»Schmutzige Siege«
Ein Nachwort von Günther Grosser
Als Ken Bruen 1979 nach vier Monaten Hölle in einem brasilianischen Knast endlich entlassen wird, ist er am Ende. Jahre später wird er die grausame Erfahrung bei einem Interview in ein paar Sätze kondensieren: »Ich hatte alles an menschlichem Leiden, an Erniedrigung abbekommen, dass man sich nur vorstellen kann. Ich bin dort dem Bösen in seiner reinsten Form begegnet – böse sein, bloß weil man böse sein kann.« Er ist 38 und fängt zu schreiben an, reist weiter herum, lebt vom Englischunterricht, schreibt. Man darf annehmen, dass er in ständigem Clinch mit dem Saufen liegt, weil er später immer wieder betonen wird, dass der Alkohol für die Familie nicht nur ein Problem, sondern ein regelrechtes Verhängnis darstellte; sein Bruder wird daran zugrunde gehen. Er selber schreibt lieber und wird später, als er längst wieder in Galway an der irischen Westküste lebt und bereits zwei Dutzend Romane veröffentlicht hat, den alten Topos vom Rettungsanker Literatur strapazieren. »Ich brachte die ganze Verbitterung, den ganzen Zorn aufs Papier.« Man nimmt es ihm ab, natürlich. Was er jedoch damals für sein Schreiben über die reinen Geschichten hinaus brauchte und was ihn erst zu dem machte, der er mit den Jack Taylor- Romanen und der Roberts/Brant-Reihe dann wurde, war ein dezidierter Stil.
Guter Stil zeugt von Selbstbewusstsein und Können. Und damit ist rein gar nichts gesagt über die Art des Stils. Zwischen den barocken, metaphern-gesättigten Varianten der langen, intrikaten Sätze und der Schnapp-Atmung minimalistischer Schnellschuss-Prosa liegen ganze Welten an stilistischen Möglichkeiten. Allerdings gilt die Regel ›form follows function‹ auch hier, denn vom Stil wird man gefunden oder, wie in Bruens Fall, überwältigt: Wer auf dem Boden einer dreckigen Gefängniszelle mit dem Schlimmsten rechnet, schreibt später keine geschraubten Hymnen auf die Schönheit kahler Wände. Er wird auf der Suche nach einem eigenen Stil nicht bei Thomas Mann fündig werden, nicht bei Proust und auch nicht bei Raymond Chandler. Auf jener Suche nach Ausdruck und stilistischer Finesse für dieses Böse, das böse ist, bloß weil es böse sein kann, landet er bei Schriftstellern, die ihre Figuren Sätze sagen lassen wie »Sie brachte mir den BH, ich half ihr hinein, zwickte sie dabei ein bisschen. Du wirst mir fehlen, Baby, dachte ich. Du musst dran glauben, da hilft alles nichts, aber du wirst mir fehlen, wirklich wahr.« Also bei Jim Thompson, dessen sadistischer Sheriff Lou Ford aus ›The Killer Inside Me‹ so etwas wie ein heimliches Vorbild für Ken Bruens Detective Sergeant Brant hergibt. Und gleich auf der zweiten Seite dieses gerade 70 Jahre alt geworden Klassikers äußert Ford auch das literarische Credo Thompsons: »Mit Worten zuschlagen ist fast so gut wie das andere, das richtige Zuschlagen.« Natürlich ist es sogar besser, wenn man Schriftsteller ist und nicht Sheriff.
Brant wird sich in den Folgeromanen der siebenteiligen Reihe, von denen jetzt fünf übersetzt bei Polar vorliegen, auch als Schriftsteller versuchen (allerdings noch lieber die Verlegerin durch die Wohnung vögeln), und wir werden kaum daneben liegen, wenn wir davon ausgehen, dass er Fords Credo unterschreiben würde. Ein beherzter Schlag mit dem Hurley, dem Spielgerät der knochenharten irischen Sportart Hurling – »eine Mischung aus Hockey und Mord« – ein Tritt in die Magengrube, ein gezielt gesetzter Schuss, anschließend die Sache anderen in die Schuhe schieben oder die Spuren ganz beseitigen: So trägt Brant seine schmutzigen Siege davon. Und im Anschluss würde er am liebsten das Ganze in einen Bestseller verwandeln, natürlich mit lukrativer Verfilmung. Die Frage nach Gut und Böse, nach Recht und Unrecht stellt sich dabei nicht.
Vielleicht stellt sich für Brant dann auch die Stilfrage gar nicht, für Bruen hingegen war sie immer von zentraler Bedeutung. Als Ire konnte er dabei aus einer reichhaltigen und gesättigten literarischen Tradition schöpfen – mit Yeats, Shaw, Beckett und Seamus Heaney vier Nobelpreisträger bei grade mal 5 Millionen Einwohnern, das ist unübertroffen. Dazu kommt, dass Joyce und Oscar Wilde ihn gar nicht bekommen hatten, sie galten zu Lebzeiten als literarische Schweineigel. Und als promovierter Philosoph des renommierten Dubliner Trinity Colleges hätte Bruen (ja ja: Dr. Bruen) hier nahtlos anknüpfen können. Er schrieb jedoch auf einem anderen Erfahrungshorizont und brauchte dafür einen ganz anderen Stil. Und dass, als er an seinen ersten Romanen arbeitete, der Celtic Tiger gerade zum Sprung angesetzt hatte und die irische Gesellschaft ökonomisch und sozialpolitisch einen mächtigen Veränderungsschub erfuhr, ließ den Rückkehrer nach 25 Jahren globalem Reisen in der 13-bändigen Jack Taylor-Serie zwischen 2001 und 2017 eher skeptisch auf seine Heimat blicken, ein Blick, den er auch Detective Sergeant Brant bei dessen kurzem Ausflug auf die Insel – die Romanreihe spielt im schmuddeligen Süden Londons – mitgibt: Warum machen die jetzt am Flughafen Werbung für italienischen Kaffee? Er sollte Recht behalten: Der Tiger landete bald als handzahmer Teppichvorleger in einer bitteren Wirtschaftskrise, hatte allerdings die Republik Irland nachhaltig verändert. Also blickte Bruen, was die Suche nach einem Stil anging, nach Westen. Wenn er in den zahlreichen Interviews, die er in den letzten Jahren gegeben hat, Vorbilder oder bewunderte Kollegen nennt, sind es immer wieder die großen amerikanischen Stilisten, neben Jim Thompson Elmore Leonard und vor allen anderen und immer wieder Ed McBain.
Von McBain lernte er alles über Eleganz und Realismus. Ed McBain war ein Vielschreiber, der unter zahlreichen Pseudonymen zwischen 1950 und 2005 an die 130 Romane, jede Menge Erzählungen und Drehbücher u. a. für Hitchcock schrieb, dabei immer wieder gerne den Stil wechselte und so eine eindrucksvolle literarische Flexibilität bewies. In der Reihe mit Polizeiromanen aus dem 87. Revier ist es ein harter Realismus mit poetischer Note und wissenschaftlich-exaktem Anstrich bis hin zu Abbildungen ganzer Listen. Die Akademiker nennen seine Erzählweise parataktisch, also gleichrangig aneinandergereihte Hauptsätze oder Wortgruppen. Das machte er manchmal, um uns ein wenig einzulullen, bevor es richtig losgeht. Bruen auch.
Und so wird er Anleihen machen bei Elmore Leonard, bei Jim Thompson und bei Ed McBain und daraus einen eigenen Stil schaffen. Hier ein schlagendes Beispiel aus »Kaliber« von 2006, dem sechsten Band der Reihe, in dem Brant hinter dem Manieren-Mörder her ist, der Leute wegen schlechten Benehmens umbringt. Er macht sich an ein weiteres Opfer heran, das er schließlich in der Badewanne ertränken wird. »Hab ihn ein paar Tage lang beobachtet, dann einfach an der Tür geklingelt. Er öffnete im Bademantel, sagte: ›Was zum Henker wollen Sie, ich will gerade baden.‹«
Wie könnte man die Szene elegant und stilvoll zu Ende bringen? Natürlich mit der Beschreibung des Ertränkens, sicher, aber das ist nicht gut genug für Bruen. Über etwas völlig anderes reden und dabei andeuten, dass das Opfer in der Badewanne liegt und stirbt? Möglich aber wohl zu lang. Ed McBain würde vielleicht ein paar Sätze über die Wanne, das Wasser, die Kacheln, das Badezimmer verlieren und alle mit demselben Wort anfangen lassen. Ken Bruen genügt lediglich ein einziger weiterer Satz: »Ich hab ihm in die Wanne geholfen.« Das reicht, das ist klar, das ist humorvoll. Man nennt es lakonisch oder deadpan – todernstes Gesicht beim besten Witz. Buster Keaton war der filmische Meister dieser Variante, Elmore Leonard der literarische. Bruen reiht sich hier sehr gern ein.
Man muss natürlich aufpassen mit dem Stil-Basteln, Bruen weiß das, sonst landet man schnell im Brennglas der vernichtenden Literaturkritik oder fällt der Verachtung anheim. »Was sich aufwirft, ist Beschichtung | loser Putz zu hohem Ziel – | Nur ein Stoß, noch keine Richtung, | nur ein Schlenker, noch kein Stil.« Der große Spötter Peter Rühmkorf wusste das natürlich auch, und er hätte Bruens Mut bewundert, etwa mitten im Absatz einfach, zack: die Erzählperspektive zu wechseln. Oder eine Weile lang schnelle Sätze hintereinander zu packen wie McBain, dann wieder lustvoll wie Thompson auf die Pauke hauen oder die Sache lakonisch wie Leonard zu Ende bringen.
Vor anderthalb Jahren hat er die Irish Times anlässlich eines Porträts wissen lassen, dass er das Krimischreiben an den Nagel gehängt hat. Auf der Insel war er nie sehr populär, er gilt dort als »Writer´s Writer«, einer, der hauptsächlich von seinesgleichen gelesen wird. In den USA hingegen ist er Verkaufsschlager, und tatsächlich passen seine Auffassung einer gewaltdurchsetzten Gesellschaft, in der das klassische Verständnis von Gut und Böse nichts weiter ist als illusorische Schikane, und sein dazu passendes Stilempfinden besser nach New York, Chicago oder Detroit als nach Galway oder Sligo. Die neue Generation irischer Crime Writer nimmt ihn bewundernd zur Kenntnis, und ein paar wenige wie Gene Kerrigan oder Declan Burke versuchen sich sogar im harten Stil. Er freut sich darüber, führt den Hund am Fluss spazieren und schüttelt den Kopf über diese hässlichen Neubauten überall. Brant würde er dort noch nicht einmal auf Rente einziehen lassen.