Dem Ort verbunden: David Joys Appalachen in Wenn diese Berge brennen

Ein Nachwort von Steph Post
©Max Soklov/Adobe Stock

Manche Schriftstellerinnen und Schriftsteller entwickeln die Erzählstrukturen zum Markenzeichen, bei anderen wird es ein Figurentypus oder eine einzige Figur, die über eine Reihe von Büchern hinweg ausgelotet wird. Obwohl David Joy für seinen harten Realismus und gut ausgearbeitete, lebensechte Figuren bekannt ist, zeichnet sich sein Schreiben vor allem dadurch aus, dass es eine konkrete Gegend genau in den Blick nimmt, die Leserinnen und Leser dorthin mitnimmt und das Land durch das Erzählen zum Leben erweckt. Damit steht Joy in der literarischen Tradition der Südstaaten, in der der Ort fast genauso wichtig ist wie die Handlung der Geschichten. So sind William Faulkners Romane im fiktionalen Yoknapatawpha County in Mississippi angesiedelt, das dem realen Lafayette County nachempfunden ist. Auch Eudora Weltys schrieb berühmte Romane und Short Stories, die in Mississippi spielen, und Zora Neale Hurston hat die Kleinstadt Eatonville in Florida literarisch groß gemacht. In jüngerer Zeit hat Laura McHugh als Schauplatz für ihre Werke die Ozark Mountains gewählt, und bei Ron Rash sind es die Berge North Carolinas.
Genau wie sein Freund und Mentor Rash lässt auch David Joy seine Romane in den Bergen des westlichen North Carolina spielen, dem Zentrum der in den USA als Appalachia bekannten Region gelten. Anders als die meisten amerikanischen Regionen, die sich einigermaßen auf den Norden, Süden, Osten oder Westen beschränken, umfasst Appalachia ein riesiges Gebiet mit einer Vielzahl von Bevölkerungsgruppen und Orten, das sich über 13 Bundesstaaten erstreckt und von New York im Nordosten bis nach Mississippi im tiefen Süden reicht, auch wenn die Grenzen nicht klar definiert sind und manche Fachleute das Kerngebiet auf sechs Bundesstaaten beschränken. Geografisch wird die Region durch den Gebirgszug der Appalachen bestimmt, die mit ihren Ausläufern und Vorbergen links und rechts des Hauptkamms die östlichen USA in zwei Teile schneiden, aber mit Appalachia ist nicht nur der geografische Raum gemeint, sondern auch ein Kulturraum. Oft wird damit das Negativbild einer verarmten Bevölkerung heraufbeschworen, die in der Tradition gefangen ist und in der Vergangenheit verharrt, statt sich der modernen Welt zu öffnen, und damit das Klischee von Appalachia als einer exotischen, kulturell reichen, aber wirtschaftlich abgehängten Region ohne Zukunftschancen weitergetragen.
Ihre größte Höhe erreichen die Appalachen im westlichen North Carolina, wo es fast so viele Berge wie Siedlungen gibt. Mit dem Mount Mitchell befindet sich hier der höchste Gipfel des gesamten Gebirgssystems, mit den Blue Ridge Mountains und den Great Smoky Mountains außerdem die berühmtesten einzelnen Gebirgszüge. Es ist ein atemberaubend schönes Land, dessen Herzstück oft mit »Hohes Land« (High Country) oder »Land des Himmels« (The Land of the Sky) bezeichnet wird. Den geradezu magischen Reiz und die überwältigende Schönheit der Landschaft kann ich persönlich bezeugen, weil ich seit meiner Kindheit hierher zu Besuch komme. David Joy aber, der in den Vorbergen geboren wurde und jetzt im ländlichen Jackson County lebt, blickt nicht mit den Augen eines Besuchers auf die Appalachen, sondern vermag das ganze Bild zu sehen. Und so kann Joy mit leichter Hand sowohl über die landschaftliche Schönheit wie die Armut der Bewohner schreiben, von besonderen Eigenschaften und Qualitäten erzählen und dabei mühelos die wechselhafte und problematische Geschichte und das noch unklare Geschick dieser Region im einundzwanzigsten Jahrhundert einfließen lassen.
An der Grenze des Swain County zum Jackson County liegt Cherokee, Hauptort des teilautonomen Qualla Boundary in North Carolina, ein weitgehend selbstverwaltetes Gebiet des Eastern Band of Cherokee Indians, wo ein Großteil von Wenn diese Berge brennen spielt. Dies ist genauso wichtig für die Handlung wie das im Buch thematisierte »Tellico Fire«. Ende Oktober 2016 verwüstete ein Brand den Cherokee National Forest und das umliegende Gebiet und hatte bis Mitte November mehr als 5.500 Hektar Fläche vernichtet. Obwohl die extreme Dürre in der Gegend die Ausbreitung des Brandes befördert hatte, waren seine Ursachen menschengemacht und das »Tellico Fire« war nur einer von vielen Waldbränden in der Gegend.
Auch wenn das »Tellico Fire« im Roman eine Funktion hat, lässt es sich zugleich als symbolische Wirkmacht in der Region verstehen, über die Joy schreibt. Joy beschäftigt sich oft mit den Motiven und Handlungsgründen seiner Figuren – mit denen seiner Helden ebenso wie seiner Schurken – und zeigt, wie sie einander gegenübertreten und sich gegen widrige Umstände zu behaupten versuchen. In Wenn diese Berge brennen wehrt sich Raymond Mathis gegen die verheerenden Auswirkungen der Opioid-Epidemie, während sein Sohn Ricky und Denny Rattler schwer unter ihrer Sucht zu leiden haben und verzweifelt gegen die Folgen ankämpfen. Drogenfahnder der Drug Enforcement Administration DEA treten dem organisierten Verbrechen entgegen, das in Zusammenhang mit dem Drogenmissbrauch entstanden ist, aber über allem stehen die brennenden Berge, die die Kleinstadt Cherokee und die Wälder darum ganz real in Schatten und Dunkelheit tauchen. Während Joys Figuren sich auch gewaltsam gegeneinander wenden und einander befehden, kämpft auch das Land gegen die Menschen, die sich darauf niedergelassen haben, und leidet unter deren Achtlosigkeit.
Nie ist die Landschaft des westlichen North Carolina bei David Joy lebendiger, als wenn sie wortwörtlich von Flammen umgeben ist. Im selben Maße, wie sich das Feuer durch die Berge frisst, werden die Figuren in Wenn diese Berge brennen aufeinander zugetrieben und auseinandergerissen. Doch während der Roman Leserinnen und Leser mit einer Vielzahl von Themen und auf sehr unterschiedlichen Ebenen anspricht, bleibt immer klar, dass Joys Appalachia der feste Grund und Boden für all das Geschehen ist.

Sowohl in Wenn diese Berge brennen wie in Joys anderen Romanen, Essays und Short Stories ist offenbar, dass er die Gegend, über die er schreibt, und das Land, das er seine Heimat nennt, von ganzem Herzen liebt.

Übersetzt von Sven Koch