Zwei
©Christoph Kretschmer/Adobe Stock

Ein Waldbrand am Moses Creek beleuchtete den Bergkamm von hinten und ließ ihn wie einen Scherenschnitt aussehen, aber der Wind wehte in die andere Richtung, sodass kaum Gefahr bestand, das Feuer könnte den Grat überspringen und Wayehutta erreichen, ein verlorenes, von den Einheimischen wie worry hut ausgesprochenes Nest. Wie jeden Abend saß Raymond auf seiner Veranda und hörte den Polizeifunk, während er eine Backwoods-Zigarre rauchte und Redbreast-Whiskey auf das knackende Eis in einem Marmeladeglas goss.
Ein Mensch brauchte Beständigkeit, etwas, das ihm Halt gab, wenn die Welt aus den Fugen geriet. Früher oder später musste das geschehen, und dann lag es an der Einstellung, ob man den Kopf in den Sand steckte oder das Unvermeidliche mit erhobenem Haupt hinnahm. Komme, was wolle, Ray begann jeden Tag mit einer Kanne Kaffee und einem Buch und beendete ihn mit vier Fingerbreit eines anständigen Whiskeys und einer billigen Zigarre.
Aus dem Funkverkehr ging hervor, dass der Wald rund um den Campingplatz, wo die öffentlichen Jagdgebiete begannen, Feuer gefangen hatte. Die Feuerwehr hatte Schutzschneisen geschlagen und den Brand eingedämmt, aber »eingedämmt« war in letzter Zeit ein relativer Begriff geworden. Die ganze Region war strohtrocken. Sobald sich ein Feuer verzehrt hatte, trug der Wind Glut oder Funken weiter, und das nächste Stück Land brannte zu einem verkohlten Flecken nieder. Im Grunde jedoch war es erstaunlich, dass das nicht schon früher passiert war, so viel war Ray nach dreißig Jahren als Waldarbeiter klar. Der Wald war jahrzehntelang vernachlässigt worden und jetzt voll von Brennmaterial. Wer nur ein bisschen was von der Sache verstand, hatte es kommen sehen müssen.
Paffend rauchte Ray die Zigarre an, zupfte einen Tabakkrümel von seiner Zungenspitze und wischte ihn an den Stiefelabsatz. Auf dem Schoß hatte er ein Buch, das er im Sommer im City Lights Bookshop gekauft hatte. Es handelte von der zunehmenden Ausbreitung der Kojoten in Amerika. Seit Doris’ Tod ließen ihn die Tiere nicht mehr los. Anfangs wusste er gar nicht, warum. Vielleicht, überlegte er, lag es an den vielen schlaflosen Nächten, in denen er sie im Wald hinter dem Haus hörte. Aber je länger er nachdachte, desto überzeugter war er, dass es mit seiner Beobachtung zusammenhing, wonach die Kultur der Berge und ihrer Bewohner langsam, aber sicher verschwand, während die Tiere, die seit mehr als hundert Jahren verfolgt wurden, gediehen. Irgendwie bewunderte er sie fast, oder vielleicht, vielleicht war es sogar Neid.
Den ersten Kojoten im Jackson County hatte Raymond in den späten Achzigern in einem Waldstück in Whiteside Cove gesehen. Inzwischen gab es schon viele. Niemand war mehr überrascht, wenn er einen am Highwayrand liegen sah, morgens oder abends in der Dämmerung überfahren. Manchmal, wenn er spätnachts im Bett lag und einen Streifenwagen oder einen Krankenwagen vorbeifahren hörte, heulten die Kojoten mit der Sirene. Einer nach dem anderen stimmte ein, bis ein Kojotenchor die Nacht um ihn erfüllte. Die Forschung sagte, dass die Kojoten auf diese Weise feststellen, wie viele es von ihnen gab. Aber für Ray war die Begründung weniger wichtig als das, was er empfand. Nämlich fast eine Art Freude, ein Gefühl, das er sonst kaum noch kannte. Allein die Vorstellung ließ ihn lächeln, als er auf seinem Stuhl vor und zurück schaukelte.
Er hatte seinen Whiskey fast ausgetrunken, als im Haus das Telefon klingelte. In einer Ecke des Vorderzimmers stand ein Korbschaukelstuhl, in dem seine Frau gesessen und telefoniert hatte – mit ihrer Schwester, mit Freundinnen, Werbeanrufern und allen anderen, die Lust auf ein Schwätzchen hatten, weil Doris nun mal gern plauderte. Sie und Ray hatten sich in dieser Hinsicht gut ergänzt, weil er maulfaul war und den Mund nicht aufbrachte, während sie für zwei erzählen konnte.
»Ja«, knurrte Ray in die Sprechmuschel. Seine Stimme war tief und rau, die Worte schienen nie ganz aus seinem Rachen herauszufinden. Mit Zeige- und Mittelfinger fischte er den Zigarrenstummel aus dem Mundwinkel, damit er beim Sprechen wenigstens die Lippen bewegen konnte. Am anderen Ende hörte er Atemgeräusche, aber niemand sagte was. »Hallo?«
»Dad«, wimmerte es. »Dad …« Atemlos. »Die bringen mich um.«
Raymond fuhr sich mit einer Hand übers Gesicht und zwickte die Augen zusammen, um sicherzugehen, dass er nicht träumte. Kurz überlegte er aufzulegen, zögerte aber. Er drückte den Hörer in seiner Hand so fest, dass er das Plastik knirschen hörte.
Die Stimme des Jungen klang wie damals, als er im Alter von zehn aus dem Haus Gary Greens anrief, nachdem er mit einer Baumarktlupe und einem Pappbecher Benzin dessen Scheune abgefackelt hatte. Sie klang wie bei Rickys erster Festnahme, und wie bei der zweiten, der dritten. Es war immer dieselbe Panikstimme, die Ich-steck-bis-zum-Hals-in-der-Scheiße-Stimme, die Ray schon so oft gehört hatte, dass er sie kaum noch ertrug. Er hatte sie so satt. Dennoch schaffte er es nicht aufzulegen.
Ricky schien jede Sekunde in Tränen auszubrechen, als er stockend wiederholte: »Die bringen mich um.«
»Was um alles in der Welt redest du, Ricky? Kein Mensch will dich umbringen.«

»Sie sollten auf Ihren Sohn hören, Mr. Mathis.« Eine andere Stimme schaltete sich ein.
Ray hörte, wie Ricky im Hintergrund bettelte.
»Wer ist da? Mit wem spreche ich?«
»Das tut nichts zur Sache«, sagte der Mann. »Aber Sie sollten mich anhören. Ich hab Ihnen was Wichtiges zu sagen.«
»Und was?«
»Ihr Sohn ist ein Junkie, Mr. Mathis.«
»Ich weiß nicht, wer Sie sind und was Sie wollen, aber das ist keine große Offenbarung. Ich kenne meinen Sohn und krieg seit zwanzig Jahren solche Anrufe.«
»Ich glaube, Sie haben mich nicht verstanden, Mr. Mathis. Ihr Sohn schuldet mir sehr viel Geld, und irgendwie müssen diese Schulden beglichen werden.«
»Die Schulden meines Sohnes sind eine Sache zwischen ihm und Ihnen. Ich weiß nicht, warum Sie mich da mit reinziehen. Mich gehen seine Schulden nichts an.«
»Wenn Sie Ihren Sohn so gut kennen, dann wissen Sie auch, dass Sie ihn auf den Kopf stellen und schütteln können, und es fällt immer noch kein Cent aus seinen Taschen.«
»Das triffts ungefähr«, sagte Ray.
»Und deswegen kommen Sie ins Spiel. Deswegen führen wir dieses Gespräch. Wie gesagt, Ihr Sohn schuldet mir sehr viel Geld, und irgendwie müssen diese Schulden beglichen werden.«