Rassismus, Frauenhass und Korruption

Ein Nachwort von Anthony J. Quinn
©Max Soklov/Adobe Stock

Wir leben in einer Zeit, in der eine kleine Minderheit die Lesegewohnheiten von vielen bestimmt. Seit 2020 die fünf großen Buchverlage zu vier Machtzentren zusammengelegt wurden, sind Autoren wie Ken Bruen nur durch den unermüdlichen Einsatz unabhängiger Verlage wie dem Polar Verlag mit seinem Team aus engagierten Herausgebern und Übersetzern und Übersetzerinnen überhaupt noch der Leserschaft zugänglich. Ohne ihren Mut und ihren Kampfgeist würden wir in einer Welt einheitlicher, glatt gebügelter Romane leben, denen jeglicher Realismus entzogen wurde, der nicht der Weltsicht aus einigen Büros in New York und London entspricht, und die sich vor allem an die Lesezirkel der Mittelschicht richten. Eine neue Form der Zensur, und gefährlich.

Als international erfolgreicher Schriftsteller spielt Bruen mit diesen globalen Kräften, ohne sich von ihnen einverleiben zu lassen. In der Kriminalliteratur ist er eine Ausnahmeerscheinung, seine erfrischend stachlige Prosa zeichnet seine Figuren und Schauplätze aus unerwarteten Blickwinkeln. Viele seiner über fünfunddreißig Romane wurden für das Fernsehen oder Kino mit so herausragenden Schauspielern wie Colin Farrell, Keira Knightley und Jason Statham verfilmt. Doch in seiner irischen Heimat ist Bruen trotz seiner Produktivität und seines Erfolgs oft übersehen worden, zumindest in literarischer Hinsicht, worüber er sich mit dem für ihn typischen trockenen Humor bei irischen Journalisten beschwerte: »Mit jedem neuen Buch erreiche ich neue Höhen der Unbekanntheit. Vielleicht mache ich es wie JK Rowling, nur andersherum, und lege mir ein Pseudonym zu, um meine Unbekanntheit zu schützen.«

Für Bruens Fans, zu denen ich mich zähle, passt die Diskrepanz zwischen internationalem Erfolg und Unbekanntheit in Irland zur Unberechenbarkeit seiner Geschichten. Er schreibt über die für das hard-boiled Genre typischen Themen: Alkoholismus, polizeiliche Korruption, Versagen und Gewalt; den Kontrast dazu aber bildet sein höchst eigenwilliger Stil, bruchstückhaft, fast verwirrend zerhackt, jede Sentimentalität vermeidend und sich jeglichem Klischee widersetzend. Seine Lust, den Leser zu überraschen oder zu schockieren, rauscht wie eine Flutwelle durch seine Texte. Auch seine Figuren sind unberechenbar, rau und wild. In SCHARFE MUNITION beschwört er einen Haufen angeschlagener Cops herauf, bringt ihre Süchte und Unsicherheiten ans Tageslicht und lässt die Lunte mit unglaublicher Geschwindigkeit abbrennen.

Als das Buch 2007 veröffentlicht wurde, mag Bruens Beschreibung von endemischem Rassismus, Frauenhass und Korruption in der Londoner Met noch weit hergeholt und übertrieben gewirkt haben. Inzwischen aber ist der Mythos vom braven Londoner Bobby derart angekratzt, dass in den Worten des früheren Polizeipräsidenten Sir Robert Mark gute Polizeiarbeit heutzutage darin besteht, »mehr Verbrecher zu fangen als einzustellen«. Die Skandale und Proteste der jüngeren Vergangenheit haben Bruens Fantasiegeschichten in den Schatten gestellt: die Verurteilung von Officer Wayne Couzens für den Mord an Sarah Everard in Süd-London (auch Schauplatz von SCHARFE MUNITION), die Erschießung eines unbewaffneten Schwarzen, wütende Demonstranten vor der Zentrale von Scotland Yard mit »Schafft die Met ab«-Schildern, Skandale um rassistische und sexistische »Scherze« und die Ernennung eines neuen Polizeipräsidenten, um der polizeilichen Missstände Herr zu werden. Kein Wunder, dass desillusionierte britische Polizeibeamte inzwischen einen eigenen verzweifelten Code für »der Job ist scheiße« haben: Tango Juliet Foxtrot – the job’s fucked.

Polizeiliche Korruption war in der Literatur schon immer ein beliebtes Thema, vor allem für irische Krimiautoren, deren Faszination für Schurkencops und die Voreingenommenheit des Rechtssystems historisch und politisch begründet ist. Vielleicht liegt es an meiner kulturellen Befangenheit als irischer Schriftstellerkollege, aber britische Krimis scheinen polizeiliche Korruption eher von oben herab zu betrachten – es gibt ein paar korrupte Beamte, faule Äpfel, meistens als Außenseiter und Einzelfälle dargestellt, aber nur selten wird die Polizei als Institution so umfassend und brutal kritisiert, wie Bruen es tut.

In den besten Kriminalromanen entsteht Spannung dann, wenn der Leser nicht nur etwas über die moralischen Werte der Figuren, ob Kriminelle oder Polizisten, erfährt, sondern auch spürt, wie der Autor selbst zu Gerechtigkeit, Polizeiarbeit, Strafe und Verbrechen steht. Ich würde behaupten, Bruens Haltung ist historisch und politisch geprägt, und dass er sich die London Met vornimmt, ist bestimmt kein Zufall. Bruens Romane geben auf ihre eigenwillige Weise Einblick in die dunkle Seele der britischen Kolonialherrschaft in Irland, unter der die Institutionalisierung der Polizei, von der Royal Irish Constabulary bis zu den Sondereinsatzkräften der Black and Tans, oft ein Mittel war, um die irische Bevölkerung zu unterdrücken und zu kriminalisieren.

In Bruens Fantasie steht die Londoner Polizei für Unehrlichkeit, Verdorbenheit und alles Verachtenswerte. Die bunte Truppe in SCHARFE MUNITION wird auf ihrem Weg in den Abgrund nur noch durch eine seltsame, fehlgeleitete Loyalität zusammengehalten.
Die Geschichte springt hin und her zwischen maximal verbitterten Polizeichefs, leitenden Ermittlern, die aus ihren verlorenen Wochenenden nicht mehr richtig auftauchen, und Nachwuchsbeamten, die lügen und betrügen, um endlich befördert zu werden – was zu Alkoholismus, Gewalt und versuchtem Mord führt.

Einer der Handlungsstränge des Romans beschreibt die falsche Beschuldigung eines unschuldigen Passanten, der zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort war. Solche Ungerechtigkeiten waren jahrelang der Albtraum aller in England lebenden Iren. Die furchtbaren Erfahrungen der Birmingham Six und der Guildford Four, die fälschlicherweise für IRA-Bombenattentate im Gefängnis saßen, haben das irische Vertrauen in das britische Rechtswesen und seine Institutionen nachhaltig erschüttert. Obwohl die Anklagen gegen die unschuldigen Männer und Frauen bereits kurz nach der Verurteilung widerlegt wurden, hielten die britischen Behörden vierzehn weitere Jahre an ihrer Vertuschungstaktik fest und verlängerten somit unnötig das Leid der inhaftierten Opfer und ihrer Familien.

Das soll nicht heißen, dass Bruens Romane offen politisch daherkämen. Zeitgenössische Kriminalromane wirken oft wie moralische Pamphlete über die Gefahren des Kapitalismus, über Gier und illiberale Werte. Bruens Leser aber werden sich niemals geschulmeistert vorkommen. Die Verflechtung von Subjekt und Stimme wird nie aufgelöst, stattdessen bekommen wir ein literarisches Irish Stew aus hart erarbeiteten philosophischen Erkenntnissen, Witzen und allem dazwischen. Bruens Stil ist so eigenwillig, dass man hinter den Unebenheiten genauso sehr Absicht wie Zufall vermuten muss. Die Lücken in der Handlung erscheinen wie absichtliche Disziplinlosigkeit, erzählerische Waghalsigkeit, um ungewollte Rücksichtnahme des Autors auf sich selbst und auf jegliche schriftstellerische Überheblichkeit sofort zu unterbinden. Die Figuren leben in einer chaotischen Welt, und Bruen stellt mehr Fragen als er beantwortet.

Was liegt hinter Bruens Schreibstil? Ich würde sagen, dass seine Erzählkraft seinem Irischsein entspringt – dem widerborstigen, antiautoritären, unorthodoxen, abstoßenden Geist, der sich literarischen Erwartungen querstellt. Sein Schreiben nimmt sich alle Freiheiten und ist unerbittlich sprunghaft. Er erinnert uns Leser daran, dass die Welt da draußen gefährlich ist, dass Sucht, Stolz, Gier oder einfach nur Pech uns jederzeit ins Straucheln bringen können, egal wie sicher oder unbesiegbar wir uns fühlen, egal welche Stellung oder Machtposition wir innehaben. Bruens Weltsicht hat nichts Eindimensionales oder Universelles. Er schreibt aus den Verwerfungen der irischen Geschichte heraus mit spielerischer Intelligenz, dunkler komischer Weisheit und sehr viel Eigensinn.
Ich empfehle, sich diesem Genuss hinzugeben.