Auch in den „Simpsons“ wird einer Katze die Haut abgezogen …
Wenn Du heute all diese Cop Shows im Fernsehen und im Streaming siehst, was denkst Du dir dabei?
Ich denke, mein Gott, warum hast Du mich verlassen? Warum all diese Gehirnerweichung? Diese Feigheit? Dieses weichgespülte Gesülze? Das meiste davon ist nur dazu da, dass man es schon beim Sehen wieder vergisst.
Keine Ausnahmen?
Zwei Serien bekommen dieser Tage mein Votum. Ozark. Fargo.
Deine Art Kunst ist und wäre eine andere?
Aber ja. Kafkas Axt und all das. Du musst dir nur eine Serie wie die australische „Mystery Road“ mit diesem fast sprachlosen Aborigines-Detective anschauen, für den ja auch die Gesellschaft kaum Worte oder gar ein freundliches hat, dann weißt Du, was eine gute Cop Show sein kann. Aaron Pedersen ist phantastisch. Das ist meine Art Stoizismus.
Was würden deine Figuren Jack Taylor und Inspector Brant über dich als Autor sagen
Jack Taylor würde sagen, lass mich in Ruhe. Brant würde nur verächtlich schnauben: Jammere nicht so.
Und über dich als Freund?
Taylor sähe das ziemlich sarkastisch. Brant würde mir die Tür vor der Nase zuschlagen. Ich brauch’ keine Weicheier als Freund.
Und was sagen sie über das Leben, das Du ihnen bescherst?
Jack Taylor würde sagen: Wann kannst Du mich endlich loslassen? Seit mehr als zehn Jahren erzählst Du dauernd, dass das jetzt aber dein letzter Jack-Taylor-Roman sei, und dann schreibst Du noch einen. Und noch einen. Brant hingegen wäre mit seinen sieben Büchern zufrieden. Und mit dem, wie er ist, sowieso. Er ist ein Bastard.
Wie würdest Du die Beiden beschreiben?
Jack Taylor ist Dantes neunter Kreis der Hölle in Person. Brant ist der Teufel in Uniform.
Mitten in London?
Oh ja. Genau darum geht es. Warum soll der nur wie bei Michail Bulgakow über Moskau auf dem Besen reiten? Wir im alten Empire können das auch. Über Brixton haben sie damals gesagt, es sei die britische Version von Watts. Für mich war es ein guter Ort, um sich zu verstecken und den ersten Roman zu schreiben. Ich schickte ihn an einen Outlaw-Verlag – an Serpents Tail. Sie hatten auch Derek Raymond veröffentlicht. Mehr musste ich nicht wissen.
Aber ich. Wie ging es dir damals?
Ich hatte eine Sig Sauer, das klassische Model 220. Neun Millimeter. Neun Schuss. Die Wumme war alles andere als neu. Der Griff war von Isolierband zusammenhalten. Damit saß ich in meinem Zimmer in der Coldharbour Lane. Nur einen Steinwurf weiter war die Electric Avenue, die Eddie Grant mit seinem Hit berühmt gemacht hatte. Meistens spielte ich die The Pogues and The Clash und trank zwei Gläser Jameson. Spielte Russisch Roulette.
Klingt dramatisch.
Ich hatte Glück. In Form bemerkenswerter Freunde. Die erzählten mir von vernachlässigten Kids, die keinen Lehrer hatten. Ob ich es nicht mit ihnen probieren wollte? Ich hatte sonst nicht gerade viele Angebote. Bei Serpents Tail dauerte es ein Jahr, bis sie mein Buch annahmen. Also sagte ich ja. Auch um sie los zu werden, meine hartnäckigen Freunde. Es waren 13 Kids. Alle schwarz und mürrisch. Indifferent. Ich war nur ein anderer Weißer. Ein liberales Arschloch. Ich kam nicht an sie heran. All meine Jahre als Lehrer in Südostasien, Afrika, Japan, Südamerika. All die alten Klischees halfen nichts. Nur die Wahrheit. Ich war am Arsch. Und das sagte ich ihnen. Stille. Dann lachten sie. Lachen war ihnen so fremd wie mir.
Einer von ihnen, mit Zahnlücke, hob die Hand. Ich nickte. Er fragte. „Was haben sie mit dir gemacht?“ Ich erzählte es ihnen. So begann meine Rückkehr in die Menschlichkeit. Diese kaputten Kids heilten einen kaputten Erwachsenen.
Klingt ja fast idyllisch.
Von wegen. Das war die verdammte Realität. Existentialismus pur. Ich bin hineingeraten in die Riots. Es war nicht gerade die beste Zeit, in diesem Viertel weiß zu sein. Ich war abends unterwegs, halb elf, war vorsichtig. Aber zack, auf der Railton Road lief ich geradewegs in einen Mob. Sie hatten Baseballschläger, Messer, Macheten, einer sogar einen Golfschläger. Ein Neuer-Eisen, wenn ich mich recht erinnere. Sie gingen auf mich los. Und dann sagte einer der Anführer. „Das ist der verdammte Ire, dieser Lehrer.“ Und sie ließen mich durch. Wie Moses durchs Rote Meer. Mir stand der Schweiß auf dem Rücken. Aber als ich wieder in meiner winzigen Bude war, wusste ich, dass ich darüberschreiben musste. Ich schrieb mein Buch um. Passte es ihnen an, ihrem Jive, ihren Straßen, ihrer Melodie. Und durch die Hintertür kam Poesie herein. Als das Buch erschien, war es als ob sich die Wolken teilen.
Und einer von ihnen fragte: „Wer ist dieser Rilke-Kerl?“ Die beste Buchbesprechung, die ich je bekommen habe.
Ken, das klingt nach Happy-End. Damit hören wir auf.
Moment. Letztes Jahr war ich wieder da. In Brixton. Man erkennt es nicht wieder. Nun ja, auch meinen Geschmack für Rilke habe ich verloren.