»Ein Gefangener ist ein Prediger der Freiheit«

Zu Benjamin Whitmers Ausbrecherroman »Flucht« – Ein Nachwort von Alf Mayer

 

©Max Soklov / Adobe Stock

Schon verwunderlich, dass es zwar etliche Romane vom Leben im Gefängnis gibt – etwa Chester Himes, aus eigener Erfahrung gespeistes Debüt »Yesterday Will Make You Cry«, das 1937 geschrieben, als Hybrid aus Pulp-Roman und introspektiver Charakterstudie jedoch seiner Zeit voraus war, 1952 zensiert als »Cast the First Stone« und erst 1998 in der vom Autor beabsichtigten Form erscheinen konnte. »Der Ausbruch« von Albertine Sarrazin (1965, neu übersetzt 2018) hieß korrekter einstmals »Kassiber«, denn er handelt vom Gefängnisleben. John Cheevers »Falconer« ist Gefängnisroman mit ein klein wenig Ausbruch, in Dominique Manottis »Ausbruch«(Ariadne, 2014) geht es eher um das Zurechtkommen draußen, Simenons »Der Ausbrecher« von 1936 meint den Ehealltag. Joseph Roths »Die Flucht ohne Ende« (1927) ist eine Soldatenodyssee zwischen Irkutsk und Wien, am anderen Ende des literarischen Regenbogens gespiegelt in Josef Martin Bauers Kriegsheimkehrer-Besteller »So weit die Füße tragen« von 1955 – die Vorlage für einen der ersten Straßenfeger des deutschen Fernsehens.

Desmond Bagleys »Lebenslänglich mit Rückfahrkarte« von 1972 beruht lose auf dem Ausbruch des KGB-Spions George Blake, hatte im Original den hübschen Titel »The Freedom Trap« und war schnell über der Mauer, um anderen erzählerischen Fäden zu folgen. Ausbruchs-Action noch am nächsten kommt Anna Seghers KZ-Drama »Das siebte Kreuz«, das »den toten und lebenden Antifaschisten Deutschlands gewidmet« ist: Aus dem Konzentrationslager Westhofen nahe Worms brechen sieben Häftlinge aus, von denen drei sehr schnell, zwei andere nach wenigen Tagen gefasst werden, einer stellt sich schließlich freiwillig, einer taucht unter. Auf breite Thriller-Leinwand malt Mitchel Smith 1990 »Stone City« (deutsch 1994 als »Stadt ohne Träume«) und derber, ebenfalls mit einem Gefängnisaufstand, Tim Willocks 1995 »Die Gefangenen von Green River«. Romane, die wirklich einen Gefängnisausbruch im Mittelpunkt haben, muss man beinahe mit der Lupe suchen und die Uhr bis 1960 zurückdrehen, bis zu José Giovanni und »Das Loch«, kongenial und minimalistisch verfilmt von Jacques Becker als »Le Trou«. Oder zu Henri Charrière und »Papillon« (1969). In »Tell Them Willie Boy Is Here«, 1968 von Abraham Polonsky, erfährt man – so Wolf-Eckart Bühler, »hautnah und emotional: was es heißt, einer Minderheit anzugehören – was eine Flucht ist und warum Menschen vor Menschen flüchten müssen – und was eine Verfolgung ist und warum Menschen andere Menschen verfolgen«. Immer noch ein fulminanter, fast abstrakter Verfolgungsfilm ist auch Joseph Loseys »Figures in a Landscape« (1970). Jean-Pierre Melvilles »Le deuxième souffle« von 1966 hat Lino Ventura als ultraprofessionellen Gangster und Ausbrecher, Paul Newman war 1967 »Der Unbeugsame« (Cool Hand Luke), der nach drei Fluchtversuchen durch die Kugel eines Aufsehers stirbt. »Der Gefangene von Alcatraz« mit Burt Lancaster transportierte 1962 eine humanistische Botschaft, während Don Siegels »Flucht von Alcatraz« mit Clint Eastwood feinstes Actionkino des Jahres 1979 war. Und dann verließen sie ihn, so ziemlich. Ja sicher, ein zackig schnell erzählter Gefängnisausbruch etabliert im Film gerne einen Bösewicht, sei es bei James Bond oder Harry Potter, oder eben George Clooney als charmanten Bankräuber in der Elmore-Leonard-Verfilmung »Out of Sight«. Aus dem Gefängnis ausgebüxt zu sein, das ist heute eher filmisches Accessoire. Ansonsten sind Gefängnisfilme, wenn wir diesen etwas ungenauen Oberbegriff einmal stehenlassen, überwiegend zu B- und C-Ware geworden, Claire Denis mit »High Life« (2018) unbenommen. Es dominieren eher Klamotten mit Silvester Stallone, Dolph Lundgren, Kurt Russel, Jason Statham, Dwayne Johnson oder Jean-Claude Van Damme. Seriöser ist die US-amerikanische Miniserie »Escape at Dannemora« von Ende 2018, die auf realen Begebenheiten basiert und den großartigen Benicio del Toro hat. Und natürlich gibt es auch noch die Serie »Prison Break« mit bisher 90 Folgen und etlichen Spin-offs.

Ganz lange her sind zwei der besten Filme dieses Genres. »Brute Force« (deutscher Titel »Zelle R 17«) aus dem Jahr 1947 brachte Regisseur Jules Dassin und gleich vier Mitwirkenden Berufsverbot wegen unamerikanischer Umtriebe ein, es traf auch den Darsteller des Gefängnisarztes. Dieser Gefängnisrevolten-Film ist »düster und brutal, einen schwärzeren Schluss gibt es in der ganzen Geschichte Hollywoods nicht«, sagt Benjamin Whitmer. Der zweite Film, ein sozialkritisches Drama erster Güte, stammt von 1932 und aus der noch unzensierten Zeit von Hollywoods Pre-Code, bevor ab 1934 der »Hays Code« den Filmstrolchen enge Grenzen setzte und sogar Ehepaare auf der Leinwand in zwei voneinander durch ein Nachtkästchen getrennten Betten schlafen mussten. Das Kettensträfling-Drama »I Was a Fugitive from a Chain Gang« (deutscher Titel »Jagd auf James A«) thematisierte das brutale Gefängnissystem der Südstaaten. Seine Vorlage, die gleichnamige Autobiografie von Robert Elliott Burn aus dem gleichen Jahr entstammt der langen Tradition der Reformliteratur: Die ungeschminkte Schilderung von Missständen soll(t)en die Öffentlichkeit dagegen aufstacheln und Veränderungen erzwingen. Buch und Film gelang das damals tatsächlich. Der Autor wurde begnadigt, das Gefängnissystem reformiert. Der Film erhielt drei Oscar-Nominierungen, darunter für Paul Muni als bester Hauptdarsteller. Die deutsche Erstaufführung brauchte mehr als fünfzig Jahre, sie fand am 22. April 1968 im Zweiten Deutschen Fernsehen statt. Der »Evangelische Film-Beobachter« urteilte damals: »Sozialkritischer Streifen aus der Frühzeit des amerikanischen Gangsterfilms. Am Beispiel eines zu Unrecht ins Zuchthaus geratenen Mannes geißelt Mervyn LeRoy die Zustände, unter denen die Kettensträflinge leben mussten, und gibt darüber hinaus eine präzise Schilderung der Zeit und des Milieus, in denen das Gangstertum gedieh. Die Mischung von Spannung und Sozialkritik sowie das eindrucksvolle Spiel des Hauptdarstellers Paul Muni empfehlen den Film für erwachsene Zuschauer.« Die Coen-Brüder haben im Jahr 2000 mit »O Brother, Where Art Thou?« ein harmloses Trottel- Remake daraus gemacht. Immerhin 1958 hingegen war es, dass Stanley Kramer, der auch die Nürnberger Prozesse verfilmte, in »Flucht in Ketten« einen schwarzen und einen weißen Ausbrecher (Sidney Poitier und Tony Curtis) aneinander kettete.

Benjamin Whitmer lässt in seinem Roman gleich ein Dutzend Gefangene ausbrechen. Das Jahr ist 1968, Silvesterabend. Der Roman spielt innerhalb von 15 Stunden, weiter als acht Meilen kommt keiner von ihnen. Und keiner von ihnen überlebt. Natürlich ist das Buch ein Noir. Es ist action. Es ist Oberfläche. Schönstes Simulacrum. Dieser Begriff aus der Wahrnehmungstheorie – von simulo (Bild, Abbild, Spiegelbild, Traumbild, Trugbild, Götzenbild) oder simul (ähnlich, gleich) – war schon dem römischen Denker Lukrez geläufig. In seinem »De rerum natura« aus dem 1. Jahrhundert v. Chr. erzeugen die Dinge ihre eigene Sichtbarkeit, indem sie ständig feine Schichten ihrer äußeren Hülle in den Raum aussenden, die dann entsprechende Abdrücke auf unserer Netzhaut hinterlassen. Diese umherfliegenden Schichten bzw. »Häutchen« nennt er Simulacren. Sie sind Abbilder der Wirklichkeit. Abwertend gemeint, sind sie trügerischer Schein. Konstruktiv verstanden – wie besonders von einer ganzen Batterie französischer Philosophen –, sind Simulacren ein erkenntnisträchtiges Konzept produktiver Phantasie. So wie Superschurken und Superhelden im Film zwar Trugbilder sind, dennoch aber etwas über uns und unsere Gegenwart sagen. Nach Roland Barthes rekonstruiert ein Simulacrum seinen Gegenstand durch Auswahl und Neukombination und konstruiert ihn so neu. Es entsteht eine »Welt, die der ersten ähnelt, sie aber nicht kopieren, sondern einsehbar machen will«. Eine strukturalistische Aneignung von Welt also, deren Ziel es ist, die Regeln sichtbar zu machen, nach denen etwas funktioniert. Ein Simulacrum bringt zum Vorschein, was im natürlichen Objekt unsichtbar oder unverständlich geblieben wäre – es dient der Erhellung. Mit anderen Worten: Einen Gefängnisausbruch zu beschreiben, beschreibt unsere Welt und ihre Grenzen. In aller Konsequenz. Schon Zola sah Paris als »cette tombe géante«. Unser Raum fürs Entkommen ist längst auf Werbespots für Geländewagen geschrumpft, die uns in die angebliche Freiheit fahren und dann doch pünktlich vor dem Büro parken, auf Ferienschnäppchen mit dem Label »Secret Escapes«, auf die Größe von »Escape Rooms« als Partyspiel oder die Karte »Du kommst aus dem Gefängnis frei« beim Monopoly. Gesagt haben dies alles auch schon andere.

Georg Büchner wusste: »Weil wir im Kerker geboren und großgezogen sind, merken wir nicht mehr, dass wir im Loch stecken mit angeschmiedeten Händen und Füßen und mit einem Knebel im Munde.« (Briefe. An die Familie, am 5. April 1833.) Und für den Dramatiker Friederich Hebbel (1813 – 1863) war klar: »Ein Gefangener ist ein Prediger der Freiheit.« (Tagebücher) Im November 1990 sorgte Friedrich Dürrenmatt für Ärger und Konsternation, als er in seiner Rede auf Václav Havel die Schweiz als Gefängnis und die Schweizer als Gefangene und Wärter ihrer selbst in einem bezeichnete. »Frei wären die Schweizer? frei diese wohlhabenden Bürger in den verschlossenen Städten? frei diese armen Teufel an ihren Klippen und Felsen? Was man dem Menschen nicht alles weismachen kann!« Der dieses schrieb, nannte seine Aufzeichnungen »Briefe aus der Schweiz« und tat so, als hätte er sie in Werthers Nachlass gefunden. Sie erschienen 1808 erstmals im 11. Band von Goethes Werken.

Das Gefängnis und die Hölle, das sind – um mit Jean-Paul Sartre zu sprechen – die anderen. Also wir – wir alle miteinander Gefangenen. Das Simulacrum ist ein zentraler Begriff besonders bei Jean Baudrillard (1929 – 2007), und spätestens jetzt ist es Zeit, dass Sie zu den Motti dieses Buches zurückblättern.

Baudrillards »Simulacres et Simulation« (Éditions Galilée, Paris 1981, auf Deutsch teils in »Agonie des Realen«, Merve-Verlag, Berlin 1978 enthalten), 1995 als »Simulacra and Simulation« bei der University of Michigan Press erschienen, war ein Buch, das Benjamin Whitmer sehr beeindruckt hat. Es simmerte dann zwanzig Jahre in ihm, bis sich der hier vorliegende Roman daraus destillierte. Nichts darin ist zufällig. In einem Paralleluniversum hat Philip K. Dick bereits 1964 einen Roman des Titels »Simulacra« geschrieben und im gleichen Jahr Daniel F. Galouye den Sciene-Fiction Roman »Simulacron-3«, in dem es um die Idee einer vollständig innerhalb eines Computerprogramms simulierten Scheinwelt geht, 1973 von Rainer Werner Fassbinder verfilmt als »Welt am Draht«. Die Idee der Welt als Simulacrum ist auch Thema der »Matrix«-Trilogie. »Milliarden Menschen leben einfach vor sich hin, und haben keine Ahnung. Wussten Sie, dass die erste Matrix als perfekte Welt geplant war, in der kein Mensch hätte leiden müssen? Ein rundum glückliches Leben! Es war ein Desaster. Die Menschen haben das Programm nicht angenommen, es fielen ganze Ernten aus …«, sagt Agent Smith im ersten Teil der Trilogie. Ziemlich am Anfang taucht darin auch kurz Baudrillards Buch »Simulacra & Simulation« auf, es dient als Geldversteck des Protagonisten. Philosophischer Exkurs: Indem es ausgehöhlt ist, simuliert es sowohl die eigene Existenz als tatsächliches Buch ebenso wie auch seinen in Sprache – und speziell im Sprachsimulacrum Schrift – definierten geistigen Inhalt, aber auch das an seine Stelle gesetzte Geld ist ja nur Simulation: als SchuldscheinSimulacra und Tauschwaren-Simulation.

Das aber nebenbei. Wir sind in »Flucht« in den Rockies von Colorado, Whitmer ist ein handfester, geerdeter Autor, ein großer Fan von Westernfilmen und Country Songs, dem Noir verpflichtet und dem proletarischen Roman. Eine Baudrillard-Figur ist bei ihm zum Beispiel der sich der Wirklichkeit zunehmend entrückende Bad News. Nur indem er die Welt nicht für bare Münze nimmt, kann er sie überhaupt ertragen. Das Universum ist ihm eine Bitch, die man sich gefügig halten muss. »Tief in meinem Herzen weiß ich, entkommen kann ich von hier nicht«, heißt eine im Buch gesummte Liedzeile von Bob Dylan. »Oh, Mama, kann das wirklich das Ende sein«, geht der Song dann weiter. Oder, um es mit einem Zitat weiter hinten im Roman zu sagen: Mancher Blues hat keinen Boden.

Benjamin Whitmer begann das Buch einige Wochen, nachdem ein Freund von ihm bei einer Konfrontation mit der Polizei von einem SWAT-Scharfschützen erschossen worden war, das von hundert Beamten umstellte Haus ähnlich durchsiebt wie hier im Roman beschrieben, der tödliche Ausgang bei einer anderen Einsatzleitung nicht unbedingt vorprogrammiert. Konfrontationen mit der Staatsgewalt hatte Whitmer bereits zuvor auch bei AntiVietnam-Demonstrationen und noch einmal verschärft als Sympathisant des AIM, des American Indian Movement erlebt. Der Aktivist Russel Means war ein Freund von ihm. »Where White Men Fear to Tread« heißt dessen Autobiografie von 1996. Wo weiße Männer sich nicht hinwagen … … von dort her kommt auch der Radikale Ward Campbell her, dem »Flucht« gewidmet ist. Er war Whitmers Professor, seine »politische Erziehung«, wie er selbst sagt – siehe auch das Interview mit Benjamin Whitmer auf der Internetseite des Polar Verlags. Als Campbell wegen eines Skandals nicht mehr lehren durfte, war es Whitmer, der seine Vertretung übernahm. Hinter dem Namen steht in der Widmung die Jahreszahl 1968. Es war das Jahr, in dem Campbell politisiert aus dem Vietnamkrieg zurückkam. Es war das Jahr globaler Proteste. Es war das Jahr, in dem die Militarisierung der amerikanischen Polizei zu verorten ist – als Gegenfaktor zu sozialen Unruhen, studentischen Protesten und revolutionärer Gegengewalt, etwa durch den Weather Underground. Denen brachte der Vietnamveteran Ward Campbell bei, wie man improvisierte Bomben baut. Eine sehr brauchbare Darstellung der polizeilichen Aufrüstung findet sich in Radley Balkos Studie »Rise of the Warrior Cop. The Militarization of America’s Police Forces« von 2014.

Viele der Gefängniswärter, die in »Flucht« die Ausbrecher jagen, sind Kriegsveteranen. Bellingham, der stellvertretende Gefängnisdirektor, war in der Normandie, kam mit einem Eimer voller Medaillen wieder. Der Zeitungsmann Stanley war in Korea, Bad News auf Hügel 488, der Zeitungsfotograf Garrett ist von Vietnam und 77 Tagen Khe Sanh gezeichnet. »In nur elf Wochen warfen wir dort 110.000 Tonnen Bomben ab, die größte Menge von Explosivstoff in der Geschichte des Krieges«, notierte Michael Herr in seinen »Dispatches«.

»Flucht« spielt an Silvester 1968. Nichts darin ist zufällig. So wie es auch kein Zufall ist, dass die starke Frau des Romans, Dayton Horn, ein Outlaw, ziemlich zu Anfang das Buch »The Brave Cowboy« des in Deutschland sträflich unbekannten Wüstenanarchisten Edward Abbey liest. Kirk Douglas, der bei Stanley Kubrick den aufständischen Sklaven »Spartacus« gespielt hatte, sorgte dafür, dass das Buch (mit ihm in der Hauptrolle) verfilmt wurde. Für das Drehbuch holte er den bis 1960 in Hollywood per Blacklist gebannten Dalton Trumbo. Das Premierenplakat hatte den Slogan »They can never cage a man like this«. Einen Mann wie diesen kann man niemals einsperren. Kirk Douglas ist ein sich der Moderne verweigernder Cowboy, der weder Wohnsitz noch Ausweispapiere hat. Um seinen besten Freund zu befreien, lässt er sich selbst ins Gefängnis stecken, um dort zu merken, dass sein Freund gar nicht ausbrechen will. Also tut er es alleine und wird von einem nicht unverständigen Sherriff mit Hubschrauber und Jeeps in den Bergen gejagt. Der erste Rambo-Film »First Blood« ist ein weithin originalgetreues Remake. Präsident John F. Kennedy sah den Film im November 1962 im Weißen Haus, gegen den Einspruch von Jackie und all der anderen, vielleicht ließ er sich vom Titel leiten. »Einsam sind die Tapferen.« Kennedybiograf Ben Bradlee notierte: »Es war ein brutaler, sadistischer, kleiner Western.«

Einmal gerät Kirk Douglas darin in eine üble Schlägerei mit einem einarmigen Mann, gespielt von Bill Raisch. Der begann ein Jahr später als Nemesis von Richard Kimble in der Fernsehserie »Auf der Flucht« (Originaltitel: »The Fugitive«) zu erscheinen. Zwischen 1963 und 1967 in den USA ausgestrahlt, brachte es diese Serie auf 120 Folgen in vier Staffeln. Für Jüngere: Erzählt wird die Geschichte des Arztes Dr. Richard Kimble, der zu Unrecht des Mordes an seiner Frau angeklagt wird. Obwohl er seine Unschuld beteuert, wird er schuldig gesprochen und zum Tode verurteilt. Auf einem Gefangenentransport gelingt es ihm zu entfliehen, er wird unerbittlich vom Polizei-Lieutenant Philip Gerard verfolgt, der den Mordfall bearbeitete und von Kimbles Schuld überzeugt ist. Kimble ist seinerseits auf der Jagd nach dem wahren Mörder, einem einarmigen Mann, den er aus dem Haus flüchten sah, als er nach Hause kommend seine Frau tot vorfand. Seine Flucht führt ihn quer durch Amerika und durch allerlei soziale Verhältnisse. 1993 gab es davon einen Kinofilm, mit dem Sympathieträger Harrison Ford in der Rolle des Flüchtigen und Tommy Lee Jones als Polizisten.

Als Whitmer mit »Flucht« begann, war es ein Satz aus Edward Abbeys Tagebuch von 1951, der ihn in Bewegung setzte: »Dies ist mein bevorzugtes melodramatisches Thema: der gehetzte Anarchist, ein verwundeter Wolf, der sich zu den grünen Hügeln durchkämpft, oder zu den schneeweißen Bergen oder zur sonnengleißenden Wüste und zu seinen Freiheitsrechten. Wird er es schaffen? Oder wird das FBI ihn abknallen, direkt an der Schwelle von Wildnis und Freiheit?«

PS. Der in »Flucht« erzählte Gefängnisausbruch hat einen realen Spiegel, er ereignete sich am 30, Dezember 1947 im Staatsgefängnis von Canon City, Colorado. Benjamin Whitmer konnte dazu jede Menge Dokumente einsehen. Die zwölf entflohenen Gefangenen waren innerhalb einer Woche erschossen oder wieder dingfest gemacht. Es gab schnell einen – nicht besonders guten – semidokumentarischen Film über den Ausbruch, »Canon City« von 1948, Regie und Buch Crane Wilbur. »In einer Art postmodernem Moment«, so Whitmer, wurde den wieder eingefangenen Häftlingen damals der Film über ihre Flucht und Ergreifung vorgeführt. – Und noch eine Anmerkung: Immer wieder entfliehen natürlich auch in Deutschland verurteilte Straftäter aus dem Gewahrsam. Sie tun damit hierzulande nichts Illegales, der Akt ist per se nicht strafbar. Es gibt im Strafgesetzbuch der Bundesrepublik keinen Paragrafen, der die Flucht eines Menschen aus einer Haftanstalt oder aus einer psychiatrischen Klinik unter Strafe stellt. Nach Ansicht der Rechtsgelehrten respektiert der Staat damit den Freiheitsdrang, von dem er unterstellt, dass er jedem Menschen innewohnt. In der Praxis freilich ist es jedoch so, dass kaum einem Häftling die Flucht gelingt, ohne dabei Dinge zu tun, die dann doch strafbar sind. Sägt er etwa ein Gitter durch, ist das Sachbeschädigung. Droht er einem Wärter, und sei es mit einer selbst gebastelten harmlosen Pistolen-Attrappe, so ist das Nötigung. Gibt er ihm Geld, ist es Bestechung. Gibt er ihm Schlafmittel oder schlägt er ihn nieder, ist es Körperverletzung. Und wenn er die Flucht mit anderen Häftlingen verabredet, dann wird daraus leicht der Straftatbestand der Gefangenenmeuterei.

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