Leseprobe
Der alte Mann grunzte und verschränkte seine schlaffen Arme vor der Brust. Judah folgte Lesser auf die Veranda, stand neben ihm und sah zu, wie der SUV ausrollte und direkt vor Judahs Pick-up zum Stehen kam. Sofort stiegen zwei Männer aus, und der eine mit ölig zurückgekämmtem schwarzem Haar und einem fleckigen Schnauzer über schmalen Lippen, kam direkt auf Judah zu. Sein verziertes Cowboyhemd funkelte im gleißenden Licht und er blieb gut vier Meter vor der Veranda stehen und wartete. Judah drehte seinen Kopf leicht zu Lesser.
»Bleib einfach hier stehen. Tu nichts, sag nichts. Halte einfach nur deine Augen offen und den Mund geschlossen. Und behalte den Saubermann da drüben im Auge.«
Judah sah grimmig zu dem muskelbepackten Kerl hinüber, der neben dem SUV stand, und wartete nicht auf Lessers Antwort. Er ging die Verandastufen hinunter, aber beließ einen gewissen Abstand zwischen sich und Nash. Sie sahen sich einen langen Moment an, dann verengte Judah die Augen.
»Lass mich raten. Du hast es nicht.«
Nash griff in die Tasche und holte einen einzeln verpackten Zahnstocher hervor. Er zog ihn heraus und steckte ihn sich in den Mundwinkel. Judah hätte wetten können, dass es einer mit Minzgeschmack war. Nash kratzte sich am Schnauzer.
»Hey, wer sagst’s denn? Du bist ja cleverer, als dein Daddy immer behauptet hat.«
»Ich bin ziemlich sicher, dass Sherwood nie auch nur ein Wort über mich zu dir gesagt hat.«
»Tja, da ist was Wahres dran.«
Judah sah kurz über Nashs Schulter zu dem Mann, der noch neben dem SUV stand. Er machte kein Geheimnis aus der Pistole, die vorn in seiner Hose steckte. Der Griff der Waffe drückte sich in seinen überhängenden Wanst. Judah kämpfte gegen den Drang, sich umzudrehen, und hoffte nur, dass Lesser Ruhe bewahrte. Ganz offensichtlich fand hier keine Geldübergabe statt; es war ein Wettbewerb in Weitpissen. Nash war hier, um ihn nach Sherwoods Tod abzuschätzen, das war alles. Judah fühlte sich so müde wie seit Wochen nicht mehr. Er trat einen Schritt vor. Judah wusste, dass man ihm die Erschöpfung ansehen konnte, doch es war ihm egal. Er schüttelte leicht den Kopf.
»Hast du mein Geld nicht, oder gibst du mir mein Geld einfach nicht?«
Nash nahm den Zahnstocher aus dem Mund.
»Holla. Du nimmst kein Blatt vor den Mund, was? Sherwood hätte inzwischen schon eine blödsinnige Geschichte vom Stapel gelassen und mir mein verdammtes Ohr abgekaut.«
Nash gab ein gezwungenes Glucksen von sich und steckte sich den Zahnstocher wieder zwischen die Lippen. Er drehte sich zu dem Mann hinter ihm um, der keine Miene verzog. Der kahlköpfge Kerl wirkte gelangweilt und Judah bemerkte seine verschränkten Arme.
»Sieht so aus, als stellst du gerade fest, dass ich nicht wie Sherwood bin. Also, was ist nun damit? Dem Geld?«
Judah schaute zu, wie sich Nashs Stirn in Falten legte.
»Bist du in Eile, oder was? Wir kennen uns noch nicht mal, und du kommst direkt zur Sache. Hast du etwas Besseres zu tun? Musst du irgendwo sein? Hast du ein Mädel, zu dem du zurück musst?«
Er hörte, wie Lesser hinter ihm tief einatmete und schnaubte, doch Judah blinzelte nicht mal.
»Lass uns einfach sagen, dass mein Bedarf an Arschlöchern für heute gedeckt ist.«
»Nennst du mich etwa ein Arschloch?«
»Ja. Und ich habe keine Zeit für so was. Falls dir das noch nicht aufgefallen ist.«
Nash rollte den Zahnstocher von einer Seite des Mundes zur anderen und verzerrte seine Lippen zu einem gehässigen Grinsen.
»Ramey, richtig? Sieht gut aus, hat aber eine ziemlich große Klappe, wie ich höre. Ist das die Tussi, zu der du so schnell nach Hause willst?«
»Glaub mir, sie hat noch weniger Zeit für dich als ich.«
Nash gab ein Lachen von sich, das in Hohngelächter endete.
»Das glaub ich.«
Judah seufzte und schaute betont über die Schulter auf Lesser. Der Junge war bleich, aber stand nach wie vor aufrecht da und ließ alles auf sich wirken. Ihm wurde klar, dass Lesser hierbei vielleicht gar nicht mal so übel war. Judah drehte sich zurück und schaute Nash direkt an.
»Okay. Wir sind hier fertig.«
Judah machte ein paar Schritte auf seinen Pick-up zu, doch Nash hob die Hände, um ihn aufzuhalten.
»Warte, komm, nun warte noch eine Sekunde. Willst du nicht hören, was ich anbiete?«
Er blieb stehen, sah Nash aber nicht an.
»Eigentlich nicht.«
»Also weißt du schon, dass ich das verdoppeln könnte, was Sherwood hier jede Woche rausgebracht hat. Darüber weißt du schon alles, hä?«
Judah drehte sich zu Nash um.
»Du verkaufst mehr als nur unversteuerte Zigaretten, nehme ich an.«
»Viel mehr.«
Judah atmete schwer aus.
»Hör zu, Nash. Wenn du mit Drogen dealen willst, dann mach. Ich halte dich nicht auf. Viel Glück. Viel Erfolg. Aber du verkaufst nicht über Sherwoods Bars und benutzt nicht seine Verbindungen. Verstanden?«
Nash grinste breit und zeigte schiefe, gelbe Zähne.
»Aber es sind nicht mehr Sherwoods, oder? Das Letzte, was ich gehört habe, war, dass er den Löffel abgegeben hat und Levi untergetaucht ist. Also bist nur noch du übrig. Und dein Krüppel-Bruder. Und dein Mädel.«
Nash sah Lesser das erste Mal direkt an.
»Und dieser Boyscout da drüben.«
Judah schüttelte den Kopf. »Kein Interesse, Nash. Also fahre ich jetzt. Rück mit dem Geld rüber, das du mir schuldest, und dann runter von meiner Gehaltsliste. Ich denke, du kennst jetzt meine Arschloch-Politik und wo du da reinpasst. Du und ich, wir sind fertig miteinander.«
Nash spuckte den Zahnstocher auf die Erde und stemmte die Hände in die Hüften.
»Du willst mir also sagen, dass ich mit nichts als dem zu Weaver zurückkehren soll?«
Judah hatte keine Ahnung, von wem Nash da redete, aber zögerte nicht.
»Sieht so aus.«
Er machte einen weiteren Schritt auf seinen Pick-up zu und hörte dann ein Pfeifen im Ohr. Der Luftdruck um ihn herum schien zu sinken und in einem Sekundenbruchteil wusste Judah, was passieren würde.
»Falsche Antwort, Judah Cannon.«