Leseprobe
In richtigen Städten wie New York oder Chicago würde man über das Randy’s nur lachen. Jedenfalls die bessere Gesellschaft. Aber ich muss zugeben, dass sich Mason Cheat, Besitzer des Randy’s, wirklich Mühe gegeben hat. Alles, vom Steinfußboden bis zur Metalldecke, ist edel. Die geschwungene Bar ist mit gestepptem Leder verkleidet, die purpurfarben lackierten Tische sind mit quadratischen Glasplatten bedeckt, und an der größten Wand hängt eine Skulptur aus Weißmetall, die mich vage an einen Vogel im Flug denken lässt.
Das ist alles ganz schön, das Bemühen, meine ich, aber für meine Begriffe erhebt die Bar Anspruch auf höhere Weihen vor allem durch das, was nicht da ist: ein Billardtisch nämlich.
Das Licht im Randy’s wird hauptsächlich durch Wandleuchten erzeugt und ist dementsprechend schummrig, was mir, als ich eintrete, entgegenkommt. Wir befinden uns in Baxter tief genug im
Westen, um einen weitkrempigen Hut, handgefertigt von einer Hutmacherin aus der Gegend, tragen zu können, der mein Gesicht weitgehend verdeckt. Hüte sind eigentlich out, sogar in Baxter, aber inmitten von Weideland und Rinderherden sind Stetsons auf den Farmerfesten, die die alten Zeiten wiederaufleben lassen, als Rinderzüchter noch ihr Vieh durch die Stadt trieben, kein ungewöhnlicher Anblick. Und bei Wild-West-Partys in den Klubs, wo vor allem der Texas Two-Step getanzt wird, sind sie geradezu ein Muss.
Als ich sicher bin, dass mich niemand erkannt hat, durchquere ich den Raum. Ich spüre die Blicke, die mir folgen. Das dient der Erregung – sich begehrt zu fühlen ist der erste Schritt –, und ich lege etwas mehr Schwung in meinen Gang. Hoffentlich nicht zu viel. Einfach ein bisschen mehr Dynamik in dem Teil meines Körpers, der sich gegenwärtig größter Beliebtheit erfreut.
Der Barmann wendet sich mir zu. Ich kenne ihn, ein Mann mittleren Alters mit Bart und traurigem Blick, als würde er den Job hier schon viel zu lange machen. Sein Name ist Shiloh, sein Lächeln entspannt. Falls er mich erkennt, behält er es für sich.
»Was kann ich bringen?«
»Einen Martini.«
»Kommt.«
Die zweite Hälfte meiner Jugend habe ich damit verbracht, in irgendeiner der vielen Bars in den Yards Shots zu kippen. Die Yards sind die schäbige Wohngegend um Baxters letzte verbliebene
Fleischfabrik herum. Ich habe meine Lektion gelernt und nicht vor, mich heute Abend abzuschießen. Ich habe andere Bedürfnisse, der Martini ist bloß Teil der Show.
Im Stehen endet mein Rock kurz unter dem Hintern, und der Kragen liegt am Hals an. Die Ärmellöcher sind weit ausgeschnitten, offen fast bis zur Hüfte, und nur der eingenähte BH verhindert, dass ich gegen Baxters Sittengesetze verstoße. Beim Saum bin ich mir da nicht so sicher; wenn ich einen Fuß auf die polierte Stange des Hockers stelle und die Beine übereinanderschlage, rutscht er weit nach oben.
Als ich meine Position eingenommen habe, nehme ich das Angebot in Augenschein und erblicke vor allem Bürohengste, dazwischen ein paar herausgeputzte Rednecks, das übliche Gemisch, mit einer Ausnahme. Ich mustere den Mann verstohlen. Er sitzt an einem Tisch etwa drei Meter vor der Bar, ist älter als ich, aber nicht viel, und trägt ein schwarzes Jackett über einem Seiden-T-Shirt, das seinen Oberkörper betont, ohne offensichtlich zu eng zu sein. Das T-Shirt ist indigofarben, ein Kontrast zu dem verwaschenen Blau seiner Jeans.
Böser Junge? Toyboy? Etwas an dem schmalen Lächeln, das erscheint, als sich unsere Blicke treffen, sagt mir, dass er kein Spielzeug ist.
Aber er rührt sich nicht. Hebt sein Glas, trinkt, stellt erneut kurzen Blickkontakt her und schaut weg. Ich bin nicht blöd. Ich weiß, dass er meinen Ehering gesehen hat. Ich trage ihn an der Hand, mit der ich meinen Drink halte. Eine verheiratete Frau kommt an einem Samstagabend nur aus einem einzigen Grund ins Randy’s und setzt sich allein an die Bar. Jeder andere Mann stünde bereits neben mir.
Mein erster Verehrer – ich liebe das Wort, auch wenn es nichts mit der Situation zu tun hat – nähert sich bereits nach wenigen Minuten. »Frisch geschieden« ist ihm schon von Weitem anzusehen, von dem verängstigten Lächeln bis zum sorgfältig geklebten Scheitel.
»Darf ich Sie zu einem Drink einladen?«
»Ich habe noch.«
Mit ein wenig mehr Erfahrung würde er den Hinweis verstehen und andere Weidegründe aufsuchen. Aber die hat er nicht, und schon sprudelt der Lebenslauf aus ihm heraus, den er sich auf dem Weg an die Bar zurechtgelegt hat. Frisch geschieden, wie ich vorhergesehen hatte, er heißt Owen und stammt aus Baxter. Er lehrt Amerikanische Geschichte an der University of Wisconsin in Madison und besucht hier gerade seine Familie.
Ermutigung kommt nicht infrage, aber ich bringe es nicht über mich, ihn abblitzen zu lassen. An Owens linkem Ohr vorbei beobachte ich den Mann im Seiden-T-Shirt. Er lächelt wieder schmal,
guckt sich die Show an, hat es nicht eilig. Was würde er machen, wenn ich einfach mit dem College-Professor abziehen würde? Wenn ich längerfristige Absichten hätte, wäre das vielleicht sogar eine Option – Owen ist ein Typ fürs Leben –, aber ich bin nicht aus auf lebenslang und nutze eine Pause in seinem Monolog, um mich zur Bar umzudrehen.
»Noch einen, Shiloh. Auf meine Rechnung.«
Ich spüre, wie Owens Hahnenkamm welkt. Wieder abgeblitzt. Aber dafür kann ich nichts und lasse ihn von dannen ziehen. Sofort nimmt jemand Neues seinen Platz ein, ein dickbäuchiger Mann mittleren Alters mit einer Goldkette, mit der man ein Kreuzfahrtschiff vor Anker legen könnte.
»Was trinken?«
In dem Moment stellt Shiloh meinen Drink auf die Bar.
»Danke«, sage ich, »schlechtes Timing.«
»Franklyn Wallace mein Name.« Er hält mir die Hand hin, die ich kaum berühre. Macht nichts, Franklyn legt schnell seine Karten auf den Tisch, zeigt, was er zu bieten hat. Er besitzt Häuser in Prairie Meadows, einer Gated Community vor der Stadtgrenze, sowie in Boca Raton, Florida. Die kann er sich leisten, weil ihm auch das größte Autohaus im County gehört, Toyotas, Chevys, Hondas, Audis, Hunderte von Autos. Ich soll bei Interesse vorbeikommen und nach Franklyn fragen.
Franklyn trägt einen Ring, dessen Diamanten in Hufeisenform angeordnet sind, und ich erkenne in ihm sofort den Typ, der auf der Highschool nie ein Mädchen abgekriegt hat. Aber jetzt, wo er erfolgreich ist? Jetzt vielleicht?
Ich will ihm nicht wehtun, genauso wenig wie ich Owen wehtun wollte. Ich halte die linke Hand hoch. »Verheiratet.«
»Ich auch. Hab den Ring im Wagen gelassen.«
»Na und? Ist das die Antwort?«
»Ja, genau, na und? Wir wissen beide, warum wir hier sind.«
»Du hast recht. Ich weiß, warum ich hier bin, und das bist nicht du.« Ich schaue ihm einen Augenblick lang in die Augen. »Nimm’s nicht persönlich, aber mir steht heute Abend der Sinn nach was anderem.«
Das bringt mir ein Achselzucken und eine kleine Rede ein, die er wahrscheinlich schon öfter gehalten hat. »Alles klar, damit kann ich leben, und danke, dass du nicht meine Zeit vergeudet hast.« Er wirft eine Visitenkarte auf die Bar. »Ruf an, wenn du Interesse an einem Wagen hast, neu oder gebraucht. Meine Preise sind unschlagbar.«
Als Franklyn abzieht, überlege ich, ob ich einen Fehler gemacht habe. Franklyn ist keine Schönheit, aber ich weiß, dass er ein vorbildlicher Liebhaber wäre und sich alle Mühe geben würde. Dass wir uns nie wiedersehen würden, wäre egal. Er würde sich mir stur widmen, dieses und jenes ausprobieren, bis er endlich den richtigen Knopf gedrückt hätte.
Aber er ist schon weg, und ich wende meine Aufmerksamkeit wieder dem Toyboy zu. Er sieht mich einen Moment lang an und steht dann auf. In der linken Hand hält er eine Ledersporttasche, die ich bisher nicht bemerkt hatte. Wenn die Tasche aus Schlangenleder ist, wonach sie aussieht, dann muss sie einige hundert Dollar wert sein. Mindestens.
Macht er jetzt seinen Zug? Ich rechne damit, dass er zu mir kommt, aber er wendet sich in Richtung Tür und schaut mich dann mit dunklen Augen fragend an: Ja oder nein? Er ist größer, als er im Sitzen wirkte, die Schultern breiter, aber irgendetwas nagt an mir, irgendein kleiner Zweifel. Trotzdem erhebe ich mich und halte kurz inne, um einen Zwanziger auf die Bar zu legen. Shiloh nickt mir zu und sieht dann den Mann an, der jetzt auf halbem Weg zur Tür ist.
»Ist er okay?«, frage ich.
»Hab ihn schon häufiger gesehen. Heißt Bradley Grieg und kommt ziemlich regelmäßig.«
Jetzt fühle ich mich sicherer und folge Bradley nach draußen auf den Parkplatz. Ich glaube, er will, dass ich zwei Schritte hinter ihm bleibe, aber diese Sex-Sklavin-Nummer ist nicht mein Ding.
»Das ist weit genug, Bradley.«
Als er seinen Namen hört, dreht er sich um und lächelt. Ich stelle mich dicht vor ihn. »Spielen wir, Bradley? Falls die Antwort Ja lautet, dann sollst du wissen, dass ich nicht auf Handschellen oder Fesseln oder Sklavenspielchen stehe. Wenn du das willst, gehen wir besser getrennte Wege.«
Er schaut mir sekundenlang direkt in die Augen, als würde er mich prüfen wollen. Aber dann lächelt er und sagt: »Stets zu Diensten.«
Meine inneren Alarmglocken schrillen. Obwohl ich seinen Namen gesagt habe, hat er nicht nach meinem gefragt. Doch als er mich an sich zieht und mir einen sanften, langen Kuss gibt, der nur allmählich drängender wird, verfliegt die Angst, mir wird heiß. Wir drücken uns aneinander, und ich spüre, dass er hart wird.
»Alles klar?«, fragt er.
»Ja«, sage ich, »alles klar.«
Bradley hat bereits ein Zimmer im Skyview Motor Court am Baxter Boulevard. Das Skyview ist vielleicht nicht gerade das Hilton, aber immerhin auch kein Stundenhotel. Ich folge seinem Audi über den Baxter Boulevard, der einzigen Straße, die quer durch die gesamte Stadt führt. An jeder Kreuzung halten uns Ampeln auf und steigern die Erwartung, meine Ungeduld hat fast etwas Erotisches. Ich öffne ein Fenster und schließe es wieder, als ich in der Ferne Donnergrollen höre. Ich brenne darauf, in wenigen Minuten stundenlange, allumfassende Befriedigung zu erleben. Dies ist mein Trip, und ich werde alles aus ihm rausholen.
Bradley biegt auf den Parkplatz des Skyview ab, ich klebe fast an seiner Stoßstange. Es ist ruhig, vor den Mini-Hütten stehen nur wenige Wagen, alle ein Stück entfernt von uns. Bradley wartet vor seiner Hütte und hält mir die Tür auf, als ich aus meinem kleinen Ford steige. Als ich an ihm vorbeigehe, schlägt er mir auf den Hintern.
Und dann …
Keine zehn Minuten später ist er auf dem Weg ins Badezimmer, nackt. Ich stehe immer noch über die kleine Kommode gebeugt und bin wie gelähmt. Bradley hat kein Wort gesagt, hat mich weder geküsst noch gestreichelt, und ich muss davon ausgehen, dass er sich nur deswegen mit mir abgegeben hat, weil das immer noch besser als eine Socke ist. Ich höre die Dusche rauschen, dann wird sie abgestellt, dann Stille.
Mein Hirn rast wie eine überdrehte Roulettekugel, immer im Kreis. Ich muss hier raus, solange noch ein Quäntchen meiner Würde intakt ist, schaffe es aber aus irgendeinem Grund nicht, mich zu rühren. Außerdem ist mein Slip verschwunden. Ich erinnere mich vage, ihn aufs Bett geworfen zu haben, sehe ihn aber nirgends und will ihn nicht dalassen. Dazu war er zu scheißteuer.
Anstatt in Tränen auszubrechen, wonach mir ist, gehe ich auf die Knie und suche nach der verdammten Unterhose. Sie liegt hinter dem Kopfteil des Betts, endlich habe ich sie und stehe gerade wieder auf beiden Beinen, als die Badezimmertür aufgeht. Bradley schwankt nackt herein, high bis unter die Hutkrempe, die Augenlider auf halbmast. Als er nach einer längeren Pause spricht, kommt nur Lallen heraus.
»Biste noch da?« Er plumpst aufs Bett, setzt sich wieder auf.
»Wart ma.«
Seine Jeans liegt neben ihm auf dem Bett. Er greift in eine Tasche, zieht ein aufgerolltes Geldbündel hervor, zählt drei Zwanziger ab und wirft sie in meine Richtung.
»Verpiss dich.«
Ich sehe die Scheine einzeln auf den Teppich flattern. Bradley schnaubt einmal, fällt auf den Bauch und beginnt zu schnarchen.
Ich brauche ein paar Minuten, um mich zu erholen, und bin stinksauer. Ich sehe mich nach irgendetwas Schwerem um, mit dem ich ihm den Schädel einschlagen kann, vielleicht eine Lampe. Aber die sind alle an den Wänden oder der Decke angebracht. Bleibt nur der Stuhl, auf dem ich sitze.
Als ich ins Bad gehe, schwirren mir immer noch tausend Gedanken im Kopf herum. Ich denke gerade, dass ich mich waschen sollte, bevor ich nach Hause fahre, da lässt mich der Anblick der Zigarette, des geschwärzten Löffels und der Spritze auf dem Badewannenrand erstarren. Als ich mich umdrehe, fällt mein Blick auf die Ledersporttasche auf dem kleinen Tisch im Zimmer. Ich gehe schnell zu Bradley und sehe nach, wie es ihm geht. Er hat anscheinend eine halbe Überdosis intus und wird so schnell nicht wieder zu Bewusstsein kommen.
Wo ich aufgewachsen bin, gilt Ehrlichkeit oft nicht als ratsam. Meine Mutter hat so viele Lügen erzählt, dass ich sie nicht mehr zählen kann. Sie hat mich angelogen, die Sozialarbeiter, Oma Jo, meine Lehrer und die Liebhaber, die sie betrogen hat.
Als ich die Tasche öffne, sehe ich als Erstes eine große Pistole, eine Halbautomatik. Ich zucke nicht mal. Man nennt diesen Teil des Landes bible belt, Bibelgürtel, könnte ihn aber genauso gut gun belt, Waffengürtel, nennen. Pistolen machen mir keine Angst, Gewehre und Flinten auch nicht, fragt meinen Ex-Mann. Außerdem bin ich sehr viel mehr an den Bündeln aus Zwanzigern und Fünfzigern interessiert, die unter der Pistole liegen. Das würde reichen, um den Lauf meines Lebens nachhaltig zu ändern, und zwar zum Besseren.
Und Charlies.
Meine tägliche Routine würde ich erst mal mehr oder weniger beibehalten. Meinen Job zu kündigen wäre zu auffällig. Aber ich könnte wahrscheinlich einen Teilzeitkurs belegen und mich zur staatlich anerkannten Krankenpflegerin weiterbilden. Dann würde ich genug verdienen, um Baxter zu verlassen, bevor die Stadt völlig am Ende ist. Ich könnte mir anderswo ein neues Leben aufbauen, wo niemand weiß, woher ich komme und wie ich aufgewachsen bin. Ich könnte mich und Charlie von den Ketten befreien, die uns hier fesseln.
Früher wurden Viehherden durch die Straßen von Baxter getrieben. Heutzutage werden sie in Lkws und Viehwaggons gebracht. Und wenn es morgens ruhig ist, hört man die Tiere schreien, wenn sie zum Schlachten geführt werden, das Gebrüll der Mastochsen, das Quieken der Schweine.
Auch davon könnte ich mich befreien.