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Jetzt wurde sie vorwärts geschoben. Ihr zusammengekrümmter Körper war in den Korb eines Einkaufswagens mit einer schräg stehenden Rolle gezwängt worden, ihr Gesicht presste gegen das Gitter, unten hingen Rockfetzen und Strähnen ihres blonden Haars heraus. Die schweißnassen verklebten Haare hinterließen eine Spur feiner Tröpfchen, die auf dem warmen Asphalt aber rasch verdunsteten.
Mit jedem Meter, den sie weitergeschoben wurde, sackte ihr Körper tiefer in den Einkaufswagen und passte sich der Form des Metallkorbs an. Am Ende der nächsten Querstraße erschien ein weißes Scheinwerferpaar. Der Einkaufswagen stoppte mitten auf der Straße. Dann wurde er schneller geschoben, doppelt so schnell, bis er den Bordstein erreichte und gegen die hohe Kante stieß. Der Pick-up ließ seinen Achtzylinder knurren und schickte ein tiefes metallisches Grollen durch die Nacht. Er kam näher und näher. Erst in letzter Sekunde machte er einen Schlenker und donnerte davon.
Nachdem der Einkaufswagen an der nächsten Bordsteinabsenkung auf den Gehweg gelangt war, wurde er wieder in normalem Tempo geschoben, vorbei an der Saint Matthew’s Church und dem angrenzenden Friedhof mit seinen verwitterten Grabsteinen und dem hüfthohen Gras. In der Glenmore Road schwitzten die Eukalyptusbäume ihr überschüssiges Öl aus. Wie glasiert hingen die grünen Blätter in der heißen Nachtluft herab und schabten leise raschelnd aneinander. Vor den Sternen hing ein blassblauer Schleier, der Neumond ließ das Land in Dunkelheit.
Der Einkaufswagen wurde weitergeschoben. Normalerweise stand er vor dem Lebensmittelladen am nördlichen Ortsrand, bei Cobb Friendly Grocer. Aber da war er seit drei Monaten nicht mehr gewesen. Er gehörte zu den frei laufenden Einkaufswagen, mit denen man beliebig Bier, Müll und Menschen transportieren konnte. Die harten Plastikräder ruckelten an jeder geriffelten Gehwegplatte und ließen den Einkaufswagen bocken, sodass ihr Körper in regelmäßigen Abständen leicht durchgerüttelt wurde.
Wieder stoppte der Einkaufswagen kurz, ehe er ratternd und mit größerer Geschwindigkeit weitergeschoben wurde, immer schneller, bis die Rollen wild hin und
her sprangen, links, rechts, links, rechts. Dann passierte er den Kriegsveteranenclub, das Ehrenmal und das Kriegerdenkmal mit den eingravierten Namen der einfachen australischen Soldaten mit Schlapphut und Repetiergewehr, die gekämpft hatten und gestorben waren.
Das Ziel lag etwas hangabwärts, der sanft abfallende Weg führte bis zum Ende der King Street. Dort lag das Stadion, still und ruhig. Im Winter wurde in dem Oval Australian Football gespielt, im Sommer Kricket. Auf den wackeligen Holztribünen zeugten Teenager Kinder und gaben Krankheiten weiter.
Auf dem letzten Wegstück wurde der Einkaufswagen kaum noch geschoben
und dann ganz losgelassen, auf dem abschüssigen Weg rollte er mit eigenem Schwung weiter. Im Rollen begann er sich zu drehen, fuhr kurz seitwärts und kam am Ende des Fußwegs vom Betonboden ab und kippte. Sie schlug hart auf, fiel aufs Gesicht, Hals, Arme, Beine verdrehten sich, die blonden Haare wirbelten herum. Der Rock rutschte ihr bis zur Hüfte hoch und entblößte die blassen Schenkel.
Der Krach erschreckte eine Gruppe Kängurus, die auf dem Spielfeld grasten. Die dicken Schwänze auf dem heißen Asphalt auf und ab schlagend, waren sie in der Abenddämmerung in den Ort gewandert. Auf der Flucht aus den trockenen gelben Ebenen rings um Cobb hatten sie nach noch nicht völlig verdorrtem Gras gesucht. Sowohl hier wie draußen im Busch gab es tagsüber viele Braunschlangen, hervorgelockt von der brennenden Sonne. Das kleine örtliche Krankenhaus verfügte nie über ausreichend Gegengift.
Sie wurde am Haarschopf gepackt und wie an einem dicken Tau über das Gras gezerrt. Dabei zerriss ihr Rock, ihr Schlüpfer rutschte bis zu den Knien. Als spürten sie, dass etwas Außerordentliches geschah, stoben die Kängurus auseinander, hüpften hierhin und dorthin. Eigentlich hatten sie Hunger und Durst und waren aggressiv. Sie hatten die Furcht vor Menschen abgelegt, blieben aber Wildtiere und griffen Hunde mitsamt ihren Herrchen an, Spaziergänger und Betrunkene, die sie mit ihren Vorderläufen boxten und mit den Hinterläufen traten. Aber diese Nacht nicht.
Das Geräusch eines näher kommenden zweiten Autos brachte alles zum Stillstand. Ein Motor, der nicht hochgejagt wurde, deutete entweder auf einen Fremden hin, der sich verfahren hatte, oder auf die örtliche Polizei bei einer ihrer Streifenfahrten. Blinkendes blaues Licht verriet Letzteres, aber wegen des kniehohen Grases im Oval sah die Streifenwagenbesatzung nichts als einen umgekippten Einkaufswagen mit stillstehenden Rollen. Die Streife fuhr weiter, das grelle blaue Blinken verschwand, und die Nacht wurde wieder dunkel und still.
Kurz darauf waren schwere Schritte zu hören, Hände packten sie an den Haaren, zogen daran und schleiften ihren schlaffen Körper weiter Richtung Osten.
Sie verließen das Oval und steuerten auf die Stämme der toten Eukalypten hinter der Anzeigetafel zu. Lange Flocken abgeworfener Rinde raspelten über ihre Haut und hinterließen feine dunkelrote Kratzer auf ihrem milchweißen Rücken. Das nächste Geräusch kam von ihrem Rückgrat, das gegen einen dicken Baumstamm schlug. Sie wurde in Position gebracht und mit festem Klebeband an Schultern, Brust, Handgelenken, Rumpf, Oberschenkeln und Knöcheln am Stamm fixiert.
Für einige Zeit blieb sie so – mehrere Minuten. Das wäre eine Gelegenheit gewesen, sie zu bemerken, doch dafür war es zu spät und dieser Ortsteil zu verlassen. Sie hing einfach da wie eine schlaffe Puppe. Dann begann etwas ihr Bein hinaufzukrabbeln.
Der Wind wurde stärker. Er blies schmutzige Haarsträhnen aus ihrem Gesicht und strich durch die langen Blattvorhänge der Weiden, die sich an beiden Ufern über den Bach beugten. Sein Bett, das parallel zum Oval verlief, hatte seit Jahren kein Wasser mehr geführt.
Eine dunkle Hand berührte ihr Gesicht und streichelte es zärtlich. Dann drückte sich die kalt glänzende Schneide einer langen Machete an ihre Wange und fuhr mit der rasiermesserscharfen Spitze über ihren Hals nach unten.
Die Silhouette trat zurück und verschwand in der Dunkelheit. Als sie zurückkehrte, kam sie in hohem Tempo angelaufen, einen Arm nach hinten gestreckt. Im nächsten Moment schoss er in einer flüssigen Bewegung nach vorne, und die Hand öffnete sich.
Der erste Stein sauste durch die Luft, schlug auf ihrem Gesicht auf und zerschmetterte das Stirnbein.