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DER UMSCHLAG 

©Christoph Kretschmer/Adobe Stock

Am Anfang unserer Zusammenarbeit erledigte ich den jeweiligen Auftrag und traf mich ein paar Tage später mit Froehmer im Diner. Nach einer Tasse Kaffee oder manchmal auch einem Frühstück stand er auf und ging und hinterließ einen Umschlag an seinem Sitzplatz. Außerdem überließ er mir immer die Rechnung. Das war mir egal, ich hatte den Umschlag. Wir sprachen nie darüber, wie viel er enthielt; das blieb immer ihm überlassen, und er war immer fair. Irgendwann wartete nicht Froehmer im Diner auf mich, sondern jemand, der für ihn arbeitete, wie ich.

Ich wusste, dass noch andere für Froehmer arbeiteten, aber er sprach immer nur sehr vage und verklauselt von ihnen. »Ich lasse das überprüfen«, meinte er manchmal, oder »Ich glaube, ich weiß, wer uns da helfen kann.« Daher wusste ich zwar, dass ich zu einer größeren Organisation gehörte, sah mich aber nicht als Teil von ihr und kümmerte mich nicht darum. Mir war egal, wer sonst noch dazugehörte oder was die anderen trieben oder ob ich ihnen je begegnen würde. Ich machte meine Arbeit und beließ es dabei. Aber jetzt saß da jemand anders auf Froehmers Platz und überließ mir die Frühstücksrechnung, und vielleicht hatte er was aus dem Umschlag rausgenommen, bevor er ihn mir gab. Ich musste über Bedingungen und Transaktionen und solche Dinge reden. Von Fairness konnte keine Rede mehr sein. Es wurde Buch geführt.
Es war mir egal, solange die Umschläge weiterkamen. Nach dem Frank dazugestoßen war, sahen wir Froehmer nicht wieder; immer saß der andere im Diner, ein Typ namens Mobley. Er war fünf Jahre älter und arbeitete etwa so lange wie ich für Froehmer, vermute ich. Ich weiß es nicht genau. Ich weiß nicht, woher er kam oder wie er Froehmer kennengelernt hatte. Vielleicht so wie ich. Es war mir egal. Ich wusste nichts von ihm, außer dass er Froehmers Laufbursche war. Und dass er sich mir gegenüber immer aufspielte, eine Feindseligkeit an den Tag legte, die mich wohl einschüchtern sollte. Wir waren ähnlich gebaut, er ein bisschen größer. In einem fairen Kampf würde ich es mit ihm aufnehmen können, dachte ich. Aber bei Mobley lief nichts fair. Das sah man auf den ersten Blick. Er tat, was immer nötig war oder was Froehmer ihm auftrug. Mobleys ruhiges, gelassenes Gesicht hätte man auf eine Münze prägen können, aber man durfte sich nicht mit ihm anlegen. Und das strahlte er auch aus, deswegen saß er uns im Diner gegenüber. »Der ist wie eine Stange Dynamit«, hatte Frank über ihn gesagt. »Er wirkt erst mal harmlos, aber man spürt, dass er einem den Kopf abreißen kann.« Frank hielt es für das Beste, mich allein ins Diner gehen zu lassen. »Warum sollen wir beide in die Luft fliegen?«, zog er mich halb im Ernst auf.
Und dann wollte sich Mobley nicht mehr im Diner treffen. Er wählte irgendeinen Parkplatz, eine Einfahrt oder Straßenecke aus, gab mir den Umschlag, und ich ging meines Weges. Es war besser so. Mit Mobley gab es sowieso keine Gesprächsthemen, warum also sollten wir zusammen Kaffee trinken und uns wie alte Bekannte gegenübersitzen?
»Hast du ein Problem mit mir?«, fragte ich ihn eines Tages direkt.
»Ich hab kein Problem«, sagte er.
»Was ist es dann?« »Ich mag dich nicht«, sagte er sachlich. Und das wars.

• • •

Ungefähr zu der Zeit fing ich an, Denise ein bisschen Geld für das Kind zu geben. Ich nahm genug für Frank und mich aus dem Umschlag, ließ einen kleinen Teil drin und fuhr rüber zu Denise. Sie war wieder clean, hatte ich jedenfalls gehört, und außerdem single, vielleicht konnte man ihr also trauen. Ich ging damals immer noch zu Meetings, vielleicht wollte ich also was wieder gutmachen, vielleicht hatte ich auch einfach ein bisschen mehr Verständnis für sie. Oder vielleicht wollte ich mich von der Vergangenheit befreien (»Du kannst die Vergangenheit nicht ändern, du kannst nur die Gegenwart verändern«, ist so eins von den Klischees, das sie dir in der Therapie einreden.) Vielleicht ein bisschen von allem. »Was auch immer dich dazu bewogen hat, es ist gut so«, sagte Frank. Er war dafür, dass ich Denise und Eva Geld brachte, kam aber nie mit.
Denise stand auf der Vordertreppe und schaute zum Auto hin über. »Gibts Frank noch?«
»Frank gibts noch.«
»Ich dachte, Froehmer hätte ihn inzwischen vielleicht ausgebootet.«
Ich ignorierte es. »Ist Eva da?«
»Nein«, sagte Denise.
»Gehts ihr gut?«
»Wir kommen klar.« Sie wollte nicht reden, sie wollte nur den Umschlag.
»Ich hab gedacht, wir könnten ein Konto für Eva einrichten, dann müsste ich nicht immer herkommen. Ich könnte das Geld einfach auf ihr Konto einzahlen.«
»Wenn du willst. Ich dachte, du willst sie ab und zu mal sehen.«
»Das kann ich trotzdem noch«, sagte ich. »Ich dachte, sie wäre heute hier.«
»Nein. Heute nicht.«
»Ich kann ein andermal kommen.«
»Wenn du willst«, sagte sie. »Wenn Froehmer dich nicht durch die Gegend scheucht.«
»Das ist mein Job.« Ich biss nicht an.
»Solange du weißt, was du tust und für wen.«
»Weiß ich.«
»Das glaube ich nicht«, sagte sie. »Nur so als Warnung.«
»Okay.« Ich gab ihr den Umschlag.
»Ich bringe das Geld auf die Bank«, sagte sie. »Ich kann dir die Kontoauszüge zeigen, wenn du willst.«
»Alles gut.«
»Von wegen«, sagte sie und schloss die Tür.
So lief es meistens. Manchmal etwas besser. Manchmal sah ich Eva.

5
DAS ZIEL

Frank und ich hatten seit fast einer Woche nicht mehr gearbeitet, als Froehmer sich meldete und uns den Auswärtsjob übertrug.

»Ich besorge euch ein Hotel und einen Wagen.« Er holte seinen Stift heraus und schrieb den Namen des Hotels und eine Adresse auf. »Nur ein kleiner Auftrag. Aber ich entschädige euch für den Aufwand. Doppeltes Honorar.«
»Okay.«
»Ein Kurztrip. Bis Freitag müsstet ihr zurück sein.«
Ich sagte nichts.
»Sollte kein Problem sein«, sagte Froehmer. »Kleine Sache. Ganz leicht.«
»Wenn es so leicht ist, warum brauchen Sie dann mich?«
Froehmer klopfte mir auf den Rücken. »Sag Bescheid, wenn ihr bereit seid, dann gebe ich euch die Details durch.«
»Ich weiß.«
»Und bis Freitag seid ihr zurück.«
Vielleicht war er nervös, ich kann es nicht sagen. Er wirkte nervös. Oder sollte ich besser sagen, dass er rückblickend nervös wirkte.
Damals fiel mir nichts auf, oder ich habe es wider besseres Wissen ignoriert.