Den Mächtigen die Stirn bieten
Ein Nachwort von Eryk Pruitt

2019 habe ich mich in Hillsborough, North Carolina, mit einer Cocktailbar namens Yonder selbstständig gemacht. In der kleinen Stadt mit seinen etwa 7.000 Einwohnern gab es bereits eine Handvoll Kneipen und Sportbars, also haben meine Frau Lana und ich versucht, die Sache ein bisschen anders anzugehen. Statt über Sportergebnisse und mit Fernsehern zugepflasterte Wände wollten wir die Menschen unserer Gemeinde über die Kunst zusammenbringen. Livemusik, Bilder von ortsansässigen Künstlern und Künstlerinnen an den Wänden – aber vor allem wollten wir der Literatur ein Zuhause geben. Dies taten wir unter anderem, indem wir die Noir at the Bar-Veranstaltungen in unserer Gegend ausrichteten. Eine andere Möglichkeit war die Herausgabe unseres eigenen vierteljährlichen Krimi-Magazins mit dem Titel Dark Yonder. Am meisten stolz bin ich jedoch darauf, dass wir einmal wöchentlich einen Autoren-Workshop anboten, in dem sechs Schriftsteller ihre aktuellen Romanprojekte zur Diskussion stellten, in der Hoffnung, sie so optimal auf eine Veröffentlichung vorzubereiten. Jede Woche haben wir ein Kapitel laut vorgelesen und uns Notizen über das darauf folgende Feedback gemacht. Mit jeder Woche wurden unsere Texte stärker.
In den folgenden Jahren entwickelte sich dieser Kreis von Autoren und Autorinnen zu einer Art verschworenen Gemeinschaft. Wir besuchten gegenseitig unsere Buchvorstellungen. Wir kauften die Bücher und platzierten sie weit oben auf unseren Regalen. Wir haben uns zum Kaffee oder auf ein paar Drinks getroffen, wir haben Kontakt zueinander gehalten. Jeder von uns kam zu diesen Sonntagnachmittagen, weil wir die Liebe zur Literatur und zur Kunst des Schreibens teilten. Wir feuerten uns gegenseitig an, und auch wenn wir nicht immer einer Meinung waren, was den Wert dieser Kritik oder jenes Kommentars betraf, waren wir uns doch alle in einem Punkt einig: Scott Blackburn war auf dem besten Weg, ein Star zu werden.
Als Scott uns die ersten Seiten von Es stirbt mit Dir vorlas, wurden wir sofort von der Stimme seines Protagonisten Hudson »Hud« Miller in Bann gezogen. Er verkörpert den klassischen Helden wider Willen. Der ehemalige Boxer hat die Autoverwertung seines Vaters geerbt und muss am Ende nicht nur herausfinden, was genau zum vorzeitigen Ableben von Miller senior führte, sondern auch die Identität und den Mörder einer zweiten Leiche, die auf dem Gelände des Schrottplatzes gefunden wird.
ES STIRBT MIT DIR ist jedoch nicht einfach nur ein Kriminalroman um einen Mord. Es ist viel mehr als das. Blackburns Debüt folgt zwar denselben Grundsätzen wie ein traditioneller Whodunit, ist aber im großen Kanon der Literatur der US-amerikanischen Südstaaten zu Hause. Während der letzten zwanzig Jahre hat diese eine große Renaissance erlebt. Die Südstaatenliteratur des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts entfernte sich gern von ihren Ursprüngen wie Vom Winde verweht und den Romanen eines Thomas Dixon jr. und wurde düsterer und härter. Die Werke von Stars wie Harry Crews, Larry Brown und Daniel Woodrell trugen dazu bei, dass sich eifrige Leser der Südstaatenliteratur von den rassistisch geprägten Schwarten lösen konnten, indem sie eine moralische (gleichwohl gewalttätige) Sensibilität an den Tag legten. Dies ebnete in jüngerer Zeit Autoren den Boden, die einen »Neuen Süden« schildern, der zwar nicht weniger gewalttätig ist, aber eine sich entwickelnde Mentalität berücksichtigt: Der Süden ist für alle da, aber wir werden kämpfen müssen, damit es so bleibt.
Scott Blackburns Es stirbt mit Dir steht eindeutig in dieser Tradition. Seine Zeitgenossen des Neuen Südens sind bereits literarische Giganten. David Joys Wenn diese
Berge brennen und Chris Offutts Country Dark sind klassische Beispiele für diese moralische Denkweise, die sich den kurzsichtigen Einstellungen und Haltungen des geographischen Raumes gegenüber Ethnie und Klasse entzieht. Auch wenn sich die Werke eines Wiley Cash und S. A. Cosby in vieler Hinsicht unterscheiden mögen, halten sie sich doch an dieselben Werte wie viele Autoren des Neuen Südens der letzten fünfzehn Jahre.
Südstaatenromane zeichnen sich neben vielen anderen Dingen durch einen ausgeprägten Sinn für die Vergangenheit aus. Blackburns Protagonist Hudson Miller stellt da keine Ausnahme dar. Er wird auf Schritt und Tritt von seiner Vergangenheit verfolgt. Als er in seine Heimatstadt Flint Creek, North Carolina, zurückkehrt, wird er von allen Seiten mit den Sünden und Fehlern seines kurz zuvor verstorbenen Vaters konfrontiert. Die ganze Region büßt immer noch für die Schulden ihrer Ahnen. Was zu einem zweiten Grundsatz der Südstaatenliteratur führt: Ein ausgeprägtes Gefühl für den Ort. Jeder, der schon mal eine Zeitlang in kleinen Städten des Südens verbracht hat, wird Flint Creek und seinen Boars Club wiedererkennen oder das Gefühl haben, schon in vielen Läden wie dem Red Door ein Gläschen getrunken zu haben. Wie viele Chief Cobles haben wir schon ertragen müssen?
Blackburn beschäftigt sich auch mit den Themen Familie und Gemeinschaft, die in der Südstaatenliteratur ebenfalls eine große Rolle spielen. Hud Millers Familie ging in die Brüche, als Leland Miller seine Frau für die flirtende Nachbarin verließ. Das brachte ihn näher zu seiner Mutter, während er sich gleichzeitig immer weiter vom Vater entfernte, der sich zunehmend mit rassistischen Äußerungen und verschwörungstheoretischen Überzeugungen zu isolieren begann. Hud gelingt es jedoch, in Gestalt seines Mitarbeiters Charlie Shoaf und der jungen Lucy Reyes seine eigene »community«, seine eigene Bezugsgruppe zu finden, wobei der überaus temperamentvolle Teenager herausfinden will, wer ihren Bruder Marco ermordet hat.
Einer der wichtigsten Grundsätze der Südstaatenliteratur, insbesondere in der Tradition des Neuen Südens, sind die Folgen sozialer Ungerechtigkeit. Es gibt keine Region Amerikas, die mehr von sozialer Ungerechtigkeit betroffen ist, und Blackburns Roman steht ganz in dieser Tradition. Der Mord an Marco Reyes wird von der vordergründig ehrbaren Gemeinschaft von Flint Creek weitgehend ignoriert, was Lucy Reyes’ Wut und ihre beharrliche Suche nach Hilfe, wo immer sie sie bekommen kann, befeuert. Als sie von den Strafverfolgungsbehörden und den religiösen Führern von Flint Creek im Stich gelassen wird, verlagert sie ihre Nachforschungen auf Instagram und nutzt dabei den Tag #justice4marco. Diese Ungerechtigkeit erkennen auch Charlie Shoaf und Hud, die sich schließlich zusammentun, um den Mächtigen die Stirn zu bieten.
Dieser letzte Grundsatz führt jedoch dazu, dass Es stirbt mit Dir über den traditionellen Südstaatenroman hinausgeht und dabei zu etwas anderem wird. Man könnte durchaus behaupten, Blackburn habe eigentlich einen Western geschrieben.
So wie der Süden großartige Romane hervorgebracht hat, gibt es keinen zweiten Ort wie den Wilden Westen, der mehr Bilder von aufgeschobner und wiedererlangter Gerechtigkeit heraufbeschworen hat. So wie Blackburn in seinem Debütroman viele Themen des Südens verarbeitet, hat er sie auch mit den Themen des klassischen Westerns vermischt. Hud Miller, eine raue Persönlichkeit, die sich neu erfinden will, verlässt die größere Stadt Greensboro Richtung Westen in das dünn besiedelte Flint Creek. Nur mit seiner Moral und seinen Fähigkeiten als Faustkämpfer bewaffnet, muss Hudson gegen ein engmaschiges Netz korrupter Politiker und Gesetzeshüter antreten, die sich verschworen haben, das Verbrechen in dem kleinen Nest im Westen North Carolinas zu kontrollieren. Statt einer Schusswaffe setzt Miller seine Fähigkeiten als Fighter ein, genau jene Fähigkeiten, wegen denen er aus der Welt des Boxsports verbannt wurde. Beim Showdown im Boards Club in Flint Creek könnten sie jedoch seine einzige Rettung, seine Erlösung sein. Scott Blackburn hat also eine Mischung aus Südstaatenroman und Western geschrieben und damit vielleicht ein ganz neues Genre erschaffen: Den Southern.
Wenn es einen Kritikpunkt an Blackburns Roman gäbe, dann wäre dies sein scheinbar fehlgeleiteter und unverdienter Optimismus. Was man ihm jedoch nicht einfach so vorwerfen sollte, denn dieser Optimismus ist ein Nebenprodukt des Neuen Südstaatenromans. Viele Autoren lassen das Gute gegen das Böse antreten und demonstrieren für gewöhnlich, wie das Gute das Böse besiegt. Das mag durchaus eine Folge von Resten der Wohlfühlwelt eines Jimmy Carter sein oder der Zuversicht eines Bill Clinton oder sogar der Hoffnung und Veränderung der Obama-Ära. Die Menschen dieser Generationen glaubten im Süden daran, dass es möglich sei, das grausame Erbe von Sklaverei, Hass und Bigotterie zu überwinden. Selbst der Titel von Blackburns Roman – Es stirbt mit Dir – lässt Millers Überzeugung durchblicken, dass die Unmenschlichkeit des Südens schon bald Geschichte ist, dass, sobald die vorherige Generation das Zeitliche gesegnet hat, Amerika vielleicht zu echtem Anstand zurückkehren kann.
Auch ich habe mich eines solchen Optimismus schuldig gemacht. Ich habe noch nie nördlich der Mason-Dixon-Linie gelebt, und trotzdem habe ich immer die törichte Hoffnung gehegt, dass der Süden seine Fehler einsehen könnte. Die Hoffnung, dass der Süden – oder im weiteren Sinn auch Amerika – erlöst werden könnte, wurde jedoch durch das Schreckgespenst namens Trump zunichtegemacht. Die anschwellende faschistische Flut ist nichts Neues für Amerika, und die Unfähigkeit des Südens, sie zu überwinden, wird von konservativen Kreisen ständig ausgenutzt, zum Beispiel für ihre »Südstaatenstrategie«, durch die sie mit ihrem eigenen Nationalismus, ihrer Bigotterie und ihrer Ignoranz manipulieren. Was bleibt, ist, dass die Gastfreundschaft des Südens eine Lüge ist, dass unsere Frauen alles andere als sicher sind und die Verarmten nur existieren, um ausgebeutet zu werden. Der Süden, nach dem ich mich gesehnt habe, ist schon lange tot.
Falls es überhaupt noch Hoffnung gibt, dann liegt sie in Schriftstellern wie Scott Blackburn. Blackburn arbeitet als Lehrer im staatlichen Schulsystem. Trotz aller Bemühungen von Führungspersönlichkeiten des Südens, Bücher zu verbieten und manipulierend in den Geschichtsunterricht einzugreifen, sind gute Lehrer an vorderster Front dieses Kriegs der Kulturen vielleicht unsere letzte Hoffnung. Eine gebildete Bevölkerung ist unsere einzige Chance, die anschwellende Flut des Faschismus zu bezwingen, die offenbar im Begriff steht, den amerikanischen Süden zu überrollen. Um die Träume der großen Schriftsteller des Südens zu verwirklichen, werden wir Lehrer wie Blackburn benötigen, damit sie unsere Soldaten mit der richtigen Geisteshaltung ausstatten, und wir werden Schriftsteller wie ihn brauchen, um ihre Seelen für die kommenden Schlachten zu stärken.