»Moonshine in North Carolina«

Ein Nachwort von Kirsten Reimers
©Max Soklov / Adobe Stock

Als im Frühjahr 1933 die Prohibition in den Vereinigten Staaten nach dreizehn Jahren aufgehoben wurde, war dies weder ein wirklicher Endpunkt noch der Anfang eines neuen Umgangs mit Alkohol. Die Versuche, den Alkoholkonsum in den USA einzuschränken, reichen bis ins 19. Jahrhundert zurück und über das Jahr 1933 hinaus. Auch heute noch gibt es »Dry Countys«, in denen der Verkauf, Ausschank und Transport von Alkohol verboten oder zumindest stark eingeschränkt ist. In North Carolina war Herstellung und Transport von Alkohol sowie der Handel damit schon von 1909 an verboten – also elf Jahre früher als bundesweit –, und im Jahr 1933 sprach sich bei einer Volksbefragung eine Mehrheit von 74 Prozent dafür aus, die Prohibition beizubehalten. Bis 1935 galt sie in diesem Bundesstaat. Danach war der Verkauf alkoholischer Getränke nur in sogenannten ABC-Stores – Alcoholic Beverage Control Stores – erlaubt. Dabei handelte es sich um staatliche Monopolshops, die hohe Abgaben auf Alkohol verlangten. Anhänger der Prohibition waren vor allem evangelikale Christen, die bis heute in North Carolina – das Teil des »Bible Belts« ist – stark vertreten sind.

Doch wo ein Verbot ist, ist auch dessen Hintertreibung nicht weit. Dass die Prohibition das organisierte Verbrechen befördert hat, ist bekannt. In den Anfangsjahren ging es dabei in erster Linie um Schwarzbrennerei und Alkoholschmuggel. Lange Zeit wurde vermutet, dass Chicago das Zentrum des Alkoholschmuggels während der Prohibition war, doch der tatsächliche  Schwerpunkt der Schwarzbrennerei lag im ländlichen Süden der USA.

In den Appalachen ist das heimliche Destillieren von Alkohol seit dem 18. Jahrhundert weit verbreitet. Zum einen weil dorthin viele Menschen mit irisch-schottischen, englischen und auch deutschen Wurzeln emigrierten. Sie brachten Kenntnisse im Brauen von Bier und dem Brennen von Spirituosen mit. Zum anderen aber waren – und sind – die Appalachen ein strukturschwaches Gebiet. Die Menschen dort lebten früher zumeist von Jagd, Landwirtschaft und Naturweidewirtschaft, aber dies reichte insbesondere für kleinere Farmer nicht, um über die Runden zu kommen. Der Schwarzbrand von Alkohol und dessen Schmuggel war darum ein willkommenes Zusatzgeschäft. Mitte des 19. Jahrhunderts war es für Farmer in North Carolina oftmals lukrativer, aus dem angebauten Getreide schwarz Alkohol zu brennen, als es auf dem Markt zu verkaufen.

Auch die heimische Wirtschaft profitierte davon. Denn die benötigten Zutaten und Hilfsmittel – vom Zucker bis hin zu den Fässern – wurden vor Ort gekauft.

Weil die Farmer in der Regel nachts bei Mondschein den Alkohol schwarzbrannten, wurde er unter anderem Moonshine genannt, weitere Bezeichnungen waren unter anderem Mountain Dew oder White Lightening. Die Hersteller hießen Bootlegger. Dies stammte aus der Zeit, als der Verkauf von Alkohol an die Native Americans verboten wurde. Händler versteckten daraufhin die Flaschen in ihren Stiefelschäften, um nicht erwischt zu werden.

Diejenigen, die den Alkohol per Auto auslieferten, wurden Runner genannt – wie überhaupt die Autos ein wichtiger Aspekt des Alkoholschmuggels waren. Um schneller als die Polizei oder die Zollbehörden zu sein, frisierten die Runner ihre Wagen, indem sie leistungsstarke Motoren einbauten. Zudem entwickelten sie riskante Fahrmanöver, um bei Verfolgungsjagden entkommen zu können. Daraus entwickelte sich in den dreißiger Jahren der Motorsport in den USA. Die Anfänge der Stockcar-Rennen liegen in North Carolina. Besonders auf der Strecke zwischen North Wilkesboro und Charlotte begannen die Runner, Rennen gegeneinander zu fahren. Bald schon machten sie dies vor zahlendem Publikum.

Das Ende der Prohibition bedeutete nicht das Ende der Schwarzbrennerei. Auch wenn Alkohol jetzt in den ABC-Stores offiziell verfügbar war, wurde weiterhin viel Schwarzbrand getrunken, weil dieser sehr viel günstiger war, da ja die hohen Steuern entfielen. Zudem kamen die Abgaben auf den Alkohol nicht der Wirtschaft vor Ort zugute, sondern dem Staat. Darum blieb die Schwarzbrennerei auch nach den dreißiger Jahren in North Carolina ein wichtiges Zusatzeinkommen.

Allerdings ließ die Qualität der Schwarzbrände im Laufe der Jahre durchaus nach, unter anderem weil die Nachfrage schließlich doch geringer wurde. Vieles, was verkauft wurde, war gepanscht, manches sogar giftig. Erst als die Industrialisierung auch die Appalachen stärker erfasste und damit neue Verdienstmöglichkeiten bot, verlor die Herstellung und der Schmuggel von

Moonshine an Bedeutung.

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Taylor Brown greift in seinem Roman viele dieser Aspekte auf. Kriegsheimkehrer Rory arbeitet als Runner für den Bootlegger Eustace Uptree; er verliebt sich in Christine, die Tochter eines fanatischen Priesters, der Klapperschlangen hält; er liefert sich Autorennen mit dem Sohn eines panschenden Bootleggers, und er fährt ein aufgemotztes Ford-Coupé. Ort der Handlung sind die Appalachen, ein Berg und das zu seinen Füßen gelegene Provinzstädtchen in North Carolina.

Der Autor hat selbst zehn Jahre in diesem Bundesstaat gelebt. Aufgewachsen ist Taylor Brown an der Küste von Georgia; er hat unter anderem in Buenos Aires und San Francisco gewohnt. Gods of Howl Mountain ist sein dritter Roman. Nach Fallen Land (2016) und River of Kings (2017) veröffentlichte er ihn 2018. 2020 ist sein Roman Pride of Eden erschienen. Dazu kommt ein Band mit Kurzgeschichten: In the Season of Blood and Gold (2014). All seine Romane waren Finalisten des Southern Book Prize.

Verschiedene Einflüsse kommen in Gods of Howl Mountain zusammen. Wie Brown in einem Interview mit Andria Williams von The Wrath-Bearing Tree berichtete, beinhaltete schon die Kurzgeschichte »Kingdom Come« (in In the Season of Blood and Gold) den Kern dieser Geschichte. Das Thema ließ ihn jedoch nicht los, sodass er es noch einmal in einem größeren Rahmen aufnahm. Zudem spielte der Song »Copperhead Road« von Steve Earl eine große Rolle. Darin geht es um einen jungen Mann, der aus dem Vietnam-Krieg zurückkehrt. Seine Familie hat über Jahre hinweg schwarzgebrannt, doch er wendet sich nun einem neuen Geschäftsfeld zu: Marihuana. Die Parallelen zu Gods of Howl Mountain liegen auf der Hand.

Aber auch Mythen, die sich um Blowing Mountain ranken, einer Stadt in den Blue Ridge Mountains im Westen von North Carolina, sind in den Roman eingeflossen. Die Stadt ist für einen starken Wind bekannt, der durch eine Schlucht hinaufweht. Der Legende nach wollte sich dort ein Native American aus Liebeskummer in den Tod stürzen, doch der Wind trug ihn zurück zu seiner Partnerin. Dieser Wind ist das Vorbild für die Aufwinde auf dem Gipfel des Howl Mountain.

Wie Taylor Brown in einem Interview für dieses Nachwort erzählte (nachzulesen auf der Website des Polar Verlags), las er zudem in der Zeit, in der er an seinem Roman arbeitet, bevorzugt Romane des Noir, unter anderem von Raymond Chandler. Auch die Bücher von Daniel Woodrell, William Gay, Cormac McCarthy und Flannery O’Connor schätzt er sehr, doch er wollte etwas Eigenes schaffen, das dunkel, schnell und spannungsreich war. So entstand Gods of Howl Mountain.

Der Roman ist episodenhaft und kaleidoskopartig angelegt. Lediglich Rorys Racheabsichten für seine Mutter und seine Suche nach einem Platz in der Gesellschaft klammert das Geschehen zusammen. Das Provinzstädtchen am Fuße des Howl Mountain liegt wie abgeschnitten von der Welt an einem Stausee – ein Produkt des New Deal der dreißiger Jahre der Regierung von Franklin D. Roosevelt. Doch statt den erhofften wirtschaftlichen Aufschwung zu bringen, hat der See den Gerüchten nach Todesopfer gefordert unter den kleinen und alten Farmern, die sich weigerten, ihr Höfe und Häuser zu verlassen.

Brown hat den Howl Mountain im Kontrast zur Stadt an dessen Fuß angelegt. Während auf dem Berg Granny May als naturheilkundige Native American Geister zu besänftigen sucht, lässt sich in der Stadt die Bevölkerung vom schwarzgebrannten Alkohol und von einem fanatischen Priester berauschen. Dass bei dessen Gottesdiensten Schlagen zum Einsatz kommen, ist keine Erfindung des Autors. Bis heute noch spielen Schlangen in manchen Gegenden der USA bei Gottesdiensten der Pfingstgemeinden eine Rolle. Dem zugrunde liegt eine Stelle in der Bibel: Markus 16, 18: »Sie werden Schlangen aufheben, und wenn sie etwas Tödliches trinken, wird es ihnen nicht schaden, Kranken werden sie die Hände auflegen, so wird es gut mit ihnen werden.« 2013 war die Erstaussendung einer TV-Doku-Serie mit dem Titel Snake Salvation (Schlangenerrettung), die zwei Prediger in den Mittelpunkt stellt, die bei ihren Gottesdiensten Schlangen einsetzten. Einer der Prediger starb 2014 an einem Schlangenbiss. Die Handlung des Romans ist auf den ersten Blick zeitlich präzise eingeordnet: Rory kommt 1951 aus dem Korea-Krieg zurück, in dem er ein Bein verloren hat. Doch durch die kaleidoskopartige Anlage der Romans verschwimmen die zeitlichen Bezüge, denn durch den Stausee und die beschriebenen Autorennen sind auch die dreißiger Jahre präsent, durch den Vorgriff auf die sechziger Jahre – den Anbau und Verkauf von Marihuana durch Granny May – ist auch Zukünftiges integriert. Dadurch gewinnt der Roman eine Zeitlosigkeit. Nicht nur geographisch, auch zeitlich ist der Berg und die Stadt isoliert und herausgehoben.

Denn es geht dem Autor nicht um ein Zeitporträt. Viel wesentlicher ist die Krisenhaftigkeit: Alle männlichen Figuren haben Probleme, mit den Veränderungen der Zeit zurechtzukommen. Sie sind orientierungslos und halten an alten, überkommenen Handlungsmustern fest. Lediglich Christine und Granny May gelingt es, sich zu lösen und eigenständig zu handeln, um sich so eine eigene Zukunft zu schaffen. Granny May ist es auch, die Rory schützt und ihm eine Perspektive ermöglicht. Sie bekämpft die Gesetzlosigkeit auf dem Berg, sorgt für Sicherheit und Frieden. Granny May – Maybelline Docherty – ist das Kraftzentrum des Romans, sein Motor. So ist es nur folgerichtig, dass auch Rorys Auto nach ihr benannt ist.

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