Im Fokus der Geschichte

Ein Nachwort von Doug Johnstone
©Max Soklov/Adobe Stock

In den siebziger Jahren herrschten in Schottland raue Sitten. Ich bin zwar sieben Jahre jünger als Alan Parks, aber beide wuchsen wir in jener Zeit in schottischen Kleinstädten auf, deren Sozialgefüge von Bigotterie, Misogynie und Homophobie geprägt war. In den Großstädten war es noch schlimmer. Glasgow wies die damals landesweit höchste Armuts- und Kriminalitätsrate auf, mir kam es ein bisschen vor wie der Wilde Westen. Ich lebte auf der anderen Seite in einem Fischerort namens Arbroath, nachdem meine Familie 1970 aus Kilmarnock, einer Satellitenstadt Glasgows, dorthin gezogen war.
Ohne dass ich es wusste, hatte sich damals bereits ein Autor mit sehr viel Tiefgang, Menschlichkeit und unübertrefflichem Stil der Glasgower Kriminalliteratur angenommen – William McIlvanney. Ebensowenig wusste ich, dass mein Vater McIlvanney kannte, mit ihm erst die Schule, dann die Glasgow University besucht hatte und McIlvanney,so wie er, anschließend Englischlehrer geworden war.
McIlvanney war aber nicht nur Krimiautor, er hatte bereits literarische Romane, Gedichte, Essays und vieles mehr geschrieben. Seine in den siebziger Jahren erschienene Laidlaw-Trilogie lieferte auf Jahrzehnte hinaus die Vorlage für den sogenannten »Tartan Noir«. Sein gleichnamiger Detective wanderte durch die Glasgower Armutsviertel und verzweifelte angesichts der Unmenschlichkeit der er allerorts begegnete, er philosophierte über das Böse und wetterte gegen die sozialen Ungerechtigkeiten der Gesellschaft. Die Bücher warfen einen langen Schatten auf die Krimi- Gemeinde Schottlands und es erfordert einiges an Mut, um als Autor Romane in demselben Zeitrahmen mit denselben Grundkoordinaten anzusiedeln.
Alan Parks ist solch ein mutiger Autor und seine Unerschrockenheit absolut gerechtfertigt. Mit DIE APRIL-TOTEN, dem vierten Band der Serie mit Harry McCoy, stellt er sie erneut unter Beweis.
Die April-Toten beginnt buchstäblich mit einem großen Knall, als eine Bombe in einer Wohnung in Woodlands hochgeht – »dem Arsch von Glasgow«, als den McCoy das Stadtviertel gleich im ersten Satz treffend bezeichnet.
Wenn in den siebziger Jahren in Schottland von einer Bombenexplosion die Rede war, dachten alle sofort an die IRA. Die sektiererischen Unruhen im nordirischen Belfast waren ein über zwei Jahrzehnte tobender Bürgerkrieg und Schottland, insbesondere Glasgow diesem so nah, dass man ihn fast riechen konnte. Die Kämpfe zwischen protestantischen Loyalisten und irischen Republikanern in Nordirland waren intensiv und die Feinseligkeiten griffen auf den Westen Schottlands über, auch auf Glasgow, und zwar in einem solchen Ausmaß, dass die Auswirkungen bis heute in der Stadt spürbar sind. Auch indem er sich eines solch kontroversen Themas annimmt, erweist sich Parks als sehr mutig.
Aber das ist längst nicht der einzige Fokus der Geschichte in DIE APRIL-TOTEN. In den verschiedenen, miteinander verwobenen Handlungssträngen geht es auch um schottischen Nationalismus, Hippies, Privatarmeen, koloniale und imperiale Ausbeu-tung, Folter, Bandenkriminalität und die Präsenz der amerikanischen Atom-U-Boote am Holy Loch. Es ist bis heute einer der seltsamsten Umstände schottischen Lebens, dass Atomwaffen mit der Macht ganze Nationen zu zerstören, nur wenige Meilen von einer der bevölkerungsreichsten Städte des Landes stationiert sind.
Der ganze gekonnt nachgezeichnete Wahnsinn entfesselt sich um eine Figur, die Parks‘ Romanen Herz und Seele verleiht – Detective Harry McCoy. Aus dem Heer seiner Kollegen im Glasgower Polizeidienst der Zeit sticht er heraus – er hat ein ausgeprägtes Moralverständnis, auch wenn er sich gleichzeitig nicht scheut, Gesetze zu umgehen oder zu brechen, um durchzusetzen, was er für gerecht oder richtig hält. Er hat ein ausgeprägt antiautoritäres Selbstverständnis, wobei es ihm an Loyalitätsempfinden gegenüber der Polizei oftmals fehlt und das, obwohl er ihr selbst angehört. Auf seinen Streifzügen durch die ärmeren Viertel Glasgows begegnet er den Auswirkungen von Ungerechtigkeit und sozialer Ungleichheit und sie widern ihn an – teilweise wird ihm buchstäblich schlecht davon. Er sieht sich gezwungen, etwas dagegen zu unternehmen.
Das alles mag den Eindruck erwecken, DIE APRIL-TOTEN und Parks Romane insgesamt seien düster und ernst. Das Gegenteil ist der Fall. Sie sind durchzogen von einem tiefschwarzen Humor von der staubtrockenen, bissigen Art für die Glasgow völlig zu Recht berühmt ist. Schottland ist ein so kleines Land, dass scheinbar jeder jeden kennt. Das größte Verbrechen, dessen man sich schuldig machen kann, besteht daher darin, sich selbst zu ernst zu nehmen. McCoys kritischer und selbstkritischer Witz reflektiert den allgegenwärtigen Humor, dem man bis heute noch genauso in der Stadt begegnet und der die ernsten und verstörenden Ereignisse in DIE APRIL-TOTEN geschickt unterläuft.
Zwei weitere charakteristische Kennzeichen, die Parks Bücher herausstechen lassen, sind seine schonungslos knappe Prosa und das halsbrecherische Erzähltempo. Während William McIlvanneys Schreibstil sich dem poetischen annäherte – voll von Metaphern und lyrischen Formulierungen – scheint Parks straffer, starker Stil besser zu den Gegebenheiten von Zeit und Ort zu passen. Glasgow war damals ohne Schnörkel, in vielerlei Hinsicht sehr direkt, die Menschen sagten, was sie dachten und setzten ihre Vorhaben unbeirrt um. Parks spiegelt dies in seiner Prosa – auch wenn McCoy hin und wieder über die moralischen Aspekte der Geschehnisse, die ihn umgeben, ins Grübeln gerät, so hält dies nie lange an, weil sich immer sofort neuer Mist ereignet, um den er sich kümmern muss. Dabei entsteht ein wunderbar klaustrophobisches Gefühl in McCoys Gegenwart – er ist einer, der ständig in der Klemme steckt – und wir sind immer direkt dabei.

DIE APRIL-TOTEN ist ein triumphal gelungener Roman – so knallhart und zynisch wie das Glasgow der 70er Jahre und dabei von einem unverwechselbaren Humor, Mitgefühl und sehr viel Herz durchdrungen. Die Reihe um Harry McCoy ist mit jedem neuen Roman immer noch besser geworden und ich kann gar nicht erwarten zu erfahren, wohin es Alan Parks und Harry McCoy als nächstes verschlägt.