Leseprobe
Als Police Constable McDonald hörte, dass Brant niedergeschossen worden war, hätte er fast die Arme hochgerissen und gejubelt:
»Krasse Scheiße.«
Aber er befand sich in der Polizeikantine und musste sich verhalten wie alle anderen, sich schockiert geben und entrüstet aufspringen, bereit, sich den Angreifer vorzuknöpfen. Und er war tatsächlich schockiert, konnte kaum glauben, dass Brant endlich eins übergebraten bekommen hatte. Er hasste das Arschloch von ganzem Herzen. Früher mal, herrje, wie lang war das her, da war McDonald der Goldjunge gewesen, auf direktem Weg nach oben, unter den Fittichen des Super persönlich. Seine einzige Aufgabe, eigentlich ganz einfach, war es gewesen, dafür zu sorgen, dass Brant ausrutschte und geliefert war.
Kinderspiel.
Tja, ein Spiel ohne jede Regel.
Brant war so wild, so unberechenbar, dass man ihn eigentlich bloß beobachten musste, bis einem die Beweise in den Schoß fielen, und Bingo, er wäre weg vom Fenster. Aber Brant hatte Wind davon bekommen, und seitdem war McDonalds Karriere im Arsch. Er baute nur noch Scheiße, und hinter jeder neuen Katastrophe blitzte Brants höhnisches Lächeln auf. Der allerletzte Versuch, sein Heldentum unter Beweis zu stellen, war komplett in die Hose gegangen, und McDonald wurde dabei auch noch angeschossen. Die Met hatte gerade Ärger am Hals und brauchte gute Presse, deswegen stellte man McDonald als eine Art halbgarer Held dar. Er behielt seinen Job, wurde aber zum Gespött der Kollegen. Ein Aussätziger in Uniform, um den alle einen weiten Bogen machten, und der Super wartete nur noch den richtigen Moment ab, um ihn klammheimlich in die Versenkung zu befördern.
Seitdem bekam McDonald die ganze Drecksarbeit aufgehalst; was man normalerweise Rekruten überließ, landete jetzt bei ihm. Sein derzeitiger Auftrag? Vor Einkaufszentren rumstehen und mies gelaunten Passanten den Weg erklären. Er brauchte was Großes, was Epochales, um seine Karriere wieder in die richtigen Bahnen zu lenken, aber ihm fiel nichts ein. Langsam begann er sich mit seinem Schicksal abzufinden und hatte bereits ein paar Jobanzeigen für Wachmänner gelesen, die unterste Stufe auf der polizeilichen Dienstleiter in die Hölle.
WPC Andrews war das genaue Gegenteil von McDonald. Sie war noch relativ neu, hatte den Durchbruch gehabt, von dem er träumte, war Heldin wider Willen geworden, und sogar Falls, die bei niemandem weich wurde, schien sie fast zu mögen. Als Andrews von Brant erfuhr, fing sie an zu weinen, sie glaubte immer noch an den Scheißspruch, einer für alle, alle für einen. Und brachte es tatsächlich Chief Inspector Roberts gegenüber zum Ausdruck, der sie ansah, als wäre sie irre. Sie schob es auf den Schock, sie wusste ja, wie nahe er Brant stand.
Nah!
Das wäre zu viel des Guten. Sie hatten eine lange gemeinsame Vergangenheit, mehr schlecht als gut, aber immerhin bestand eine Beziehung. Brant schaffte es immer wieder, Roberts in Erstaunen zu versetzen; die Risiken, die er einging, und seine ganze Einstellung zur Welt faszinierten und entsetzten Roberts. Der Chief Inspector starrte Andrews an, ihr frisches Gesicht, die ganze »Packen wir’s an«-Haltung, und wollte ihr sagen, dass ihn nicht schockierte, dass Brant niedergeschossen worden war, sondern überraschte, dass es erst jetzt passiert war. Wer so dicht am Abgrund tanzte wie Brant, den erwischten sie irgendwann, und das waren noch die guten Jungs.
Er fragte:
»Ich bin auf dem Weg ins Krankenhaus. Wollen Sie mit?«
Sie war entzückt. So konnten sie Vertrauen und Bindung aufbauen, durch Trauer und Mitgefühl zusammengeschweißt, und er war nicht unattraktiv, außerdem würde es
ihrem Ruf nutzen.
Auf dem Weg nach draußen rief Foley, der Diensthabende, Roberts’ Namen, der ihn dafür anfuhr:
»Nicht jetzt, verdammt noch mal, Brant wurde niedergeschossen.«
Foley wollte protestieren:
»Ey, reißen Sie mir nicht den Kopf ab. Glauben Sie etwa, mir tut das nicht weh, ich würde nicht bluten, ich wäre kein Mensch?«
Er hatte vor Kurzem Der Elefantenmensch gesehen und war tief bewegt gewesen. Noch mehr weinerliches Zeug kam ihm in den Sinn, aber das würde nicht gut ankommen, er hob es sich für seine Frau auf, wer weiß, vielleicht würde er mal wieder einen Mitleidsfick abbekommen. Stattdessen schlug er einen offiziellen Tonfall an, damit dem Mistkerl klar war, dass es um was Wichtiges ging, sagte:
»Sir, ich würde Sie in einem solchen Augenblick eigentlich niemals belästigen …«
Machte eine Pause.
Legte seine ganze Härte in die Worte:
»Aber der Anrufer sagt, er habe Informationen über das Attentat«
Roberts sah aus, als wollte er ihn schlagen, und der Sergeant wich ein Stück zurück. Roberts schnauzte:
»Und kein anderer auf dem ganzen Revier kann den Anruf annehmen? Jeder Idiot in Südost-London wird sich an die Strippe hängen und behaupten, er wär’s gewesen. Sie sind doch bestimmt in der Lage, sich darum zu kümmern, schließlich sitzen Sie schon lange genug mit dem Arsch auf diesem Stuhl.«
Die Verachtung für ihn als Schreibtischtäter wurde nicht überhört, und der Sergeant ließ sich einen Moment lang Zeit, bevor er mit eisiger Stimme sagte:
»Ja, Sir, und ich hätte Sie in diesem Moment höchster Dringlichkeit nicht aufgehalten, aber der Anrufer hat namentlich nach Ihnen verlangt, und die Erfahrung der vielen Jahre auf meinem … Hinterteil … sagt mir, dass er echt ist.«
Damit war er recht zufrieden, es schien auszudrücken:
»Fick dich, Jack, und zwar kreuzweise.«
Roberts seufzte, schubste den Sergeant aus dem Weg, griff zum Hörer, fauchte:
»Roberts hier.«
Hörte:
»Ich störe Sie so ungern in diesem entsetzlichen Moment.«
Die Stimme war sonor, kultiviert, sprach in dem, was man früher als BBC-Akzent bezeichnet hätte, und klang außerdem extrem vornehm. Sie ging Roberts sofort auf die Nerven. Er schnauzte:
»Sie haben Informationen über eine Schießerei?«
Seine Ungeduld und Anspannung waren spürbar und wurden mit einem tiefen Glucksen erwidert, nicht mit Gelächter, nein, so klang jemand, der sich über diese Reaktion freute. Er äffte Roberts nach:
»Eine Schießerei? Sie scherzen, mein Lieber. Ganz sicher ist es die Schießerei, oder überschätze ich die Bedeutung unseres tüchtigen Detective Sergeant Brant?«
Roberts hielt den Hörer so fest umklammert, dass ihm die Hand wehtat. Er versuchte, sich insgesamt zu entspannen, fragte:
»Sie haben Informationen, ist das richtig?«
Wieder das Glucksen, ein echter Spaßvogel, dann:
»Tja, alter Knabe, das ist kein rein freundschaftlicher Anruf, auch wenn ein solcher sicher nett wäre, ich habe tatsächlich Informationen. Stünde eventuell ein finanzieller
Anreiz zur Verfügung dafür, dass ich, wie man sagt, ›aus dem Nähkästchen plaudere‹?«
Roberts gab dem Diensthabenden ein Zeichen, den Anruf nachzuverfolgen. Der Sergeant ignorierte es, tat so, als wüsste er nicht, was Roberts ihm mit seinem wütenden Gefuchtel sagen wollte. Mal sehen, wie ihm das schmeckte, mies behandelt zu werden. Roberts sprach in den Hörer:
»Jeder Bürger, der die Polizei unterstützt, kann sich der vollen Dankbarkeit der Met gewiss sein.«
Selbst Roberts war klar, dass das Stuss war, und der Typ sagte:
»Ts, ts, Chief Inspector, die Parteilinie, wie? Bei meinem nächsten Anruf erwarte ich eine detailliertere Antwort.«
Roberts wurde fast panisch, drängte:
»Was sind das für Informationen? Woher weiß ich, dass Sie nicht irgendein Irrer sind?«
Stille, Roberts dachte schon, der Typ wäre nicht mehr dran, dann:
»Sie werden sehen, dass es sich bei der Waffe um eine Browning Automatik handelt, das gesamte Magazin … kam zum Einsatz … und ich entschuldige mich zutiefst für den recht … wie soll ich sagen … schießwütigen Theaterdonner, aber gutes Personal ist schwer zu finden, das kennen Sie sicher auch. Sollte ein zweites Mal vonnöten sein, werde ich versuchen, mehr Finesse walten zu lassen.«
Roberts merkte, dass er schwitzte, versuchte es mit:
»›Ein zweites Mal.‹ Was zum Teufel soll das heißen?«
Rauschen im Hörer, dann sagte der Typ:
»Sollte unser geliebter Sergeant Brant nicht den Löffel abgegeben haben, müssen wir es noch einmal versuchen, Beharrlichkeit ist schließlich eine Tugend. Erst mal adieu, scheiden tut weh.«
Roberts wollte brüllen: »Adieu, scheiden tut weh«? Wer zum Teufel redete so, der nicht mindestens hundert Jahre alt war. Er keuchte:
»Aber wieso, wieso Sergeant Brant?«
Ein volles Baritonlachen, dann:
»Ihre Bemühungen, mich an der Strippe zu halten, sind bewundernswert, aber ein bisschen amateurhaft, und was das Wieso angeht, wirklich, Chief Inspector, fällt Ihnen irgendjemand ein, der unseren Pechvogel nicht erschießen will?«
Klick.